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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Gegen Sttdosten grenzt es sich gegen die Bulgaren, im Norden gegen die
Montenegriner deutlicher und schärfer ab, und im Westen erstreckt sich die alba-
nesische Bevölkerung zwischen Dulcigno (türkisch Min) im Norden und den
Ruinen von Nikopolis bis ans Adriatische Meer. Doch bedient sich ein großer
Theil der Südalbanesen seit geraumer Zeit der griechischen Sprache, welche sich
von der alten Sprache des Volkes ebenso sehr unterscheidet, wie diese vom Idiom
der serbischen und bulgarischen Nachbarn.

Da in den türkischen Provinzen die Statistik so gut wie unbekannt ist und
Volkszählungen wegen des Haremsgeheimnisses nicht vorkommen, so läßt sich
die Zahl der Albanesen mit Bestimmtheit nicht angeben. Hahn schätzte sie auf
etwa 1600000, Miklositsch dagegen auf 1900000 Seelen, und Becker meint,
daß die letztere Schätzung der Wahrheit sehr nahe kommen werde. Vom ethno¬
graphischen Standpunkte betrachtet, zerfallen die Albanesen in zwei Unterabthei-
lungen: die Geghen, die den Norden bis zum Schkumbi-Flusse innehaben, und
die den Süden bewohnenden Tosken. Die letzteren theilen sich in drei große
Stämme: die Tschcimi, die von Nikopolis bis nach Delpino, die Liapi, die von
hier bis an die Vojuzza, und die eigentlichen Tosken, die vom Ufer der Vojuzza
bis nach Argyrokastro hin angesiedelt sind. Die Geghen, welche sich von den
Tosken durch einen rauheren Dialekt unterscheiden und härtere Charakterzüge
zeigen, was namentlich von den Gebirgsleuten unter ihnen gilt, sind in eine
große Anzahl von Familien oder Claus gespalten, von denen einer, die Miri-
diten, an 20000 Köpfe zählt, während die kleinsten deren nur 1000 bis 1500
haben. Man kann sie in Gebirgsbewohner und Leute der Thäler und Ebenen
theilen; jene sind von der Pforte fast ganz unabhängig, diese haben sich den
Befehlen der türkischen Beamten zu fügen.

Der Religion nach sind die Albanesen zu beinahe zwei Dritteln ihrer Zahl
Muhammedaner, etwa 500000 gehören der morgenländisch-orthodoxen und
150000 der römisch-katholischen Kirche an. Die Orthodoxen wohnen vorzüglich
im Süden, die Katholiken im Norden und in der Mitte des Landes in den
Bergen. Die geghischen Claus im Gebirge werden mit dem Gescnnmtnamen
Malisori bezeichnet. Die hauptsächlichsten derselben sind die in drei Bayraks
(Fahnen) getheilten Klementi an den Quellen des Sem, die Pulati und Gruda
im Südosten der montenegrinischen Stadt Podgoritza, die christlichen Triebitschi
am mittleren Laufe des Sem, die gleichfalls christlichen Hotel, Nachbarn der
Montenegriner am Hotel-Golfe des Skutari-Sees und ebenfalls in drei Bay¬
raks organisirt, und die katholischen Castratti, die neben den letzteren am Ufer
jenes Sees ansässig sind. Ferner gehören zu den Malisori die Claus von
Posripa am AbHange des Berges Zuccali, die statu, Temali, Dusmcmi und
Toplcma, sämmtlich römisch-katholischen Bekenntnisses, die ebenfalls diesem


Gegen Sttdosten grenzt es sich gegen die Bulgaren, im Norden gegen die
Montenegriner deutlicher und schärfer ab, und im Westen erstreckt sich die alba-
nesische Bevölkerung zwischen Dulcigno (türkisch Min) im Norden und den
Ruinen von Nikopolis bis ans Adriatische Meer. Doch bedient sich ein großer
Theil der Südalbanesen seit geraumer Zeit der griechischen Sprache, welche sich
von der alten Sprache des Volkes ebenso sehr unterscheidet, wie diese vom Idiom
der serbischen und bulgarischen Nachbarn.

Da in den türkischen Provinzen die Statistik so gut wie unbekannt ist und
Volkszählungen wegen des Haremsgeheimnisses nicht vorkommen, so läßt sich
die Zahl der Albanesen mit Bestimmtheit nicht angeben. Hahn schätzte sie auf
etwa 1600000, Miklositsch dagegen auf 1900000 Seelen, und Becker meint,
daß die letztere Schätzung der Wahrheit sehr nahe kommen werde. Vom ethno¬
graphischen Standpunkte betrachtet, zerfallen die Albanesen in zwei Unterabthei-
lungen: die Geghen, die den Norden bis zum Schkumbi-Flusse innehaben, und
die den Süden bewohnenden Tosken. Die letzteren theilen sich in drei große
Stämme: die Tschcimi, die von Nikopolis bis nach Delpino, die Liapi, die von
hier bis an die Vojuzza, und die eigentlichen Tosken, die vom Ufer der Vojuzza
bis nach Argyrokastro hin angesiedelt sind. Die Geghen, welche sich von den
Tosken durch einen rauheren Dialekt unterscheiden und härtere Charakterzüge
zeigen, was namentlich von den Gebirgsleuten unter ihnen gilt, sind in eine
große Anzahl von Familien oder Claus gespalten, von denen einer, die Miri-
diten, an 20000 Köpfe zählt, während die kleinsten deren nur 1000 bis 1500
haben. Man kann sie in Gebirgsbewohner und Leute der Thäler und Ebenen
theilen; jene sind von der Pforte fast ganz unabhängig, diese haben sich den
Befehlen der türkischen Beamten zu fügen.

Der Religion nach sind die Albanesen zu beinahe zwei Dritteln ihrer Zahl
Muhammedaner, etwa 500000 gehören der morgenländisch-orthodoxen und
150000 der römisch-katholischen Kirche an. Die Orthodoxen wohnen vorzüglich
im Süden, die Katholiken im Norden und in der Mitte des Landes in den
Bergen. Die geghischen Claus im Gebirge werden mit dem Gescnnmtnamen
Malisori bezeichnet. Die hauptsächlichsten derselben sind die in drei Bayraks
(Fahnen) getheilten Klementi an den Quellen des Sem, die Pulati und Gruda
im Südosten der montenegrinischen Stadt Podgoritza, die christlichen Triebitschi
am mittleren Laufe des Sem, die gleichfalls christlichen Hotel, Nachbarn der
Montenegriner am Hotel-Golfe des Skutari-Sees und ebenfalls in drei Bay¬
raks organisirt, und die katholischen Castratti, die neben den letzteren am Ufer
jenes Sees ansässig sind. Ferner gehören zu den Malisori die Claus von
Posripa am AbHange des Berges Zuccali, die statu, Temali, Dusmcmi und
Toplcma, sämmtlich römisch-katholischen Bekenntnisses, die ebenfalls diesem


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[0010] Gegen Sttdosten grenzt es sich gegen die Bulgaren, im Norden gegen die Montenegriner deutlicher und schärfer ab, und im Westen erstreckt sich die alba- nesische Bevölkerung zwischen Dulcigno (türkisch Min) im Norden und den Ruinen von Nikopolis bis ans Adriatische Meer. Doch bedient sich ein großer Theil der Südalbanesen seit geraumer Zeit der griechischen Sprache, welche sich von der alten Sprache des Volkes ebenso sehr unterscheidet, wie diese vom Idiom der serbischen und bulgarischen Nachbarn. Da in den türkischen Provinzen die Statistik so gut wie unbekannt ist und Volkszählungen wegen des Haremsgeheimnisses nicht vorkommen, so läßt sich die Zahl der Albanesen mit Bestimmtheit nicht angeben. Hahn schätzte sie auf etwa 1600000, Miklositsch dagegen auf 1900000 Seelen, und Becker meint, daß die letztere Schätzung der Wahrheit sehr nahe kommen werde. Vom ethno¬ graphischen Standpunkte betrachtet, zerfallen die Albanesen in zwei Unterabthei- lungen: die Geghen, die den Norden bis zum Schkumbi-Flusse innehaben, und die den Süden bewohnenden Tosken. Die letzteren theilen sich in drei große Stämme: die Tschcimi, die von Nikopolis bis nach Delpino, die Liapi, die von hier bis an die Vojuzza, und die eigentlichen Tosken, die vom Ufer der Vojuzza bis nach Argyrokastro hin angesiedelt sind. Die Geghen, welche sich von den Tosken durch einen rauheren Dialekt unterscheiden und härtere Charakterzüge zeigen, was namentlich von den Gebirgsleuten unter ihnen gilt, sind in eine große Anzahl von Familien oder Claus gespalten, von denen einer, die Miri- diten, an 20000 Köpfe zählt, während die kleinsten deren nur 1000 bis 1500 haben. Man kann sie in Gebirgsbewohner und Leute der Thäler und Ebenen theilen; jene sind von der Pforte fast ganz unabhängig, diese haben sich den Befehlen der türkischen Beamten zu fügen. Der Religion nach sind die Albanesen zu beinahe zwei Dritteln ihrer Zahl Muhammedaner, etwa 500000 gehören der morgenländisch-orthodoxen und 150000 der römisch-katholischen Kirche an. Die Orthodoxen wohnen vorzüglich im Süden, die Katholiken im Norden und in der Mitte des Landes in den Bergen. Die geghischen Claus im Gebirge werden mit dem Gescnnmtnamen Malisori bezeichnet. Die hauptsächlichsten derselben sind die in drei Bayraks (Fahnen) getheilten Klementi an den Quellen des Sem, die Pulati und Gruda im Südosten der montenegrinischen Stadt Podgoritza, die christlichen Triebitschi am mittleren Laufe des Sem, die gleichfalls christlichen Hotel, Nachbarn der Montenegriner am Hotel-Golfe des Skutari-Sees und ebenfalls in drei Bay¬ raks organisirt, und die katholischen Castratti, die neben den letzteren am Ufer jenes Sees ansässig sind. Ferner gehören zu den Malisori die Claus von Posripa am AbHange des Berges Zuccali, die statu, Temali, Dusmcmi und Toplcma, sämmtlich römisch-katholischen Bekenntnisses, die ebenfalls diesem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/10>, abgerufen am 21.05.2024.