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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal.

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Preußen; günstig aber konnte es für dieselbe natürlich nicht sein, daß die Landtags-
Abgeordneten fast nur, der Natur des kleinen Landes entsprechend, aus Land¬
leuten, denen der weitere Blick und die Unbefangenheit des Urtheils fehlten, und
aus Beamten bestand, die von der Regierung mehr oder weniger abhingen.
Ein Ministerium mit vier Abtheilungen unter einem Chefminister und einer
Menge von Räthen war die oberste Behörde für die gesammte Staatsverwal¬
tung. Die Justizpflege und Verwaltung war gut, aber für das Land unver-
hältnißmäßig kostspielig. In den untern Instanzen, wo Justiz und Verwaltung
vereinigt waren, wurde dieselbe durch nicht weniger als zehn Gerichtsämter
vertreten mit durchschnittlich etwa fünf richterlichen Beamten; für gewisse Ver¬
waltungszweige gab es zwei Landrathsämter, während die Rechtspflege in den
höhern Instanzen von zwei Kriminalgerichten und einem Appellationsgerichte
geübt wurde, über welchem noch das Oberappellationsgericht der thüringischen
Staaten in Jena stand. Bedenkt man, daß außer diesen etwa achtzig juristi¬
schen Beamten noch eine gleich große Zahl von Advokaten den Rechtsuchenden
zu dienen bereit war, so wird man zugeben, daß in Hinsicht auf die Zahl der
Beamten für eine Bevölkerung von etwa 140000 Seelen, welche ungefähr der
von zwei mäßigen preußischen Landrathsbezirken gleichkommt, überreich gesorgt
war. Daneben gab es für das Kirchenregiment ein besonderes Konsistorium,
welches über den acht Superintendenten des Landes und selbständig neben dem
Ministerium stand.

Der Beamtenstand des Herzogthums war ein im Ganzen guter. Es
waren wie anderwärts ausschließlich Inländer, die ihre Vorbildung auf dem
Landesgymnasium zu Altenburg und der Landesuniversität Jena erhielten. Bei
der großen Zahl der Beamten war die Thätigkeit des einzelnen nicht eben groß;
die Folge war, daß ein gewisser Schlendrian einriß und nun viele Beamte
erst recht nicht fertig wurden. Weil es aber lange dauerte, ehe ein Beamter
angestellt wurde, und weil man einer wohlwollenden Berücksichtigung der
Landeskinder seitens der Regierung, welche alle zu versorgen strebte, gewiß
war, vielleicht auch, weil bei der sehr stark betonten Anciennität wirkliche
Talente selten gebührend befördert wurden, so beschäftigten sich die zu¬
künftigen Beamten als Studenten mehr mit dem Verbindungswesen als mit
der Wissenschaft; denn den Eintritt in den Staatsdienst öffneten ihnen wenn
nicht Familienverbindungen, so jedenfalls das Wohlwollen der Examinatoren,
und ehe sie wirklich angestellt wurden, hofften sie noch Zeit genug zu finden,
um nachträglich das für den Dienst Nöthige sich anzueignen. Wenn man daher
von einer bekannten Persönlichkeit oft die unmuthige Aeußerung hörte, die
jungen Leute in Altenburg rutschten nur die Schulbank ab, um dann eine
Bierreise nach Jena zu machen und im Kasino der Heimatstadt den Beamten-


Preußen; günstig aber konnte es für dieselbe natürlich nicht sein, daß die Landtags-
Abgeordneten fast nur, der Natur des kleinen Landes entsprechend, aus Land¬
leuten, denen der weitere Blick und die Unbefangenheit des Urtheils fehlten, und
aus Beamten bestand, die von der Regierung mehr oder weniger abhingen.
Ein Ministerium mit vier Abtheilungen unter einem Chefminister und einer
Menge von Räthen war die oberste Behörde für die gesammte Staatsverwal¬
tung. Die Justizpflege und Verwaltung war gut, aber für das Land unver-
hältnißmäßig kostspielig. In den untern Instanzen, wo Justiz und Verwaltung
vereinigt waren, wurde dieselbe durch nicht weniger als zehn Gerichtsämter
vertreten mit durchschnittlich etwa fünf richterlichen Beamten; für gewisse Ver¬
waltungszweige gab es zwei Landrathsämter, während die Rechtspflege in den
höhern Instanzen von zwei Kriminalgerichten und einem Appellationsgerichte
geübt wurde, über welchem noch das Oberappellationsgericht der thüringischen
Staaten in Jena stand. Bedenkt man, daß außer diesen etwa achtzig juristi¬
schen Beamten noch eine gleich große Zahl von Advokaten den Rechtsuchenden
zu dienen bereit war, so wird man zugeben, daß in Hinsicht auf die Zahl der
Beamten für eine Bevölkerung von etwa 140000 Seelen, welche ungefähr der
von zwei mäßigen preußischen Landrathsbezirken gleichkommt, überreich gesorgt
war. Daneben gab es für das Kirchenregiment ein besonderes Konsistorium,
welches über den acht Superintendenten des Landes und selbständig neben dem
Ministerium stand.

Der Beamtenstand des Herzogthums war ein im Ganzen guter. Es
waren wie anderwärts ausschließlich Inländer, die ihre Vorbildung auf dem
Landesgymnasium zu Altenburg und der Landesuniversität Jena erhielten. Bei
der großen Zahl der Beamten war die Thätigkeit des einzelnen nicht eben groß;
die Folge war, daß ein gewisser Schlendrian einriß und nun viele Beamte
erst recht nicht fertig wurden. Weil es aber lange dauerte, ehe ein Beamter
angestellt wurde, und weil man einer wohlwollenden Berücksichtigung der
Landeskinder seitens der Regierung, welche alle zu versorgen strebte, gewiß
war, vielleicht auch, weil bei der sehr stark betonten Anciennität wirkliche
Talente selten gebührend befördert wurden, so beschäftigten sich die zu¬
künftigen Beamten als Studenten mehr mit dem Verbindungswesen als mit
der Wissenschaft; denn den Eintritt in den Staatsdienst öffneten ihnen wenn
nicht Familienverbindungen, so jedenfalls das Wohlwollen der Examinatoren,
und ehe sie wirklich angestellt wurden, hofften sie noch Zeit genug zu finden,
um nachträglich das für den Dienst Nöthige sich anzueignen. Wenn man daher
von einer bekannten Persönlichkeit oft die unmuthige Aeußerung hörte, die
jungen Leute in Altenburg rutschten nur die Schulbank ab, um dann eine
Bierreise nach Jena zu machen und im Kasino der Heimatstadt den Beamten-


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[0480] Preußen; günstig aber konnte es für dieselbe natürlich nicht sein, daß die Landtags- Abgeordneten fast nur, der Natur des kleinen Landes entsprechend, aus Land¬ leuten, denen der weitere Blick und die Unbefangenheit des Urtheils fehlten, und aus Beamten bestand, die von der Regierung mehr oder weniger abhingen. Ein Ministerium mit vier Abtheilungen unter einem Chefminister und einer Menge von Räthen war die oberste Behörde für die gesammte Staatsverwal¬ tung. Die Justizpflege und Verwaltung war gut, aber für das Land unver- hältnißmäßig kostspielig. In den untern Instanzen, wo Justiz und Verwaltung vereinigt waren, wurde dieselbe durch nicht weniger als zehn Gerichtsämter vertreten mit durchschnittlich etwa fünf richterlichen Beamten; für gewisse Ver¬ waltungszweige gab es zwei Landrathsämter, während die Rechtspflege in den höhern Instanzen von zwei Kriminalgerichten und einem Appellationsgerichte geübt wurde, über welchem noch das Oberappellationsgericht der thüringischen Staaten in Jena stand. Bedenkt man, daß außer diesen etwa achtzig juristi¬ schen Beamten noch eine gleich große Zahl von Advokaten den Rechtsuchenden zu dienen bereit war, so wird man zugeben, daß in Hinsicht auf die Zahl der Beamten für eine Bevölkerung von etwa 140000 Seelen, welche ungefähr der von zwei mäßigen preußischen Landrathsbezirken gleichkommt, überreich gesorgt war. Daneben gab es für das Kirchenregiment ein besonderes Konsistorium, welches über den acht Superintendenten des Landes und selbständig neben dem Ministerium stand. Der Beamtenstand des Herzogthums war ein im Ganzen guter. Es waren wie anderwärts ausschließlich Inländer, die ihre Vorbildung auf dem Landesgymnasium zu Altenburg und der Landesuniversität Jena erhielten. Bei der großen Zahl der Beamten war die Thätigkeit des einzelnen nicht eben groß; die Folge war, daß ein gewisser Schlendrian einriß und nun viele Beamte erst recht nicht fertig wurden. Weil es aber lange dauerte, ehe ein Beamter angestellt wurde, und weil man einer wohlwollenden Berücksichtigung der Landeskinder seitens der Regierung, welche alle zu versorgen strebte, gewiß war, vielleicht auch, weil bei der sehr stark betonten Anciennität wirkliche Talente selten gebührend befördert wurden, so beschäftigten sich die zu¬ künftigen Beamten als Studenten mehr mit dem Verbindungswesen als mit der Wissenschaft; denn den Eintritt in den Staatsdienst öffneten ihnen wenn nicht Familienverbindungen, so jedenfalls das Wohlwollen der Examinatoren, und ehe sie wirklich angestellt wurden, hofften sie noch Zeit genug zu finden, um nachträglich das für den Dienst Nöthige sich anzueignen. Wenn man daher von einer bekannten Persönlichkeit oft die unmuthige Aeußerung hörte, die jungen Leute in Altenburg rutschten nur die Schulbank ab, um dann eine Bierreise nach Jena zu machen und im Kasino der Heimatstadt den Beamten-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157673/480>, abgerufen am 20.05.2024.