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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Dank gegen den umsichtigen Leser und Theilnehmer, wie er sich keinen besseren
wünschen könne, dann heiterer Scherz und launige Bemerkungen: wie man dem
Dichter auch seltene Wortformen und Redewendungen nachsehen müsse; wie man
an den alten Klassikern schon einige tausend Jahre herumcorrigire und wie
denn auch Göttling ihm gegenüber seines Aristarchenamtes unerbittlich warten,
die kritischen Zeichen der Asterisken und Obelisken den durchzusehenden Schriften
beifügen möge; wie es ihm ganz unmöglich gefallen sei, den Jenaer Professor'
der einen Ruf als Rector der ehrwürdigen Schulpforte erhalten, von sich ent¬
fernt und in jenen Klostermauern, wenngleich als Abt, zu denken. Wie hübsch
sind die Eingangsworte des Briefes, mit welchem das Manuscript der Helena
übersandt wird: "Ew. Wohlgeboren nehme mir die Freiheit eine schöne Dame
zuzuführen, die sich denn selbst einleiten und einschmeicheln möge." Aber auch
die Vergangenheit steht vor des Dichters Auge auf, die Erinnerung an vorige
Zeiten verwirrt ihn bei dem kritischen Geschäft und zieht ihn mit sich fort, dann
bricht anch einmal die Sehnsucht uach jenem Musettsitz an der Saale hervor,
wo er so herrliche, unvergeßliche Zeiten mit so manchem, der vor ihm geschieden,
durchlebt hatte: "Gar sehr wünschte ich wie in voriger Zeit einen Theil des
Jahres in Jena zuzubringen, um mich dnrch lebhaftes Gespräch in manchen
Studien fördern zu können und durch Concentration dasjenige zu gewinnen,
was in gegenwärtiger zerstreuter Lage mir nur ein frommer Wunsch bleibt."

Einen bedeutend höheren Werth jedoch, als den eben dargestellten, hat der
vorliegende Briefwechsel für die Goethe-Philologie. Daß Göttling bei der noch
zu Goethes Lebzeiten besorgten Ausgabe letzter Hand mitgewirkt, wußten wir
längst aus Goethes Briefen an Zelter und Sulpiz Boisseree; an den letztge¬
nannten Freund schrieb er, daß Professor Göttling die Gefälligkeit habe, Band
für Band in letzter Instanz durchzugehen. Auch aus Eckermanns Gesprächen
mit Goethe hätte man diesen Thatbestand schon schließen können, obschon Ecker¬
mann selbst in leicht erklärlichein Ehrgeiz die Theilnahme eines jeden dritten an
der Gesammtausgabe einfach verschwiegen hat. Wenn Goethe nach Eckermann
äußert, er habe sich durch Göttling zur Aufnahme von einer anderen Lesart
sowohl in den Römischen Elegien als in der Helena "verleiten" lassen, so war
der Schluß nöthig, daß diesem eine Revision sei es des Manuscripts sei es des
Drucks, und zwar mindestens mehrerer Bände, anvertraut war. Mehr schon
ersah man aus dem vollendet einfach-schönen Lebensabriß Göttlings, den Kuno
Fischer nach dem Tode des Freundes und Amtsgenossen den OMsc-uls. g.oa-
cköiniLg. desselben voranschickte, und zwar aus den Worten: "Das erste Jahr-
zehend seiner hiesigen Wirksamkeit war das letzte im Leben Goethes, der ihm
von Herzen zugethan war und bei der letzten Ausgabe seiner Werke ihm die
sprachliche Durchsicht derselben anvertraute."


Grenzboten IU. 1880. Is

Dank gegen den umsichtigen Leser und Theilnehmer, wie er sich keinen besseren
wünschen könne, dann heiterer Scherz und launige Bemerkungen: wie man dem
Dichter auch seltene Wortformen und Redewendungen nachsehen müsse; wie man
an den alten Klassikern schon einige tausend Jahre herumcorrigire und wie
denn auch Göttling ihm gegenüber seines Aristarchenamtes unerbittlich warten,
die kritischen Zeichen der Asterisken und Obelisken den durchzusehenden Schriften
beifügen möge; wie es ihm ganz unmöglich gefallen sei, den Jenaer Professor'
der einen Ruf als Rector der ehrwürdigen Schulpforte erhalten, von sich ent¬
fernt und in jenen Klostermauern, wenngleich als Abt, zu denken. Wie hübsch
sind die Eingangsworte des Briefes, mit welchem das Manuscript der Helena
übersandt wird: „Ew. Wohlgeboren nehme mir die Freiheit eine schöne Dame
zuzuführen, die sich denn selbst einleiten und einschmeicheln möge." Aber auch
die Vergangenheit steht vor des Dichters Auge auf, die Erinnerung an vorige
Zeiten verwirrt ihn bei dem kritischen Geschäft und zieht ihn mit sich fort, dann
bricht anch einmal die Sehnsucht uach jenem Musettsitz an der Saale hervor,
wo er so herrliche, unvergeßliche Zeiten mit so manchem, der vor ihm geschieden,
durchlebt hatte: „Gar sehr wünschte ich wie in voriger Zeit einen Theil des
Jahres in Jena zuzubringen, um mich dnrch lebhaftes Gespräch in manchen
Studien fördern zu können und durch Concentration dasjenige zu gewinnen,
was in gegenwärtiger zerstreuter Lage mir nur ein frommer Wunsch bleibt."

Einen bedeutend höheren Werth jedoch, als den eben dargestellten, hat der
vorliegende Briefwechsel für die Goethe-Philologie. Daß Göttling bei der noch
zu Goethes Lebzeiten besorgten Ausgabe letzter Hand mitgewirkt, wußten wir
längst aus Goethes Briefen an Zelter und Sulpiz Boisseree; an den letztge¬
nannten Freund schrieb er, daß Professor Göttling die Gefälligkeit habe, Band
für Band in letzter Instanz durchzugehen. Auch aus Eckermanns Gesprächen
mit Goethe hätte man diesen Thatbestand schon schließen können, obschon Ecker¬
mann selbst in leicht erklärlichein Ehrgeiz die Theilnahme eines jeden dritten an
der Gesammtausgabe einfach verschwiegen hat. Wenn Goethe nach Eckermann
äußert, er habe sich durch Göttling zur Aufnahme von einer anderen Lesart
sowohl in den Römischen Elegien als in der Helena „verleiten" lassen, so war
der Schluß nöthig, daß diesem eine Revision sei es des Manuscripts sei es des
Drucks, und zwar mindestens mehrerer Bände, anvertraut war. Mehr schon
ersah man aus dem vollendet einfach-schönen Lebensabriß Göttlings, den Kuno
Fischer nach dem Tode des Freundes und Amtsgenossen den OMsc-uls. g.oa-
cköiniLg. desselben voranschickte, und zwar aus den Worten: „Das erste Jahr-
zehend seiner hiesigen Wirksamkeit war das letzte im Leben Goethes, der ihm
von Herzen zugethan war und bei der letzten Ausgabe seiner Werke ihm die
sprachliche Durchsicht derselben anvertraute."


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[0121] Dank gegen den umsichtigen Leser und Theilnehmer, wie er sich keinen besseren wünschen könne, dann heiterer Scherz und launige Bemerkungen: wie man dem Dichter auch seltene Wortformen und Redewendungen nachsehen müsse; wie man an den alten Klassikern schon einige tausend Jahre herumcorrigire und wie denn auch Göttling ihm gegenüber seines Aristarchenamtes unerbittlich warten, die kritischen Zeichen der Asterisken und Obelisken den durchzusehenden Schriften beifügen möge; wie es ihm ganz unmöglich gefallen sei, den Jenaer Professor' der einen Ruf als Rector der ehrwürdigen Schulpforte erhalten, von sich ent¬ fernt und in jenen Klostermauern, wenngleich als Abt, zu denken. Wie hübsch sind die Eingangsworte des Briefes, mit welchem das Manuscript der Helena übersandt wird: „Ew. Wohlgeboren nehme mir die Freiheit eine schöne Dame zuzuführen, die sich denn selbst einleiten und einschmeicheln möge." Aber auch die Vergangenheit steht vor des Dichters Auge auf, die Erinnerung an vorige Zeiten verwirrt ihn bei dem kritischen Geschäft und zieht ihn mit sich fort, dann bricht anch einmal die Sehnsucht uach jenem Musettsitz an der Saale hervor, wo er so herrliche, unvergeßliche Zeiten mit so manchem, der vor ihm geschieden, durchlebt hatte: „Gar sehr wünschte ich wie in voriger Zeit einen Theil des Jahres in Jena zuzubringen, um mich dnrch lebhaftes Gespräch in manchen Studien fördern zu können und durch Concentration dasjenige zu gewinnen, was in gegenwärtiger zerstreuter Lage mir nur ein frommer Wunsch bleibt." Einen bedeutend höheren Werth jedoch, als den eben dargestellten, hat der vorliegende Briefwechsel für die Goethe-Philologie. Daß Göttling bei der noch zu Goethes Lebzeiten besorgten Ausgabe letzter Hand mitgewirkt, wußten wir längst aus Goethes Briefen an Zelter und Sulpiz Boisseree; an den letztge¬ nannten Freund schrieb er, daß Professor Göttling die Gefälligkeit habe, Band für Band in letzter Instanz durchzugehen. Auch aus Eckermanns Gesprächen mit Goethe hätte man diesen Thatbestand schon schließen können, obschon Ecker¬ mann selbst in leicht erklärlichein Ehrgeiz die Theilnahme eines jeden dritten an der Gesammtausgabe einfach verschwiegen hat. Wenn Goethe nach Eckermann äußert, er habe sich durch Göttling zur Aufnahme von einer anderen Lesart sowohl in den Römischen Elegien als in der Helena „verleiten" lassen, so war der Schluß nöthig, daß diesem eine Revision sei es des Manuscripts sei es des Drucks, und zwar mindestens mehrerer Bände, anvertraut war. Mehr schon ersah man aus dem vollendet einfach-schönen Lebensabriß Göttlings, den Kuno Fischer nach dem Tode des Freundes und Amtsgenossen den OMsc-uls. g.oa- cköiniLg. desselben voranschickte, und zwar aus den Worten: „Das erste Jahr- zehend seiner hiesigen Wirksamkeit war das letzte im Leben Goethes, der ihm von Herzen zugethan war und bei der letzten Ausgabe seiner Werke ihm die sprachliche Durchsicht derselben anvertraute." Grenzboten IU. 1880. Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/121>, abgerufen am 14.06.2024.