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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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als Schirmvogt der kleinen deutschen Staaten zu beginnen, wie Gagern be¬
richtet, alln as us laisssr es rSIs S, ig. Vranizs.

So schleppten sich die Verhandlungen mit steigender Erbitterung den
December 1814 und den Januar 1815 hindurch fort, es kam zuletzt zu einer
geheimen Koalition Oesterreichs, Englands und Frankreichs, der Kaiser Franz
sprach offen von Krieg und erklärte in einem Gespräche mit Abgeordneten der
ehemaligen Reichsritterschaft: "Der König von Sachsen muß sein Land wieder¬
sahen, sonst schieße ich."

In dieser Erhitzung trat Castlereagh, der sich inzwischen besonnen, daß man
in England keinen neuen Krieg, sondern Frieden wollte, besänftigend ein. Er
erklärte in einer Conferenz am 9. Januar mit Nachdruck zu Protokoll, daß
man die Frage, wie Preußen durch einen Theil Sachsens entschädigt werden
solle, von der Entscheidung der Mächte, nicht, wie bisher von den drei Ver¬
bündeten beabsichtigt worden, vom Willen des Königs Friedrich August abhängig
machen müsse, und blieb dabei, obgleich Kaiser Franz ihn persönlich umzu¬
stimmen versuchte. So kamen die Dinge endlich wieder in die Bahn ruhiger
Erörterung, und es handelte sich nur noch darum, wie viel Preußen von Sachsen
erhalten solle. Ende Januar wurde allein noch über die Abtretung von Leipzig
und der Festung Torgau verhandelt. Oesterreich erbot sich, um Sachsen beide
Städte zu erhalten, von dem galizischen Kreise Tarnopol einen Strich mit
200000 Seelen an Rußland zu überlassen, wenn dieses dafür ein Stück Land
an der Wartha mit ebensoviel Einwohnern an Preußen abtreten wolle. Der
Kaiser Alexander lehnte diesen Vorschlag ab, und so wurde durch Castlereaghs
Bemühungen Torgau für Preußen und Leipzig für Sachsen bestimmt.

Der Kaiser von Rußland trägt also die alleinige Schuld, daß Preuße"
nicht mindestens die Grenzlinie Thorn-Wartha bekommen hat. Stein sagt in
dieser Beziehung über ihn mit gutem Grunde: "Der Kaiser Alexander erscheint
in dem Lichte, das Vertrauen, welches ihm seine Bundesgenossen schenkten, mi߬
braucht zu haben, um die Entscheidung der polnischen Angelegenheiten bis zu
einer Zeit auszusetzen, wo er Alles zu seinem Vortheile vorbereitet und eine
drohende und entscheidende Stellung angenommen habe." Niemann aber ergänzt
dieses Urtheil mit gleichem Rechte a. a. Orte (S. 38 fg.) dahin, "daß Alexander
einen Mißbrauch mit dem Dankbarkeitsgefühle des Königs Friedrich Wilhelm
getrieben hat. Ihm lag vor Allem daran, Preußen in eine unbedingte Abhän¬
gigkeit von Rußland zu bringen, was ihm auch in dein Grade gelang, daß die¬
selbe bis zum Jahre 1866 oder bis zur Wiederaufrichtung des deutschen Reiches
gedauert hat." -- "Er hat gehandelt, wie Parteien in einem Prozeß, die den
gegnerischen Anspruch für gerechtfertigt erachten müssen, zu handeln Pflegen,


als Schirmvogt der kleinen deutschen Staaten zu beginnen, wie Gagern be¬
richtet, alln as us laisssr es rSIs S, ig. Vranizs.

So schleppten sich die Verhandlungen mit steigender Erbitterung den
December 1814 und den Januar 1815 hindurch fort, es kam zuletzt zu einer
geheimen Koalition Oesterreichs, Englands und Frankreichs, der Kaiser Franz
sprach offen von Krieg und erklärte in einem Gespräche mit Abgeordneten der
ehemaligen Reichsritterschaft: „Der König von Sachsen muß sein Land wieder¬
sahen, sonst schieße ich."

In dieser Erhitzung trat Castlereagh, der sich inzwischen besonnen, daß man
in England keinen neuen Krieg, sondern Frieden wollte, besänftigend ein. Er
erklärte in einer Conferenz am 9. Januar mit Nachdruck zu Protokoll, daß
man die Frage, wie Preußen durch einen Theil Sachsens entschädigt werden
solle, von der Entscheidung der Mächte, nicht, wie bisher von den drei Ver¬
bündeten beabsichtigt worden, vom Willen des Königs Friedrich August abhängig
machen müsse, und blieb dabei, obgleich Kaiser Franz ihn persönlich umzu¬
stimmen versuchte. So kamen die Dinge endlich wieder in die Bahn ruhiger
Erörterung, und es handelte sich nur noch darum, wie viel Preußen von Sachsen
erhalten solle. Ende Januar wurde allein noch über die Abtretung von Leipzig
und der Festung Torgau verhandelt. Oesterreich erbot sich, um Sachsen beide
Städte zu erhalten, von dem galizischen Kreise Tarnopol einen Strich mit
200000 Seelen an Rußland zu überlassen, wenn dieses dafür ein Stück Land
an der Wartha mit ebensoviel Einwohnern an Preußen abtreten wolle. Der
Kaiser Alexander lehnte diesen Vorschlag ab, und so wurde durch Castlereaghs
Bemühungen Torgau für Preußen und Leipzig für Sachsen bestimmt.

Der Kaiser von Rußland trägt also die alleinige Schuld, daß Preuße»
nicht mindestens die Grenzlinie Thorn-Wartha bekommen hat. Stein sagt in
dieser Beziehung über ihn mit gutem Grunde: „Der Kaiser Alexander erscheint
in dem Lichte, das Vertrauen, welches ihm seine Bundesgenossen schenkten, mi߬
braucht zu haben, um die Entscheidung der polnischen Angelegenheiten bis zu
einer Zeit auszusetzen, wo er Alles zu seinem Vortheile vorbereitet und eine
drohende und entscheidende Stellung angenommen habe." Niemann aber ergänzt
dieses Urtheil mit gleichem Rechte a. a. Orte (S. 38 fg.) dahin, „daß Alexander
einen Mißbrauch mit dem Dankbarkeitsgefühle des Königs Friedrich Wilhelm
getrieben hat. Ihm lag vor Allem daran, Preußen in eine unbedingte Abhän¬
gigkeit von Rußland zu bringen, was ihm auch in dein Grade gelang, daß die¬
selbe bis zum Jahre 1866 oder bis zur Wiederaufrichtung des deutschen Reiches
gedauert hat." — „Er hat gehandelt, wie Parteien in einem Prozeß, die den
gegnerischen Anspruch für gerechtfertigt erachten müssen, zu handeln Pflegen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/195>, abgerufen am 19.05.2024.