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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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dem preußischen Staatshaushalte ist bereits für das laufende Jahr verschwunden,
obwohl es vor sechs Monaten nach der damaligen Sachlage vorausgesehen
werden mußte. Es werden also im nächsten Jahr voraussichtlich aus den Reichs¬
überschüssen Summen verfügbar werden, welche in Verbindung, aber auch nur
in dieser Verbindung, mit den jetzt vorgeschlagenen Steuerquellen die Ausführung
der Reform gestatten.

Dies Alles möge sich der Reichstag klar machen. Versäumt man, diese
Klarheit zu gewinnen, gefällt man sich dafür in allerlei Phrasen, denen keine
Gedanken zu Grunde liegen, wie z. B. es müsse erst das Bedürfniß neuer
Steuererhvhungen nachgewiesen werden u. s. w., so steuert man, wie wir glauben,
auf einen Konflikt und eine neue Auflösung los. Man überlege sich doch nur,
daß die Steuerreform auf den Weg kleiner Bissen verweisen so viel heißt, als
ihre Durchführung im höchsten Grade problematisch machen, wenn nicht gar sie
vereiteln. Der Kanzler wird sich aber diesen großen Gedanken nicht entreißen
lassen. Nicht darum, wie wir hoffen, weil es ein letzter Gedanke wäre, sondern
darum, weil die Steuerreform die Voraussetzung eines weit größeren Werkes
ist, daß man unter dem Namen Socialreform zusammenfaßt und dessen Be¬
wältigung nicht die Sache uur einer Generation sein kann. Wohl aber wäre
die Aufrichtung von Wegweisern auf diesem Gebiete der würdige Abschluß der
Thäti ^ gkeit des Fürsten Bismarck.




Literatur.
Aus der neuen Hexenküche. Skizze des Spiritistentreibens von Hermann
Vogel. Berlin, Oppenheim, 1880.

Wie viel von den "Manifestationen des Geistes", wie sie uns von den An¬
hängern des Spiritismus berichtet werden, wirkliche, aber noch unbekannte und
unerklärte Naturerscheinungen sind und wie viel Betrug, ist schwer zu sagen. Jeden¬
falls ist von den ersteren ungeheuer wenig darunter und nur soviel als aus¬
reichend ist, uns den Betrug zu verdecken; wenn man nicht etwa sagen will, daß
ja auch der raffinirte Betrug und der verfeinerte Schwindel gewisser gönttemon eine
Naturerscheinung sei, nämlich eine soeialphysiologische oder in vielen Fällen wohl
gar socialpathologische, und daß den wissenschaftlichen Forscher an der ganzen Ge¬
schichte eigentlich nur die gesellschaftliche Krankheitserscheinung interessiren könne. Zu
dieser Ansicht berechtigt uns wenigstens die äußerst lehrreiche Geschichte des Spiri¬
tismus der fünfziger Jahre, welche von der vorliegenden Brochüre zu wenig in den
Vordergrund gestellt wird und welche man am besten bei Dixon nachliest; und nicht
minder berechtigen dazu die vielfachen spiritistischen Schwindeleien der neueren Zeit.
Erst in diesen Tagen lief die Nachricht durch die Zeitungen, daß das berühmte Me-


dem preußischen Staatshaushalte ist bereits für das laufende Jahr verschwunden,
obwohl es vor sechs Monaten nach der damaligen Sachlage vorausgesehen
werden mußte. Es werden also im nächsten Jahr voraussichtlich aus den Reichs¬
überschüssen Summen verfügbar werden, welche in Verbindung, aber auch nur
in dieser Verbindung, mit den jetzt vorgeschlagenen Steuerquellen die Ausführung
der Reform gestatten.

Dies Alles möge sich der Reichstag klar machen. Versäumt man, diese
Klarheit zu gewinnen, gefällt man sich dafür in allerlei Phrasen, denen keine
Gedanken zu Grunde liegen, wie z. B. es müsse erst das Bedürfniß neuer
Steuererhvhungen nachgewiesen werden u. s. w., so steuert man, wie wir glauben,
auf einen Konflikt und eine neue Auflösung los. Man überlege sich doch nur,
daß die Steuerreform auf den Weg kleiner Bissen verweisen so viel heißt, als
ihre Durchführung im höchsten Grade problematisch machen, wenn nicht gar sie
vereiteln. Der Kanzler wird sich aber diesen großen Gedanken nicht entreißen
lassen. Nicht darum, wie wir hoffen, weil es ein letzter Gedanke wäre, sondern
darum, weil die Steuerreform die Voraussetzung eines weit größeren Werkes
ist, daß man unter dem Namen Socialreform zusammenfaßt und dessen Be¬
wältigung nicht die Sache uur einer Generation sein kann. Wohl aber wäre
die Aufrichtung von Wegweisern auf diesem Gebiete der würdige Abschluß der
Thäti ^ gkeit des Fürsten Bismarck.




Literatur.
Aus der neuen Hexenküche. Skizze des Spiritistentreibens von Hermann
Vogel. Berlin, Oppenheim, 1880.

Wie viel von den „Manifestationen des Geistes", wie sie uns von den An¬
hängern des Spiritismus berichtet werden, wirkliche, aber noch unbekannte und
unerklärte Naturerscheinungen sind und wie viel Betrug, ist schwer zu sagen. Jeden¬
falls ist von den ersteren ungeheuer wenig darunter und nur soviel als aus¬
reichend ist, uns den Betrug zu verdecken; wenn man nicht etwa sagen will, daß
ja auch der raffinirte Betrug und der verfeinerte Schwindel gewisser gönttemon eine
Naturerscheinung sei, nämlich eine soeialphysiologische oder in vielen Fällen wohl
gar socialpathologische, und daß den wissenschaftlichen Forscher an der ganzen Ge¬
schichte eigentlich nur die gesellschaftliche Krankheitserscheinung interessiren könne. Zu
dieser Ansicht berechtigt uns wenigstens die äußerst lehrreiche Geschichte des Spiri¬
tismus der fünfziger Jahre, welche von der vorliegenden Brochüre zu wenig in den
Vordergrund gestellt wird und welche man am besten bei Dixon nachliest; und nicht
minder berechtigen dazu die vielfachen spiritistischen Schwindeleien der neueren Zeit.
Erst in diesen Tagen lief die Nachricht durch die Zeitungen, daß das berühmte Me-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/178>, abgerufen am 24.05.2024.