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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Schreibung; d. die Mexion; v. Schreiben der aus fremden Sprachen entlehnten
Wörter; s. die Jnterpunction. Unter et. hatte Göttling dann einzelne Stellen
angemerkt, die er zur etwaigen Aenderung Goethes Endurtheil unterbreitete. Da
die ersten von Göttling an Goethe gerichteten Briefe, wie es scheint, im Goethe-
Archiv nicht mehr vorhanden sind, so sind wir, um solche Stellen zu entdecken,
entweder gänzlich aufs Rathen angewiesen oder auf mühsame Vergleichung der
älteren Drucke mit der Gesammtausgabe letzter Hand. Nur aus Eckermanns
Gesprächen wissen wir, daß Goethe in der fünfzehnten "Römischen Elegie" auf
Göttlings Rath einsetzte (und dies auch nur in der Octavausgabe): "Wie es
dein Priester Properz (statt Horaz) in der Entzückung versprach," und in der
"Helena" statt: "ein zehenjährig schlankes Reh" -- "ein Siebenjährig schlankes
Reh". Erst aus den Jahren 1828-1830 liegen Briefe Göttlings mit Aende¬
rungsvorschlägen vor. Im Großen und Ganzen war gewiß Göttlings Revision
nur eine sprachliche. Weiter zu gehen, die alten Ausgaben oder gar die Hand¬
schriften selbst zur Vergleichung heranzuziehen, dies hatte Goethe selbst nicht ge¬
wollt, er hat wohl gar gemeint, daß die früheren Ausgaben hier nnr kümmer¬
liche Nachweise geben würden. Daß er sich hierin -- und zwar sehr gründ¬
lich -- geirrt, wissen wir jetzt genau. Es ist das große Verdienst von Michael
Bernays zuerst mit voller Entschiedenheit hierauf aufmerksam gemacht zu haben,
das der Hempelschen Verlagsbuchhandlung, zuerst eine auf Grundlage alles zu¬
gänglichen Materials aufgebaute kritische Ausgabe von Goethes Werken geliefert
zu haben. Aber täuschen wir uus uicht: eine wahrhaft vollendete kritische Aus¬
gabe ist erst dann möglich, wenn das Archiv des Goethehauses in Weimar sich
den Berufenen erschlossen haben wird.

Unsere Zeit ist nicht sonderlich geneigt an Wunder zu glauben. Wie hat
nicht in den letzten Jahrzehnten die böse, böse Welt über den hermetischen Ver¬
schluß des Hauses am Frauenplan in Weimar gejammert! Der Volksmund
hat sogar erzählt, das Haus sei von zwei alten Drachen gehütet. Andere Leut¬
chen, die ihren Goethe ordentlich gelesen, meinten, der alte Herr Geheimerath
hätte auf sein Haus nicht das Sprüchlein dichten dürfen:


Warum stehen sie davor?
Ist nicht Thüre da und Thor?
Kämen sie getrost herein.
Würden wohl empfangen sein.

Die Herrn Enkel des Dichters haben ja zu wiederholten Malen erklärt, daß
der Ruhm ihres Großvaters von ihnen eifersüchtig bewacht und bewahrt, so
mancher Briefwechsel von ihnen erst aus Acht und Bann gelöst und von den
berufensten Herausgebern edirt sei. Was fällt denn den Kritikastern ein, sich
darüber aufzuhalten und unliebsame Glossen zu machen und z. B. zu sagen,


Schreibung; d. die Mexion; v. Schreiben der aus fremden Sprachen entlehnten
Wörter; s. die Jnterpunction. Unter et. hatte Göttling dann einzelne Stellen
angemerkt, die er zur etwaigen Aenderung Goethes Endurtheil unterbreitete. Da
die ersten von Göttling an Goethe gerichteten Briefe, wie es scheint, im Goethe-
Archiv nicht mehr vorhanden sind, so sind wir, um solche Stellen zu entdecken,
entweder gänzlich aufs Rathen angewiesen oder auf mühsame Vergleichung der
älteren Drucke mit der Gesammtausgabe letzter Hand. Nur aus Eckermanns
Gesprächen wissen wir, daß Goethe in der fünfzehnten „Römischen Elegie" auf
Göttlings Rath einsetzte (und dies auch nur in der Octavausgabe): „Wie es
dein Priester Properz (statt Horaz) in der Entzückung versprach," und in der
„Helena" statt: „ein zehenjährig schlankes Reh" — „ein Siebenjährig schlankes
Reh". Erst aus den Jahren 1828-1830 liegen Briefe Göttlings mit Aende¬
rungsvorschlägen vor. Im Großen und Ganzen war gewiß Göttlings Revision
nur eine sprachliche. Weiter zu gehen, die alten Ausgaben oder gar die Hand¬
schriften selbst zur Vergleichung heranzuziehen, dies hatte Goethe selbst nicht ge¬
wollt, er hat wohl gar gemeint, daß die früheren Ausgaben hier nnr kümmer¬
liche Nachweise geben würden. Daß er sich hierin — und zwar sehr gründ¬
lich — geirrt, wissen wir jetzt genau. Es ist das große Verdienst von Michael
Bernays zuerst mit voller Entschiedenheit hierauf aufmerksam gemacht zu haben,
das der Hempelschen Verlagsbuchhandlung, zuerst eine auf Grundlage alles zu¬
gänglichen Materials aufgebaute kritische Ausgabe von Goethes Werken geliefert
zu haben. Aber täuschen wir uus uicht: eine wahrhaft vollendete kritische Aus¬
gabe ist erst dann möglich, wenn das Archiv des Goethehauses in Weimar sich
den Berufenen erschlossen haben wird.

Unsere Zeit ist nicht sonderlich geneigt an Wunder zu glauben. Wie hat
nicht in den letzten Jahrzehnten die böse, böse Welt über den hermetischen Ver¬
schluß des Hauses am Frauenplan in Weimar gejammert! Der Volksmund
hat sogar erzählt, das Haus sei von zwei alten Drachen gehütet. Andere Leut¬
chen, die ihren Goethe ordentlich gelesen, meinten, der alte Herr Geheimerath
hätte auf sein Haus nicht das Sprüchlein dichten dürfen:


Warum stehen sie davor?
Ist nicht Thüre da und Thor?
Kämen sie getrost herein.
Würden wohl empfangen sein.

Die Herrn Enkel des Dichters haben ja zu wiederholten Malen erklärt, daß
der Ruhm ihres Großvaters von ihnen eifersüchtig bewacht und bewahrt, so
mancher Briefwechsel von ihnen erst aus Acht und Bann gelöst und von den
berufensten Herausgebern edirt sei. Was fällt denn den Kritikastern ein, sich
darüber aufzuhalten und unliebsame Glossen zu machen und z. B. zu sagen,


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[0124] Schreibung; d. die Mexion; v. Schreiben der aus fremden Sprachen entlehnten Wörter; s. die Jnterpunction. Unter et. hatte Göttling dann einzelne Stellen angemerkt, die er zur etwaigen Aenderung Goethes Endurtheil unterbreitete. Da die ersten von Göttling an Goethe gerichteten Briefe, wie es scheint, im Goethe- Archiv nicht mehr vorhanden sind, so sind wir, um solche Stellen zu entdecken, entweder gänzlich aufs Rathen angewiesen oder auf mühsame Vergleichung der älteren Drucke mit der Gesammtausgabe letzter Hand. Nur aus Eckermanns Gesprächen wissen wir, daß Goethe in der fünfzehnten „Römischen Elegie" auf Göttlings Rath einsetzte (und dies auch nur in der Octavausgabe): „Wie es dein Priester Properz (statt Horaz) in der Entzückung versprach," und in der „Helena" statt: „ein zehenjährig schlankes Reh" — „ein Siebenjährig schlankes Reh". Erst aus den Jahren 1828-1830 liegen Briefe Göttlings mit Aende¬ rungsvorschlägen vor. Im Großen und Ganzen war gewiß Göttlings Revision nur eine sprachliche. Weiter zu gehen, die alten Ausgaben oder gar die Hand¬ schriften selbst zur Vergleichung heranzuziehen, dies hatte Goethe selbst nicht ge¬ wollt, er hat wohl gar gemeint, daß die früheren Ausgaben hier nnr kümmer¬ liche Nachweise geben würden. Daß er sich hierin — und zwar sehr gründ¬ lich — geirrt, wissen wir jetzt genau. Es ist das große Verdienst von Michael Bernays zuerst mit voller Entschiedenheit hierauf aufmerksam gemacht zu haben, das der Hempelschen Verlagsbuchhandlung, zuerst eine auf Grundlage alles zu¬ gänglichen Materials aufgebaute kritische Ausgabe von Goethes Werken geliefert zu haben. Aber täuschen wir uus uicht: eine wahrhaft vollendete kritische Aus¬ gabe ist erst dann möglich, wenn das Archiv des Goethehauses in Weimar sich den Berufenen erschlossen haben wird. Unsere Zeit ist nicht sonderlich geneigt an Wunder zu glauben. Wie hat nicht in den letzten Jahrzehnten die böse, böse Welt über den hermetischen Ver¬ schluß des Hauses am Frauenplan in Weimar gejammert! Der Volksmund hat sogar erzählt, das Haus sei von zwei alten Drachen gehütet. Andere Leut¬ chen, die ihren Goethe ordentlich gelesen, meinten, der alte Herr Geheimerath hätte auf sein Haus nicht das Sprüchlein dichten dürfen: Warum stehen sie davor? Ist nicht Thüre da und Thor? Kämen sie getrost herein. Würden wohl empfangen sein. Die Herrn Enkel des Dichters haben ja zu wiederholten Malen erklärt, daß der Ruhm ihres Großvaters von ihnen eifersüchtig bewacht und bewahrt, so mancher Briefwechsel von ihnen erst aus Acht und Bann gelöst und von den berufensten Herausgebern edirt sei. Was fällt denn den Kritikastern ein, sich darüber aufzuhalten und unliebsame Glossen zu machen und z. B. zu sagen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/124>, abgerufen am 14.06.2024.