Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.bei den sicher zu deutenden Darstellungen zu bleiben, die Anbetung der Madonna bei den sicher zu deutenden Darstellungen zu bleiben, die Anbetung der Madonna <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0236" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/143291"/> <p xml:id="ID_692" prev="#ID_691"> bei den sicher zu deutenden Darstellungen zu bleiben, die Anbetung der Madonna<lb/> durch die heiligen drei Könige, an der äußersten Archivolte das jüngste Gericht<lb/> dargestellt. Auch dies gehört, so unwahrscheinlich es auf den ersten Blick<lb/> erscheint, in den bisherigen Vorstellungskreis. Die Vermittelung ergibt sich auf<lb/> folgendem Wege. Honorius zählt im Eingange zu seiner Auslegung des<lb/> Hohenliedes die Hochzeiten auf, die Christus „allegorisch" oder „typologisch"<lb/> gefeiert habe. Unter diesen nimmt die Vermählung mit der Kirche den ersten<lb/> Rang ein. Außerdem aber werden noch drei „Hochzeiten Christi" aus den<lb/> Evangelien gewonnen: die Menschwerdung, die Himmelfahrt und die Wiederkehr<lb/> am jüngsten Tage. Die Himmelfahrt fehlt an der Goldner Pforte — wenn<lb/> man nicht, woran kaum zu denken ist, die Ausgießung des heiligen Geistes im<lb/> dritten Bogen als Ersatz dafür nehmen will —, die beiden andern „allegorischen<lb/> Hochzeiten" aber sind vorhanden im Tympanon und an dem vierten, äußersten<lb/> Bogen. Auch den altchristlichen Hymnen ist die Auffassung des jüngsten Tages<lb/> als einer Hochzeitsfeier Christi nicht fremd; eine davon nennt das Hochzeits¬<lb/> gefolge, welches den Bräutigam dann geleiten wird: es sind die klugen Jung¬<lb/> frauen aus dem Evangelium, die in der That an zahlreichen Portalen gothi¬<lb/> scher Dome, wo der größere Raum noch eine größere Breite und Ausführ¬<lb/> lichkeit der Schilderung gestattete, neben den thörichten Jungfrauen ihre Stelle<lb/> gefunden haben. Selbst der Umstand, daß in der Anbetung der drei Könige<lb/> die Madonna mehr in den Vordergrund tritt als das Christkind und eigentlich<lb/> zur Hauptfigur wird, eine Auffassung, die dann in dem ersten Bogen, der doch<lb/> jedenfalls als Krönung Mariae aufzufassen ist, weiter klingt, hat nichts Auf¬<lb/> fälliges. Maria macht in dem Vorstellungskreise des mittelalterlichen Glaubens<lb/> eine merkwürdige Wandlung durch. Neben den Gestalten Gottvaters und<lb/> Christi tritt sie inimer bedeutungsvoller hervor, beschäftigt immer ausschließlicher<lb/> die Phantasie, und der Kreis der Symbole, in denen sie geschaut wird, wird<lb/> immer reicher. Und so wird sie denn schließlich bei Honorius geradezu mit<lb/> der „Kirche" identifizirt. Ist dies aber einmal geschehen, so übernimmt sie nun<lb/> auch die Rolle der Braut, und in der That wird sie, die Mutter (!) Christi,<lb/> in zahlreichen Sequenzen als „Braut der Gottheit", „Braut des Lammes"<lb/> (sxvQW äsiteckis, sxousch begrüßt und gepriesen. So könnte man fast<lb/> zweifeln, ob im Tympanon mehr ans die Geburt Christi und damit auf die<lb/> Hochzeit Christi bei der Menschwerdung oder auf die höchste Huldigung, welche<lb/> Maria, die Vertreterin der «ze-elssiA, auf Erden erfahren, der Nachdruck gelegt<lb/> ist, und eher möchte man das letztere annehmen, weil diese Vorstellung dann<lb/> in dem Figurenschmucke des ersten Bogens, der Krönung Mariae, also der Dar¬<lb/> stellung des höchsten Lohnes, den sie im Himmel empfängt, ihre ungesuchte<lb/> Fortsetzung und Ergänzung finden würde.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0236]
bei den sicher zu deutenden Darstellungen zu bleiben, die Anbetung der Madonna
durch die heiligen drei Könige, an der äußersten Archivolte das jüngste Gericht
dargestellt. Auch dies gehört, so unwahrscheinlich es auf den ersten Blick
erscheint, in den bisherigen Vorstellungskreis. Die Vermittelung ergibt sich auf
folgendem Wege. Honorius zählt im Eingange zu seiner Auslegung des
Hohenliedes die Hochzeiten auf, die Christus „allegorisch" oder „typologisch"
gefeiert habe. Unter diesen nimmt die Vermählung mit der Kirche den ersten
Rang ein. Außerdem aber werden noch drei „Hochzeiten Christi" aus den
Evangelien gewonnen: die Menschwerdung, die Himmelfahrt und die Wiederkehr
am jüngsten Tage. Die Himmelfahrt fehlt an der Goldner Pforte — wenn
man nicht, woran kaum zu denken ist, die Ausgießung des heiligen Geistes im
dritten Bogen als Ersatz dafür nehmen will —, die beiden andern „allegorischen
Hochzeiten" aber sind vorhanden im Tympanon und an dem vierten, äußersten
Bogen. Auch den altchristlichen Hymnen ist die Auffassung des jüngsten Tages
als einer Hochzeitsfeier Christi nicht fremd; eine davon nennt das Hochzeits¬
gefolge, welches den Bräutigam dann geleiten wird: es sind die klugen Jung¬
frauen aus dem Evangelium, die in der That an zahlreichen Portalen gothi¬
scher Dome, wo der größere Raum noch eine größere Breite und Ausführ¬
lichkeit der Schilderung gestattete, neben den thörichten Jungfrauen ihre Stelle
gefunden haben. Selbst der Umstand, daß in der Anbetung der drei Könige
die Madonna mehr in den Vordergrund tritt als das Christkind und eigentlich
zur Hauptfigur wird, eine Auffassung, die dann in dem ersten Bogen, der doch
jedenfalls als Krönung Mariae aufzufassen ist, weiter klingt, hat nichts Auf¬
fälliges. Maria macht in dem Vorstellungskreise des mittelalterlichen Glaubens
eine merkwürdige Wandlung durch. Neben den Gestalten Gottvaters und
Christi tritt sie inimer bedeutungsvoller hervor, beschäftigt immer ausschließlicher
die Phantasie, und der Kreis der Symbole, in denen sie geschaut wird, wird
immer reicher. Und so wird sie denn schließlich bei Honorius geradezu mit
der „Kirche" identifizirt. Ist dies aber einmal geschehen, so übernimmt sie nun
auch die Rolle der Braut, und in der That wird sie, die Mutter (!) Christi,
in zahlreichen Sequenzen als „Braut der Gottheit", „Braut des Lammes"
(sxvQW äsiteckis, sxousch begrüßt und gepriesen. So könnte man fast
zweifeln, ob im Tympanon mehr ans die Geburt Christi und damit auf die
Hochzeit Christi bei der Menschwerdung oder auf die höchste Huldigung, welche
Maria, die Vertreterin der «ze-elssiA, auf Erden erfahren, der Nachdruck gelegt
ist, und eher möchte man das letztere annehmen, weil diese Vorstellung dann
in dem Figurenschmucke des ersten Bogens, der Krönung Mariae, also der Dar¬
stellung des höchsten Lohnes, den sie im Himmel empfängt, ihre ungesuchte
Fortsetzung und Ergänzung finden würde.
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