Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

ruhigen werde, besonders da, wie nach verschiedenen hocherfreulichen Erscheinungen
auf gewerblichen Gebiete zu hoffen steht, die traurigen Zustände der deutschen
Industrie sich in Folge des Schutzes, den ihr die im Laufe des verflossenen Jahres
in Betreff der Concurrenz des Auslandes ergangenen Gesetze gewährt haben,
bald besseren Platz machen werden und mit der Lage der Arbeitgeber natur¬
gemäß auch die der Arbeitnehmer sich erheblich günstiger gestalten wird.

Das wichtigste Ereigniß des vergangenen Jahres war sür Deutschland die
große wirthschaftliche Reform, deren wir soeben gedachten, die Rückkehr von
den Grundsätzen des absoluten Freihandels mit seiner kosmopolitischen Doctrin
zur Berücksichtigung der nationalen Interessen und die Anbahnung eines Steuer¬
systems, welches Erleichterung der mittleren Klassen anstrebt, sowie -- was
nicht geringere Bedeutung hat -- die Herausbildung eiues Verhältnisses, durch
welches das Reich finanziell auf eigne Füße gestellt wird. Diese Reform ist
mit Hilfe der Ultramontanen durchgesetzt worden, die sich theils dadurch Nach¬
giebigkeit des Reichskanzlers gegenüber ihren kirchlichen Bestrebungen zu er¬
werben hofften, theils Rücksicht auf ihre Wähler in Fabrikkreisen zu nehmen
hatten- Die Nationalliberalen, schon früher mit dem leitenden Staatskanzler
grollend, von ihrem linken Flügel bestimmt und zu einem großen Theile den
Lehren der Manchesterpartei zugethan, standen in dem Streite, der über die
betreffenden Gesetzvorschläge entbrannte, ihrer Mehrzahl nach auf der Seite der
Opposition und erlitten mit dieser die große Niederlage, die vorauszusehen war,
als man den Kanzler in der Verfolgung seiner Absichten fest fand. Sie in
ihrer damaligen Zusammensetzung und mit ihrer damaligen Führung haben
dann, zum Theil im Verein mit der Fortschrittspartei, von der Art, in welcher
die Entscheidung fiel, allerlei Unheil geweissagt und von ihr auch politischen
Nachtheil fürchten wollen. Das wird abzuwarten sein und aller Wahrschein¬
lichkeit nach sich uicht erfüllen, und dieser Meinung waren auch weite Kreise
des Volkes in Preußen, als es das Abgeordnetenhaus zu erneuern galt. Diese
preußischen Wahlen waren eine zweite Niederlage der liberalen Parteien, welche
namentlich jenen linken Flügel der Nativnalliberalen empfindlich traf und so
eine Purisication der Partei herbeiführte, die wir von Herzen begrüßen, da sie
der Ausartung, der Abirrung dieses Verbandes von Politikern von dessen
ursprünglichem Ziel und Wesen ein Ende zu machen und erneutes Zusammen¬
gehen desselben mit dem Leiter der Regierung zu ermöglichen verspricht.

Besonders charakteristisch für diesen Umschwung in deu Wählerkreisen und
zugleich besonders erfreulich war, daß Herrn Lasters Bemühungen, wieder ein
Mandat zu erhalten, wiederholt scheiterten. Während Herr v. Bennigsen, der
zu Anfang der Wahlbewegung erklärt hatte, ein Mandat nicht wieder annehmen
zu wollen, in seinem alten Wahlkreise wie früher die Majorität der Stimmen


ruhigen werde, besonders da, wie nach verschiedenen hocherfreulichen Erscheinungen
auf gewerblichen Gebiete zu hoffen steht, die traurigen Zustände der deutschen
Industrie sich in Folge des Schutzes, den ihr die im Laufe des verflossenen Jahres
in Betreff der Concurrenz des Auslandes ergangenen Gesetze gewährt haben,
bald besseren Platz machen werden und mit der Lage der Arbeitgeber natur¬
gemäß auch die der Arbeitnehmer sich erheblich günstiger gestalten wird.

Das wichtigste Ereigniß des vergangenen Jahres war sür Deutschland die
große wirthschaftliche Reform, deren wir soeben gedachten, die Rückkehr von
den Grundsätzen des absoluten Freihandels mit seiner kosmopolitischen Doctrin
zur Berücksichtigung der nationalen Interessen und die Anbahnung eines Steuer¬
systems, welches Erleichterung der mittleren Klassen anstrebt, sowie — was
nicht geringere Bedeutung hat — die Herausbildung eiues Verhältnisses, durch
welches das Reich finanziell auf eigne Füße gestellt wird. Diese Reform ist
mit Hilfe der Ultramontanen durchgesetzt worden, die sich theils dadurch Nach¬
giebigkeit des Reichskanzlers gegenüber ihren kirchlichen Bestrebungen zu er¬
werben hofften, theils Rücksicht auf ihre Wähler in Fabrikkreisen zu nehmen
hatten- Die Nationalliberalen, schon früher mit dem leitenden Staatskanzler
grollend, von ihrem linken Flügel bestimmt und zu einem großen Theile den
Lehren der Manchesterpartei zugethan, standen in dem Streite, der über die
betreffenden Gesetzvorschläge entbrannte, ihrer Mehrzahl nach auf der Seite der
Opposition und erlitten mit dieser die große Niederlage, die vorauszusehen war,
als man den Kanzler in der Verfolgung seiner Absichten fest fand. Sie in
ihrer damaligen Zusammensetzung und mit ihrer damaligen Führung haben
dann, zum Theil im Verein mit der Fortschrittspartei, von der Art, in welcher
die Entscheidung fiel, allerlei Unheil geweissagt und von ihr auch politischen
Nachtheil fürchten wollen. Das wird abzuwarten sein und aller Wahrschein¬
lichkeit nach sich uicht erfüllen, und dieser Meinung waren auch weite Kreise
des Volkes in Preußen, als es das Abgeordnetenhaus zu erneuern galt. Diese
preußischen Wahlen waren eine zweite Niederlage der liberalen Parteien, welche
namentlich jenen linken Flügel der Nativnalliberalen empfindlich traf und so
eine Purisication der Partei herbeiführte, die wir von Herzen begrüßen, da sie
der Ausartung, der Abirrung dieses Verbandes von Politikern von dessen
ursprünglichem Ziel und Wesen ein Ende zu machen und erneutes Zusammen¬
gehen desselben mit dem Leiter der Regierung zu ermöglichen verspricht.

Besonders charakteristisch für diesen Umschwung in deu Wählerkreisen und
zugleich besonders erfreulich war, daß Herrn Lasters Bemühungen, wieder ein
Mandat zu erhalten, wiederholt scheiterten. Während Herr v. Bennigsen, der
zu Anfang der Wahlbewegung erklärt hatte, ein Mandat nicht wieder annehmen
zu wollen, in seinem alten Wahlkreise wie früher die Majorität der Stimmen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0010" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/145939"/>
          <p xml:id="ID_5" prev="#ID_4"> ruhigen werde, besonders da, wie nach verschiedenen hocherfreulichen Erscheinungen<lb/>
auf gewerblichen Gebiete zu hoffen steht, die traurigen Zustände der deutschen<lb/>
Industrie sich in Folge des Schutzes, den ihr die im Laufe des verflossenen Jahres<lb/>
in Betreff der Concurrenz des Auslandes ergangenen Gesetze gewährt haben,<lb/>
bald besseren Platz machen werden und mit der Lage der Arbeitgeber natur¬<lb/>
gemäß auch die der Arbeitnehmer sich erheblich günstiger gestalten wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_6"> Das wichtigste Ereigniß des vergangenen Jahres war sür Deutschland die<lb/>
große wirthschaftliche Reform, deren wir soeben gedachten, die Rückkehr von<lb/>
den Grundsätzen des absoluten Freihandels mit seiner kosmopolitischen Doctrin<lb/>
zur Berücksichtigung der nationalen Interessen und die Anbahnung eines Steuer¬<lb/>
systems, welches Erleichterung der mittleren Klassen anstrebt, sowie &#x2014; was<lb/>
nicht geringere Bedeutung hat &#x2014; die Herausbildung eiues Verhältnisses, durch<lb/>
welches das Reich finanziell auf eigne Füße gestellt wird. Diese Reform ist<lb/>
mit Hilfe der Ultramontanen durchgesetzt worden, die sich theils dadurch Nach¬<lb/>
giebigkeit des Reichskanzlers gegenüber ihren kirchlichen Bestrebungen zu er¬<lb/>
werben hofften, theils Rücksicht auf ihre Wähler in Fabrikkreisen zu nehmen<lb/>
hatten- Die Nationalliberalen, schon früher mit dem leitenden Staatskanzler<lb/>
grollend, von ihrem linken Flügel bestimmt und zu einem großen Theile den<lb/>
Lehren der Manchesterpartei zugethan, standen in dem Streite, der über die<lb/>
betreffenden Gesetzvorschläge entbrannte, ihrer Mehrzahl nach auf der Seite der<lb/>
Opposition und erlitten mit dieser die große Niederlage, die vorauszusehen war,<lb/>
als man den Kanzler in der Verfolgung seiner Absichten fest fand. Sie in<lb/>
ihrer damaligen Zusammensetzung und mit ihrer damaligen Führung haben<lb/>
dann, zum Theil im Verein mit der Fortschrittspartei, von der Art, in welcher<lb/>
die Entscheidung fiel, allerlei Unheil geweissagt und von ihr auch politischen<lb/>
Nachtheil fürchten wollen. Das wird abzuwarten sein und aller Wahrschein¬<lb/>
lichkeit nach sich uicht erfüllen, und dieser Meinung waren auch weite Kreise<lb/>
des Volkes in Preußen, als es das Abgeordnetenhaus zu erneuern galt. Diese<lb/>
preußischen Wahlen waren eine zweite Niederlage der liberalen Parteien, welche<lb/>
namentlich jenen linken Flügel der Nativnalliberalen empfindlich traf und so<lb/>
eine Purisication der Partei herbeiführte, die wir von Herzen begrüßen, da sie<lb/>
der Ausartung, der Abirrung dieses Verbandes von Politikern von dessen<lb/>
ursprünglichem Ziel und Wesen ein Ende zu machen und erneutes Zusammen¬<lb/>
gehen desselben mit dem Leiter der Regierung zu ermöglichen verspricht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_7" next="#ID_8"> Besonders charakteristisch für diesen Umschwung in deu Wählerkreisen und<lb/>
zugleich besonders erfreulich war, daß Herrn Lasters Bemühungen, wieder ein<lb/>
Mandat zu erhalten, wiederholt scheiterten. Während Herr v. Bennigsen, der<lb/>
zu Anfang der Wahlbewegung erklärt hatte, ein Mandat nicht wieder annehmen<lb/>
zu wollen, in seinem alten Wahlkreise wie früher die Majorität der Stimmen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0010] ruhigen werde, besonders da, wie nach verschiedenen hocherfreulichen Erscheinungen auf gewerblichen Gebiete zu hoffen steht, die traurigen Zustände der deutschen Industrie sich in Folge des Schutzes, den ihr die im Laufe des verflossenen Jahres in Betreff der Concurrenz des Auslandes ergangenen Gesetze gewährt haben, bald besseren Platz machen werden und mit der Lage der Arbeitgeber natur¬ gemäß auch die der Arbeitnehmer sich erheblich günstiger gestalten wird. Das wichtigste Ereigniß des vergangenen Jahres war sür Deutschland die große wirthschaftliche Reform, deren wir soeben gedachten, die Rückkehr von den Grundsätzen des absoluten Freihandels mit seiner kosmopolitischen Doctrin zur Berücksichtigung der nationalen Interessen und die Anbahnung eines Steuer¬ systems, welches Erleichterung der mittleren Klassen anstrebt, sowie — was nicht geringere Bedeutung hat — die Herausbildung eiues Verhältnisses, durch welches das Reich finanziell auf eigne Füße gestellt wird. Diese Reform ist mit Hilfe der Ultramontanen durchgesetzt worden, die sich theils dadurch Nach¬ giebigkeit des Reichskanzlers gegenüber ihren kirchlichen Bestrebungen zu er¬ werben hofften, theils Rücksicht auf ihre Wähler in Fabrikkreisen zu nehmen hatten- Die Nationalliberalen, schon früher mit dem leitenden Staatskanzler grollend, von ihrem linken Flügel bestimmt und zu einem großen Theile den Lehren der Manchesterpartei zugethan, standen in dem Streite, der über die betreffenden Gesetzvorschläge entbrannte, ihrer Mehrzahl nach auf der Seite der Opposition und erlitten mit dieser die große Niederlage, die vorauszusehen war, als man den Kanzler in der Verfolgung seiner Absichten fest fand. Sie in ihrer damaligen Zusammensetzung und mit ihrer damaligen Führung haben dann, zum Theil im Verein mit der Fortschrittspartei, von der Art, in welcher die Entscheidung fiel, allerlei Unheil geweissagt und von ihr auch politischen Nachtheil fürchten wollen. Das wird abzuwarten sein und aller Wahrschein¬ lichkeit nach sich uicht erfüllen, und dieser Meinung waren auch weite Kreise des Volkes in Preußen, als es das Abgeordnetenhaus zu erneuern galt. Diese preußischen Wahlen waren eine zweite Niederlage der liberalen Parteien, welche namentlich jenen linken Flügel der Nativnalliberalen empfindlich traf und so eine Purisication der Partei herbeiführte, die wir von Herzen begrüßen, da sie der Ausartung, der Abirrung dieses Verbandes von Politikern von dessen ursprünglichem Ziel und Wesen ein Ende zu machen und erneutes Zusammen¬ gehen desselben mit dem Leiter der Regierung zu ermöglichen verspricht. Besonders charakteristisch für diesen Umschwung in deu Wählerkreisen und zugleich besonders erfreulich war, daß Herrn Lasters Bemühungen, wieder ein Mandat zu erhalten, wiederholt scheiterten. Während Herr v. Bennigsen, der zu Anfang der Wahlbewegung erklärt hatte, ein Mandat nicht wieder annehmen zu wollen, in seinem alten Wahlkreise wie früher die Majorität der Stimmen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/10
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/10>, abgerufen am 18.05.2024.