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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Cassagnac wird gute Miene zum bösen Spiele machen, zumal da sich's hier
wohl schwerlich in erster Reihe um Prinzipien, sondern um bloße Emotionen
und nicht minder um Pensionen und Subventionen handelt, und die Kaiserin
den letzten Nachrichten zufolge Miene macht, dahin zu gehen, wohin sie gehört,
in ein Kloster oder einen ähnlichen Zufluchtsort vor der schnöden Welt. Nach
kaiserlichem Rechte stand es dem Sohne Napoleon's III. durchaus nicht zu, die
durch einen feierlichen Senatsbeschluß festgestellte Erbfolge innerhalb der Familie
Bonaparte abzuändern. Der Erbe des Thrones ist, wenn wir mit den Bona¬
partisten annehmen wollen, daß bei dieser sich auf das Plebiszit stützenden
Dynastie von einem vererbten Anspruch auf den Thron die Rede sein kann,
ohne Zweifel der Prinz Jerome Napoleon, und erst nach ihm oder wenn er
Verzicht leistet, kommt sein Sohn Victor an die Reihe. Wenn also der ver¬
storbene Prinz in seinem Testamente die Hoffnung äußerte, nach seinem Tode
werde sein Vetter Victor der Leitstern der Bonapartisten werden, so konnte es
ihm unmöglich einfallen, Jerome mit einem Federstriche seiner Ansprüche für
verlustig zu erklären. Es war höchstens ein Beweis persönlicher Abneigung
gegen Jerome. Der kaiserliche Prinz war im Mißtrauen gegen den häufig
oppositionell gegen den Vater auftretenden Vetter erzogen. Man sah denselben
in Chiselhurst nach mehr als einer Beziehung hin als Abtrünnigen an. Hatte
er sich doch durch eine Art republikanischen Glaubensbekenntnisses um die Gunst
der Wähler beworben. Vielleicht auch traute ihm der kaiserliche Prinz den
Muth nicht zu, der dazu gehört, wenn man sich an ein immerhin gefährliches
Unternehmen, wie die Wiederaufrichtung des Kaiserthums ist, wagen will. Aber
wie man die Sache auch zu erklären hat, jene Testamentsstelle kann Jerome
nicht formell ausschließen wollen, und wäre dies doch ihre Meinung, so hätte
sie nicht die geringste rechtliche Kraft.

Unbequem indeß bleibt der Zwischenfall, und dazu kommt, daß Jerome's
Eintreten in die durch den Tod des kaiserlichen Prinzen entstandene Lücke die
Bonapartisten zu einer neuen Taktik nöthigen wird. Ohne Zweifel ist der
Umstand, daß sie sich in gewissen Strichen Frankreich's noch eines sehr zahl¬
reichen Anhanges erfreuten, zum Theil mit der ungestümen Dreistigkeit und
Rücksichtslosigkeit zu erklären, mit welcher sie in ihrer Presse und bei ihren
Wahlreden, sowie von Zeit zu Zeit im Senat und in der Deputirtenkammer
auftraten. Die große Masse ist nun einmal von der Art, daß sie sich durch
Verwegenheit leichter als durch alles Andere imponiren läßt. Die Republik,
dachte man, ertrug die Angriffe ihrer Gegner nur, weil sie schwach war. Die
Bonapartisten brauchten sich umsoweniger Zwang anzuthun, da ihr Prätendent
außerhalb des Landes lebte. Jetzt werden sie andere Seiten aufziehen, sich an
Rücksicht, an die Wahl milder Worte gewöhnen, sich bescheiden müssen, bis auf


Cassagnac wird gute Miene zum bösen Spiele machen, zumal da sich's hier
wohl schwerlich in erster Reihe um Prinzipien, sondern um bloße Emotionen
und nicht minder um Pensionen und Subventionen handelt, und die Kaiserin
den letzten Nachrichten zufolge Miene macht, dahin zu gehen, wohin sie gehört,
in ein Kloster oder einen ähnlichen Zufluchtsort vor der schnöden Welt. Nach
kaiserlichem Rechte stand es dem Sohne Napoleon's III. durchaus nicht zu, die
durch einen feierlichen Senatsbeschluß festgestellte Erbfolge innerhalb der Familie
Bonaparte abzuändern. Der Erbe des Thrones ist, wenn wir mit den Bona¬
partisten annehmen wollen, daß bei dieser sich auf das Plebiszit stützenden
Dynastie von einem vererbten Anspruch auf den Thron die Rede sein kann,
ohne Zweifel der Prinz Jerome Napoleon, und erst nach ihm oder wenn er
Verzicht leistet, kommt sein Sohn Victor an die Reihe. Wenn also der ver¬
storbene Prinz in seinem Testamente die Hoffnung äußerte, nach seinem Tode
werde sein Vetter Victor der Leitstern der Bonapartisten werden, so konnte es
ihm unmöglich einfallen, Jerome mit einem Federstriche seiner Ansprüche für
verlustig zu erklären. Es war höchstens ein Beweis persönlicher Abneigung
gegen Jerome. Der kaiserliche Prinz war im Mißtrauen gegen den häufig
oppositionell gegen den Vater auftretenden Vetter erzogen. Man sah denselben
in Chiselhurst nach mehr als einer Beziehung hin als Abtrünnigen an. Hatte
er sich doch durch eine Art republikanischen Glaubensbekenntnisses um die Gunst
der Wähler beworben. Vielleicht auch traute ihm der kaiserliche Prinz den
Muth nicht zu, der dazu gehört, wenn man sich an ein immerhin gefährliches
Unternehmen, wie die Wiederaufrichtung des Kaiserthums ist, wagen will. Aber
wie man die Sache auch zu erklären hat, jene Testamentsstelle kann Jerome
nicht formell ausschließen wollen, und wäre dies doch ihre Meinung, so hätte
sie nicht die geringste rechtliche Kraft.

Unbequem indeß bleibt der Zwischenfall, und dazu kommt, daß Jerome's
Eintreten in die durch den Tod des kaiserlichen Prinzen entstandene Lücke die
Bonapartisten zu einer neuen Taktik nöthigen wird. Ohne Zweifel ist der
Umstand, daß sie sich in gewissen Strichen Frankreich's noch eines sehr zahl¬
reichen Anhanges erfreuten, zum Theil mit der ungestümen Dreistigkeit und
Rücksichtslosigkeit zu erklären, mit welcher sie in ihrer Presse und bei ihren
Wahlreden, sowie von Zeit zu Zeit im Senat und in der Deputirtenkammer
auftraten. Die große Masse ist nun einmal von der Art, daß sie sich durch
Verwegenheit leichter als durch alles Andere imponiren läßt. Die Republik,
dachte man, ertrug die Angriffe ihrer Gegner nur, weil sie schwach war. Die
Bonapartisten brauchten sich umsoweniger Zwang anzuthun, da ihr Prätendent
außerhalb des Landes lebte. Jetzt werden sie andere Seiten aufziehen, sich an
Rücksicht, an die Wahl milder Worte gewöhnen, sich bescheiden müssen, bis auf


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[0178] Cassagnac wird gute Miene zum bösen Spiele machen, zumal da sich's hier wohl schwerlich in erster Reihe um Prinzipien, sondern um bloße Emotionen und nicht minder um Pensionen und Subventionen handelt, und die Kaiserin den letzten Nachrichten zufolge Miene macht, dahin zu gehen, wohin sie gehört, in ein Kloster oder einen ähnlichen Zufluchtsort vor der schnöden Welt. Nach kaiserlichem Rechte stand es dem Sohne Napoleon's III. durchaus nicht zu, die durch einen feierlichen Senatsbeschluß festgestellte Erbfolge innerhalb der Familie Bonaparte abzuändern. Der Erbe des Thrones ist, wenn wir mit den Bona¬ partisten annehmen wollen, daß bei dieser sich auf das Plebiszit stützenden Dynastie von einem vererbten Anspruch auf den Thron die Rede sein kann, ohne Zweifel der Prinz Jerome Napoleon, und erst nach ihm oder wenn er Verzicht leistet, kommt sein Sohn Victor an die Reihe. Wenn also der ver¬ storbene Prinz in seinem Testamente die Hoffnung äußerte, nach seinem Tode werde sein Vetter Victor der Leitstern der Bonapartisten werden, so konnte es ihm unmöglich einfallen, Jerome mit einem Federstriche seiner Ansprüche für verlustig zu erklären. Es war höchstens ein Beweis persönlicher Abneigung gegen Jerome. Der kaiserliche Prinz war im Mißtrauen gegen den häufig oppositionell gegen den Vater auftretenden Vetter erzogen. Man sah denselben in Chiselhurst nach mehr als einer Beziehung hin als Abtrünnigen an. Hatte er sich doch durch eine Art republikanischen Glaubensbekenntnisses um die Gunst der Wähler beworben. Vielleicht auch traute ihm der kaiserliche Prinz den Muth nicht zu, der dazu gehört, wenn man sich an ein immerhin gefährliches Unternehmen, wie die Wiederaufrichtung des Kaiserthums ist, wagen will. Aber wie man die Sache auch zu erklären hat, jene Testamentsstelle kann Jerome nicht formell ausschließen wollen, und wäre dies doch ihre Meinung, so hätte sie nicht die geringste rechtliche Kraft. Unbequem indeß bleibt der Zwischenfall, und dazu kommt, daß Jerome's Eintreten in die durch den Tod des kaiserlichen Prinzen entstandene Lücke die Bonapartisten zu einer neuen Taktik nöthigen wird. Ohne Zweifel ist der Umstand, daß sie sich in gewissen Strichen Frankreich's noch eines sehr zahl¬ reichen Anhanges erfreuten, zum Theil mit der ungestümen Dreistigkeit und Rücksichtslosigkeit zu erklären, mit welcher sie in ihrer Presse und bei ihren Wahlreden, sowie von Zeit zu Zeit im Senat und in der Deputirtenkammer auftraten. Die große Masse ist nun einmal von der Art, daß sie sich durch Verwegenheit leichter als durch alles Andere imponiren läßt. Die Republik, dachte man, ertrug die Angriffe ihrer Gegner nur, weil sie schwach war. Die Bonapartisten brauchten sich umsoweniger Zwang anzuthun, da ihr Prätendent außerhalb des Landes lebte. Jetzt werden sie andere Seiten aufziehen, sich an Rücksicht, an die Wahl milder Worte gewöhnen, sich bescheiden müssen, bis auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/178>, abgerufen am 20.05.2024.