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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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bei diesen Bestrebungen handelte, die Ausbildung des eigenthümlichen Wesens
seinen maurerischen Schwärmereien zu. "Er ist ein Schwärmer, lebt mit
Schwärmern und wer mag die verstehen!" Welt- und Menschenkenntniß sprach
Klinger dem Freunde ab, dessen Herz "durch keine schwarze Erfahrung geengt"
worden sei.

Kayser war der Mann musterhafter Ordnung. Er zeichnete sich, nachdem
er alle weiterführenden Pläne, wie es scheint bald nach seiner Rückkehr aus
Italien, aufgegeben, durch ein beispiellos regelmüßiges und einfaches Leben aus.
Trotzdem war er in beständigem Kampfe mit den Sorgen des Lebens, in welchen
er aber seinen vollen Ehrgeiz behauptete und anstatt in der Heimat lieber fern
an die Pforten alter Freunde um Hilfe anklopfte. Es entrollt sich uns ein trübes
Bild, wenn wir der Zeiten gedenken, wo Schleiermacher ihn mit edlem Sinne
unterstützte und Kayser's Leben voll von Sorgen und Bekümmernissen verlief,
von dem Goethe, der es "abstrus" zu nennen wagte, wohl keine Ahnung hatte.

In seinen letzten Lebensjahren -- so erzählt uns David Heß --- verließ
Kayser seine alte Wohnung, die in der Stadt hinter Zäunen lag, um sie mit
w:er geräumigeren zu vertauschen. Um seine reiche Bibliothek besser entfalten
Zu können, miethete er sich im Hause zur Tanne an der Oberstraße ein und
Mg auch jetzt uoch seinem oft beschwerlichen Berufe nach. Aber allmählich
stellten sich bei ihm auch uoch die körperlichen Beschwerden des höheren Alters
em. Schon 1821 wurde er von der Gicht heimgesucht, die sich auf die Augen
warf und ihn geraume Zeit zur drückenden Unthätigkeit verurtheilte. Zum
Gebrauch einer Kur in Baden konnte er sich nicht entschließen. Obwohl sein
Zustand sich besserte, erholte er sich doch nicht mehr, seine Gesichtszüge fielen
Zusammen, sie waren ernster, düsterer als zuvor. Da regte sich in ihm ein
stilles Heimweh nach seiner alten Vaterstadt Frankfurt, die er so lange nicht
Mehr gesehen hatte. Er beschäftigte sich mit dem Gedanken, dorthin zurückzu¬
kehren und feine Tage an der Seite einer geliebten Schwester zuzubringen.
Aber das Schicksal versagte ihm die Erfüllung dieses Wunsches. Gegen Ende
des Jahres 1823 traf die unerwartete Nachricht von dem Hinscheiden seiner
Schwester ein; das traurige Ereigniß erschütterte ihn tief, obwohl er desselben
uur bei nahestehenden Freunden gedachte.

Am Abend des 19. Dezember kehrte er aus der Stadt zurück und fühlte
steh unwohl. Sein Arzt Dr. Diethelm Lavater, der auf eine starke innere Er¬
regung schloß, erkannte bald die Symptome eines Nervenfiebers. "Es mag etwas
dergleichen gewesen sein", erwiederte Kayser, ohne des Zufalls weiter zu gedenken.
Er fügte sich den ärztlichen Anordnungen und war gefaßt und ruhig. Auch
fand er noch die Kraft, seine Angelegenheiten zu ordnen, seine letzte Verfü¬
gung zu treffen, wobei er auch an die Belohnung seiner treuen Pflegerin dachte.


bei diesen Bestrebungen handelte, die Ausbildung des eigenthümlichen Wesens
seinen maurerischen Schwärmereien zu. „Er ist ein Schwärmer, lebt mit
Schwärmern und wer mag die verstehen!" Welt- und Menschenkenntniß sprach
Klinger dem Freunde ab, dessen Herz „durch keine schwarze Erfahrung geengt"
worden sei.

Kayser war der Mann musterhafter Ordnung. Er zeichnete sich, nachdem
er alle weiterführenden Pläne, wie es scheint bald nach seiner Rückkehr aus
Italien, aufgegeben, durch ein beispiellos regelmüßiges und einfaches Leben aus.
Trotzdem war er in beständigem Kampfe mit den Sorgen des Lebens, in welchen
er aber seinen vollen Ehrgeiz behauptete und anstatt in der Heimat lieber fern
an die Pforten alter Freunde um Hilfe anklopfte. Es entrollt sich uns ein trübes
Bild, wenn wir der Zeiten gedenken, wo Schleiermacher ihn mit edlem Sinne
unterstützte und Kayser's Leben voll von Sorgen und Bekümmernissen verlief,
von dem Goethe, der es „abstrus" zu nennen wagte, wohl keine Ahnung hatte.

In seinen letzten Lebensjahren — so erzählt uns David Heß -— verließ
Kayser seine alte Wohnung, die in der Stadt hinter Zäunen lag, um sie mit
w:er geräumigeren zu vertauschen. Um seine reiche Bibliothek besser entfalten
Zu können, miethete er sich im Hause zur Tanne an der Oberstraße ein und
Mg auch jetzt uoch seinem oft beschwerlichen Berufe nach. Aber allmählich
stellten sich bei ihm auch uoch die körperlichen Beschwerden des höheren Alters
em. Schon 1821 wurde er von der Gicht heimgesucht, die sich auf die Augen
warf und ihn geraume Zeit zur drückenden Unthätigkeit verurtheilte. Zum
Gebrauch einer Kur in Baden konnte er sich nicht entschließen. Obwohl sein
Zustand sich besserte, erholte er sich doch nicht mehr, seine Gesichtszüge fielen
Zusammen, sie waren ernster, düsterer als zuvor. Da regte sich in ihm ein
stilles Heimweh nach seiner alten Vaterstadt Frankfurt, die er so lange nicht
Mehr gesehen hatte. Er beschäftigte sich mit dem Gedanken, dorthin zurückzu¬
kehren und feine Tage an der Seite einer geliebten Schwester zuzubringen.
Aber das Schicksal versagte ihm die Erfüllung dieses Wunsches. Gegen Ende
des Jahres 1823 traf die unerwartete Nachricht von dem Hinscheiden seiner
Schwester ein; das traurige Ereigniß erschütterte ihn tief, obwohl er desselben
uur bei nahestehenden Freunden gedachte.

Am Abend des 19. Dezember kehrte er aus der Stadt zurück und fühlte
steh unwohl. Sein Arzt Dr. Diethelm Lavater, der auf eine starke innere Er¬
regung schloß, erkannte bald die Symptome eines Nervenfiebers. „Es mag etwas
dergleichen gewesen sein", erwiederte Kayser, ohne des Zufalls weiter zu gedenken.
Er fügte sich den ärztlichen Anordnungen und war gefaßt und ruhig. Auch
fand er noch die Kraft, seine Angelegenheiten zu ordnen, seine letzte Verfü¬
gung zu treffen, wobei er auch an die Belohnung seiner treuen Pflegerin dachte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/67>, abgerufen am 21.05.2024.