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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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halten, sondern in dem Vollgefühl, daß es Gaben sind, die ihnen ein günstiges
Geschick anvertraut hat, sich der Nation gegenüber, die auf das kleinste Wort
ihrer großen Männer ein Recht hat, freudig als die Verwalter eiues Reich¬
thums bekennen, der nicht brach zu liegen hat, sondern wie das nährende Korn,
von dem geschickte" Säemann auf das edelste Land gesät, herrlich aufgeht und
tausendfältige Frucht trägt. Die Haupternte freilich ist eingeheimst und in den
Scheuern wohl geschichtet, die großen Schätze aus den dunklen, verborgenen
Tiefen längst gehoben, nur selten wird noch ein neuer Stollen erschlossen, der
von reichen Edelmetalladern durchzogen, mit zauberischem Glanz dem glücklichen
Forscher entgegenleuchtet. Bisweilen ist auch eine berechtigte Hoffnung ge¬
täuscht: man grub nach Gold und Silber und fand nur Blei oder Kohle.

Ist solche enttäuschte Hoffnung nicht auch vorhanden, wenn wir den Brief¬
wechsel zwischen Goethe und K. Göttling") durchgelesen haben? Im Ernst
haben wir so manchen verständigen, hochgebildeten Mann sagen hören, der alte
Geheimerath Goethe habe doch auch gar zu geschäftsmäßig geschrieben, anzie¬
hend sei in dem sauber ausgestatteten Büchlein nur das Vorwort des Heraus¬
geber und Göttlings schöne Briefe aus Italien. Gewiß ist, daß Goethe hier
von einer anderen Seite uns entgegentritt, als wir ihn sonst aus seinen am
meisten verbreiteten Briefwechseln kennen. Wie anders ist der junge Goethe in
seinen Briefen an Auguste Stolberg, in denen das tiefste Sehnen der Menschen¬
brust, all' das Leid und die Freude, die Gott in seine junge Seele gelegt, mit
elementarer Gewalt hervorbricht und nach Ausdruck ringt! Wie anders in den
Briefen an Frau von Stein, wo jede Seite Glück und Ruhe, seliges Suchen
und Finden in der Geliebten athmet, bis zu jener Katastrophe hin, wo unter
grellem Mißklang die Saite zerreißt, die sein und der geliebten Frau Herz so
lange in tönende Schwingung versetzt. Wie anders in dem Briefwechsel mit
Schiller! Der kühnste Flug zweier hochgesinnte" Genossen zum Reiche des
Schönen! Goethe, in den kräftigsten Mannesjahren, sich erbauend an dem
reichen Geist des Freundes, mit ihm zusammen aufbauend Werke von unver¬
gänglicher Schönheit. In keinem der Briefe banale Phrasen von Freundschaft
und unverbrüchlicher Treue; sie wären für Beide eine EntHeiligung gewesen,
dazu war ihre Freundschaft zu groß. Aber wir verstehen es, daß der über¬
lebende Goethe noch nach langen Jahren in dem titanenhaften Ausbruch seines
Schmerzes um den Geschiedenen die Worte ausrufen konnte: "Ich kann, ich
kann den Menschen nicht vergessen!" Und dann zuletzt sein Briefwechsel mit



*) Briefwechsel zwischen Goethe und 5!. Göttling in den Jahren 1824 bis
1830. Herausgegeben und mit einem Vorwort begleitet von Kuno Fischer. München,
Fr. Wassermann, 1380.

halten, sondern in dem Vollgefühl, daß es Gaben sind, die ihnen ein günstiges
Geschick anvertraut hat, sich der Nation gegenüber, die auf das kleinste Wort
ihrer großen Männer ein Recht hat, freudig als die Verwalter eiues Reich¬
thums bekennen, der nicht brach zu liegen hat, sondern wie das nährende Korn,
von dem geschickte» Säemann auf das edelste Land gesät, herrlich aufgeht und
tausendfältige Frucht trägt. Die Haupternte freilich ist eingeheimst und in den
Scheuern wohl geschichtet, die großen Schätze aus den dunklen, verborgenen
Tiefen längst gehoben, nur selten wird noch ein neuer Stollen erschlossen, der
von reichen Edelmetalladern durchzogen, mit zauberischem Glanz dem glücklichen
Forscher entgegenleuchtet. Bisweilen ist auch eine berechtigte Hoffnung ge¬
täuscht: man grub nach Gold und Silber und fand nur Blei oder Kohle.

Ist solche enttäuschte Hoffnung nicht auch vorhanden, wenn wir den Brief¬
wechsel zwischen Goethe und K. Göttling") durchgelesen haben? Im Ernst
haben wir so manchen verständigen, hochgebildeten Mann sagen hören, der alte
Geheimerath Goethe habe doch auch gar zu geschäftsmäßig geschrieben, anzie¬
hend sei in dem sauber ausgestatteten Büchlein nur das Vorwort des Heraus¬
geber und Göttlings schöne Briefe aus Italien. Gewiß ist, daß Goethe hier
von einer anderen Seite uns entgegentritt, als wir ihn sonst aus seinen am
meisten verbreiteten Briefwechseln kennen. Wie anders ist der junge Goethe in
seinen Briefen an Auguste Stolberg, in denen das tiefste Sehnen der Menschen¬
brust, all' das Leid und die Freude, die Gott in seine junge Seele gelegt, mit
elementarer Gewalt hervorbricht und nach Ausdruck ringt! Wie anders in den
Briefen an Frau von Stein, wo jede Seite Glück und Ruhe, seliges Suchen
und Finden in der Geliebten athmet, bis zu jener Katastrophe hin, wo unter
grellem Mißklang die Saite zerreißt, die sein und der geliebten Frau Herz so
lange in tönende Schwingung versetzt. Wie anders in dem Briefwechsel mit
Schiller! Der kühnste Flug zweier hochgesinnte« Genossen zum Reiche des
Schönen! Goethe, in den kräftigsten Mannesjahren, sich erbauend an dem
reichen Geist des Freundes, mit ihm zusammen aufbauend Werke von unver¬
gänglicher Schönheit. In keinem der Briefe banale Phrasen von Freundschaft
und unverbrüchlicher Treue; sie wären für Beide eine EntHeiligung gewesen,
dazu war ihre Freundschaft zu groß. Aber wir verstehen es, daß der über¬
lebende Goethe noch nach langen Jahren in dem titanenhaften Ausbruch seines
Schmerzes um den Geschiedenen die Worte ausrufen konnte: „Ich kann, ich
kann den Menschen nicht vergessen!" Und dann zuletzt sein Briefwechsel mit



*) Briefwechsel zwischen Goethe und 5!. Göttling in den Jahren 1824 bis
1830. Herausgegeben und mit einem Vorwort begleitet von Kuno Fischer. München,
Fr. Wassermann, 1380.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/119>, abgerufen am 21.05.2024.