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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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den drei genannten als Architekturmaler (Campo SS. Giovanni e Paolo in
Venedig) würdig an.

Das Stillleben, die Blumen- und die Früchtemalerei werde", besonders
seit der Invasion der malenden Damen, förmlich mit Dampfkraft kultivirt.
Seit Heimer ding er in Hamburg auf den geistreichen Gedanken gekommen
ist, das Publikum durch täuschend gemalte Kistendeckel mit darauf genagelten
Rebhühnern zu vexiren, ist eine wahre Kistendeckelmanie ausgebrochen. Ich
habe in der gegenwärtigen Ausstellung nicht weniger als zehn solcher Kunst¬
stückchen gezählt, die als Kuriositäten sich dem Bereiche der Kunstkritik entziehen.
In Berlin ist wohl Rene Grönland derjenige, der diese Spezialität mit dem
größten malerischen Geschick, dem besten Geschmack und dem meisten Erfolge pflegt.

Die monumentale Plastik ist durch einen Gypsabguß von Doundorfs
Corneliusstatue für Düsseldorf und von den beiden zu diesem Denkmal ge¬
hörigen Figuren der Poesie und Religion vertreten. Donndorf ist kein Künstler
von schwungvoller Phantasie, sondern ein nüchterner Realist, dessen Indivi¬
dualität sich für das Porträt ohne Zweifel besser eignet als für die Idealfigur.
Die Gestalt des großen Malers, der, wie von schöpferischer Begeisterung er¬
füllt, gen Himmel blickt, ist ihm deshalb auch besser gelungen als die weib¬
lichen Personifikationen, die von einer gewissen Trockenheit in der Auffassung
nicht freizusprechen sind. Indessen wird man gegen die meisten übrigen Ver¬
treter des Realismus, welche auf der Kunstausstellung erschienen sind, denselben
Vorwurf erheben müssen. Wer sich von der akademischen Schablone sern zu
halten sucht und uach Charakter strebt, fällt leicht einem prosaischen Zuge an¬
heim, der durch die hauptsächliche Beschäftigung unserer Bildhauer mit der
Porträtplastik noch verstärkt wird, vorausgesetzt, daß er nicht über einen so
reichen poetischen Fonds gebietet wie Reinhold Begas. Seine Personifikation
des "Reichthums" haben wir schon erwähnt. Künstlerisch höher steht jedoch
seine Büste des Grafen Moltke oder vielmehr nur der Kopf desselben, der kurz
unter dem Halse abgeschnitten ans einen Büstenfuß gesetzt ist, ein wahres
Wunderwerk der Physiognomik. Obwohl der Künstler, seinen naturalistischen
Prinzipien folgend, jede Falte, jede Runzel, jede Ader nachgebildet, ja sogar
die Perrücke als solche mit geradezu stupender Meisterschaft charakteristrt hat,
hat er über der Imitation dieser scheinbar so kleinlichen Einzelheiten den gei¬
stigen Inhalt des Kopfes nicht vergessen, hat er die Herrschaft über den Ge¬
sichtscharakter, der eine Summe von geistigen Eigenthümlichkeiten zu präzisen
Ausdruck zu bringen hat, nicht verloren. In seiner minutiösen Ausführung
und in seiner scharfen Erfassung des Geistigen darf sich dieses Werk des moder¬
nen Künstlers mit den besten Porträtschöpfungen der großen Meister der italie-


den drei genannten als Architekturmaler (Campo SS. Giovanni e Paolo in
Venedig) würdig an.

Das Stillleben, die Blumen- und die Früchtemalerei werde», besonders
seit der Invasion der malenden Damen, förmlich mit Dampfkraft kultivirt.
Seit Heimer ding er in Hamburg auf den geistreichen Gedanken gekommen
ist, das Publikum durch täuschend gemalte Kistendeckel mit darauf genagelten
Rebhühnern zu vexiren, ist eine wahre Kistendeckelmanie ausgebrochen. Ich
habe in der gegenwärtigen Ausstellung nicht weniger als zehn solcher Kunst¬
stückchen gezählt, die als Kuriositäten sich dem Bereiche der Kunstkritik entziehen.
In Berlin ist wohl Rene Grönland derjenige, der diese Spezialität mit dem
größten malerischen Geschick, dem besten Geschmack und dem meisten Erfolge pflegt.

Die monumentale Plastik ist durch einen Gypsabguß von Doundorfs
Corneliusstatue für Düsseldorf und von den beiden zu diesem Denkmal ge¬
hörigen Figuren der Poesie und Religion vertreten. Donndorf ist kein Künstler
von schwungvoller Phantasie, sondern ein nüchterner Realist, dessen Indivi¬
dualität sich für das Porträt ohne Zweifel besser eignet als für die Idealfigur.
Die Gestalt des großen Malers, der, wie von schöpferischer Begeisterung er¬
füllt, gen Himmel blickt, ist ihm deshalb auch besser gelungen als die weib¬
lichen Personifikationen, die von einer gewissen Trockenheit in der Auffassung
nicht freizusprechen sind. Indessen wird man gegen die meisten übrigen Ver¬
treter des Realismus, welche auf der Kunstausstellung erschienen sind, denselben
Vorwurf erheben müssen. Wer sich von der akademischen Schablone sern zu
halten sucht und uach Charakter strebt, fällt leicht einem prosaischen Zuge an¬
heim, der durch die hauptsächliche Beschäftigung unserer Bildhauer mit der
Porträtplastik noch verstärkt wird, vorausgesetzt, daß er nicht über einen so
reichen poetischen Fonds gebietet wie Reinhold Begas. Seine Personifikation
des „Reichthums" haben wir schon erwähnt. Künstlerisch höher steht jedoch
seine Büste des Grafen Moltke oder vielmehr nur der Kopf desselben, der kurz
unter dem Halse abgeschnitten ans einen Büstenfuß gesetzt ist, ein wahres
Wunderwerk der Physiognomik. Obwohl der Künstler, seinen naturalistischen
Prinzipien folgend, jede Falte, jede Runzel, jede Ader nachgebildet, ja sogar
die Perrücke als solche mit geradezu stupender Meisterschaft charakteristrt hat,
hat er über der Imitation dieser scheinbar so kleinlichen Einzelheiten den gei¬
stigen Inhalt des Kopfes nicht vergessen, hat er die Herrschaft über den Ge¬
sichtscharakter, der eine Summe von geistigen Eigenthümlichkeiten zu präzisen
Ausdruck zu bringen hat, nicht verloren. In seiner minutiösen Ausführung
und in seiner scharfen Erfassung des Geistigen darf sich dieses Werk des moder¬
nen Künstlers mit den besten Porträtschöpfungen der großen Meister der italie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/41>, abgerufen am 18.05.2024.