Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

Nothfalle zu zwingen. Man weiß, daß Herr Gladstone zu diesem Zweck eine
Nottendeinonstratiou angeregt hat. Die stets weitblickende Weisheit gewisser
Preßorgane hat diesen Gedanken bereits in einem Bombardement Konstantinopels
gipfeln sehen -- warum nicht? Das Schauspiel braucht nicht erklärlich zu
sein; denn es ist malerisch und unstreitig sensationell. Aber bleiben wir bei
der Gladstoneschen Flvttendemonstratiou vor den Dardanellen oder an den Küsten
des Adriatischen und Ionischen Meeres, so müßte sie eine solche sein, an der
sich alle in Berlin vertreten gewesenen Mächte b"Heiligem, und eine solche Be¬
theiligung ist -- wir schöpfen aus guter Quelle -- noch nicht völlig gesichert.
Frankreich zwar hat sich, nachdem es eine Zeit lang nicht geneigt gewesen, ans
das Project einzugehen, mit demselben im Princip einverstanden erklärt. Ru߬
land und Italien haben sich in ähnlicher Weise ausgesprochen. Oesterreich-
Ungarn und Deutschland waren bis auf die letzte Zeit nicht gewillt, an
der, wenn keine Landungstruppen eingeschifft und im schlimmsten Falle auf
türkischem Boden ausgeschifft werden, ziemlich harmlosen Demonstration theil¬
zunehmen, sind aber jetzt bereit, unter Umständen, d. h. wenn alle Mächte über
die Modalitäten des Unternehmes zu einem vollständigen EinVerständniß gelangen
sollten, was noch im weiten Felde ist, je eins von ihren Kriegsschiffen zu der
combinirten Flotte stoßen zu lassen, aber nur, "um ihre Flagge zu zeigen", also
nur xro t'orina, und ohne zu weitergehenden Operationen entschlossen zu sein.

Mittlerweile bemühen sie sich mit Eifer, die Pforte zur Nachgiebigkeit in
der griechisch-türkischen Grenzfrage zu stimmen und so die Flottendemonstration
überflüssig zu machen. Man darf annehmen, daß sie dabei, wenn sie auf der
einen Seite Opfer empfehlen, wie sie das Friedensbedürfniß und der einmttthige
Wille der Großmächte verlangen, wenn sie also Nachgiebigkeit gegen die Ber¬
liner Beschlüsse anrathen, andererseits auch zu erkennen gegeben haben, daß sie
der türkischen Regierung nicht minder die Benefieien, die ihr mit den Bestim¬
mungen des Berliner Friedens zutheil geworden sind, wirklich zugewendet und
erhalten wissen wollen.

Das wäre wenigstens eine Politik der Billigkeit und, deu dreisten Umtrieben
in Bulgarien und Ostrumelien gegenüber, zunächst für Oesterreich-Ungarn, dann
indirect für Deutschland ein Gebot der Nothwendigkeit. Griechenlands Ansprüche
müssen befriedigt werden, bald, unbedingt und ohne Hintergedanken und Ränke.
Geschieht das, so hat die Pforte ihre Schuldigkeit gethan und ein gutes Recht
auf die Unterstützung der Mächte, die ihr in Berlin nicht bloß Verluste zu-
Mutheu, sondern auch Vortheile gewähren wollten, welche sie am Leben zu er¬
halten geeignet sind. Die interessanten Nativnchen der Balkanländer haben kein
anderes Recht, als das, welches ihnen der Berliner Friede gewährt hat. Die
Herren Bulgaren vornehmlich werden sehr wohl thun, bescheidener zu werden.


Nothfalle zu zwingen. Man weiß, daß Herr Gladstone zu diesem Zweck eine
Nottendeinonstratiou angeregt hat. Die stets weitblickende Weisheit gewisser
Preßorgane hat diesen Gedanken bereits in einem Bombardement Konstantinopels
gipfeln sehen — warum nicht? Das Schauspiel braucht nicht erklärlich zu
sein; denn es ist malerisch und unstreitig sensationell. Aber bleiben wir bei
der Gladstoneschen Flvttendemonstratiou vor den Dardanellen oder an den Küsten
des Adriatischen und Ionischen Meeres, so müßte sie eine solche sein, an der
sich alle in Berlin vertreten gewesenen Mächte b«Heiligem, und eine solche Be¬
theiligung ist — wir schöpfen aus guter Quelle — noch nicht völlig gesichert.
Frankreich zwar hat sich, nachdem es eine Zeit lang nicht geneigt gewesen, ans
das Project einzugehen, mit demselben im Princip einverstanden erklärt. Ru߬
land und Italien haben sich in ähnlicher Weise ausgesprochen. Oesterreich-
Ungarn und Deutschland waren bis auf die letzte Zeit nicht gewillt, an
der, wenn keine Landungstruppen eingeschifft und im schlimmsten Falle auf
türkischem Boden ausgeschifft werden, ziemlich harmlosen Demonstration theil¬
zunehmen, sind aber jetzt bereit, unter Umständen, d. h. wenn alle Mächte über
die Modalitäten des Unternehmes zu einem vollständigen EinVerständniß gelangen
sollten, was noch im weiten Felde ist, je eins von ihren Kriegsschiffen zu der
combinirten Flotte stoßen zu lassen, aber nur, „um ihre Flagge zu zeigen", also
nur xro t'orina, und ohne zu weitergehenden Operationen entschlossen zu sein.

Mittlerweile bemühen sie sich mit Eifer, die Pforte zur Nachgiebigkeit in
der griechisch-türkischen Grenzfrage zu stimmen und so die Flottendemonstration
überflüssig zu machen. Man darf annehmen, daß sie dabei, wenn sie auf der
einen Seite Opfer empfehlen, wie sie das Friedensbedürfniß und der einmttthige
Wille der Großmächte verlangen, wenn sie also Nachgiebigkeit gegen die Ber¬
liner Beschlüsse anrathen, andererseits auch zu erkennen gegeben haben, daß sie
der türkischen Regierung nicht minder die Benefieien, die ihr mit den Bestim¬
mungen des Berliner Friedens zutheil geworden sind, wirklich zugewendet und
erhalten wissen wollen.

Das wäre wenigstens eine Politik der Billigkeit und, deu dreisten Umtrieben
in Bulgarien und Ostrumelien gegenüber, zunächst für Oesterreich-Ungarn, dann
indirect für Deutschland ein Gebot der Nothwendigkeit. Griechenlands Ansprüche
müssen befriedigt werden, bald, unbedingt und ohne Hintergedanken und Ränke.
Geschieht das, so hat die Pforte ihre Schuldigkeit gethan und ein gutes Recht
auf die Unterstützung der Mächte, die ihr in Berlin nicht bloß Verluste zu-
Mutheu, sondern auch Vortheile gewähren wollten, welche sie am Leben zu er¬
halten geeignet sind. Die interessanten Nativnchen der Balkanländer haben kein
anderes Recht, als das, welches ihnen der Berliner Friede gewährt hat. Die
Herren Bulgaren vornehmlich werden sehr wohl thun, bescheidener zu werden.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0208" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147302"/>
          <p xml:id="ID_537" prev="#ID_536"> Nothfalle zu zwingen. Man weiß, daß Herr Gladstone zu diesem Zweck eine<lb/>
Nottendeinonstratiou angeregt hat. Die stets weitblickende Weisheit gewisser<lb/>
Preßorgane hat diesen Gedanken bereits in einem Bombardement Konstantinopels<lb/>
gipfeln sehen &#x2014; warum nicht? Das Schauspiel braucht nicht erklärlich zu<lb/>
sein; denn es ist malerisch und unstreitig sensationell. Aber bleiben wir bei<lb/>
der Gladstoneschen Flvttendemonstratiou vor den Dardanellen oder an den Küsten<lb/>
des Adriatischen und Ionischen Meeres, so müßte sie eine solche sein, an der<lb/>
sich alle in Berlin vertreten gewesenen Mächte b«Heiligem, und eine solche Be¬<lb/>
theiligung ist &#x2014; wir schöpfen aus guter Quelle &#x2014; noch nicht völlig gesichert.<lb/>
Frankreich zwar hat sich, nachdem es eine Zeit lang nicht geneigt gewesen, ans<lb/>
das Project einzugehen, mit demselben im Princip einverstanden erklärt. Ru߬<lb/>
land und Italien haben sich in ähnlicher Weise ausgesprochen. Oesterreich-<lb/>
Ungarn und Deutschland waren bis auf die letzte Zeit nicht gewillt, an<lb/>
der, wenn keine Landungstruppen eingeschifft und im schlimmsten Falle auf<lb/>
türkischem Boden ausgeschifft werden, ziemlich harmlosen Demonstration theil¬<lb/>
zunehmen, sind aber jetzt bereit, unter Umständen, d. h. wenn alle Mächte über<lb/>
die Modalitäten des Unternehmes zu einem vollständigen EinVerständniß gelangen<lb/>
sollten, was noch im weiten Felde ist, je eins von ihren Kriegsschiffen zu der<lb/>
combinirten Flotte stoßen zu lassen, aber nur, &#x201E;um ihre Flagge zu zeigen", also<lb/>
nur xro t'orina, und ohne zu weitergehenden Operationen entschlossen zu sein.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_538"> Mittlerweile bemühen sie sich mit Eifer, die Pforte zur Nachgiebigkeit in<lb/>
der griechisch-türkischen Grenzfrage zu stimmen und so die Flottendemonstration<lb/>
überflüssig zu machen. Man darf annehmen, daß sie dabei, wenn sie auf der<lb/>
einen Seite Opfer empfehlen, wie sie das Friedensbedürfniß und der einmttthige<lb/>
Wille der Großmächte verlangen, wenn sie also Nachgiebigkeit gegen die Ber¬<lb/>
liner Beschlüsse anrathen, andererseits auch zu erkennen gegeben haben, daß sie<lb/>
der türkischen Regierung nicht minder die Benefieien, die ihr mit den Bestim¬<lb/>
mungen des Berliner Friedens zutheil geworden sind, wirklich zugewendet und<lb/>
erhalten wissen wollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_539" next="#ID_540"> Das wäre wenigstens eine Politik der Billigkeit und, deu dreisten Umtrieben<lb/>
in Bulgarien und Ostrumelien gegenüber, zunächst für Oesterreich-Ungarn, dann<lb/>
indirect für Deutschland ein Gebot der Nothwendigkeit. Griechenlands Ansprüche<lb/>
müssen befriedigt werden, bald, unbedingt und ohne Hintergedanken und Ränke.<lb/>
Geschieht das, so hat die Pforte ihre Schuldigkeit gethan und ein gutes Recht<lb/>
auf die Unterstützung der Mächte, die ihr in Berlin nicht bloß Verluste zu-<lb/>
Mutheu, sondern auch Vortheile gewähren wollten, welche sie am Leben zu er¬<lb/>
halten geeignet sind. Die interessanten Nativnchen der Balkanländer haben kein<lb/>
anderes Recht, als das, welches ihnen der Berliner Friede gewährt hat. Die<lb/>
Herren Bulgaren vornehmlich werden sehr wohl thun, bescheidener zu werden.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0208] Nothfalle zu zwingen. Man weiß, daß Herr Gladstone zu diesem Zweck eine Nottendeinonstratiou angeregt hat. Die stets weitblickende Weisheit gewisser Preßorgane hat diesen Gedanken bereits in einem Bombardement Konstantinopels gipfeln sehen — warum nicht? Das Schauspiel braucht nicht erklärlich zu sein; denn es ist malerisch und unstreitig sensationell. Aber bleiben wir bei der Gladstoneschen Flvttendemonstratiou vor den Dardanellen oder an den Küsten des Adriatischen und Ionischen Meeres, so müßte sie eine solche sein, an der sich alle in Berlin vertreten gewesenen Mächte b«Heiligem, und eine solche Be¬ theiligung ist — wir schöpfen aus guter Quelle — noch nicht völlig gesichert. Frankreich zwar hat sich, nachdem es eine Zeit lang nicht geneigt gewesen, ans das Project einzugehen, mit demselben im Princip einverstanden erklärt. Ru߬ land und Italien haben sich in ähnlicher Weise ausgesprochen. Oesterreich- Ungarn und Deutschland waren bis auf die letzte Zeit nicht gewillt, an der, wenn keine Landungstruppen eingeschifft und im schlimmsten Falle auf türkischem Boden ausgeschifft werden, ziemlich harmlosen Demonstration theil¬ zunehmen, sind aber jetzt bereit, unter Umständen, d. h. wenn alle Mächte über die Modalitäten des Unternehmes zu einem vollständigen EinVerständniß gelangen sollten, was noch im weiten Felde ist, je eins von ihren Kriegsschiffen zu der combinirten Flotte stoßen zu lassen, aber nur, „um ihre Flagge zu zeigen", also nur xro t'orina, und ohne zu weitergehenden Operationen entschlossen zu sein. Mittlerweile bemühen sie sich mit Eifer, die Pforte zur Nachgiebigkeit in der griechisch-türkischen Grenzfrage zu stimmen und so die Flottendemonstration überflüssig zu machen. Man darf annehmen, daß sie dabei, wenn sie auf der einen Seite Opfer empfehlen, wie sie das Friedensbedürfniß und der einmttthige Wille der Großmächte verlangen, wenn sie also Nachgiebigkeit gegen die Ber¬ liner Beschlüsse anrathen, andererseits auch zu erkennen gegeben haben, daß sie der türkischen Regierung nicht minder die Benefieien, die ihr mit den Bestim¬ mungen des Berliner Friedens zutheil geworden sind, wirklich zugewendet und erhalten wissen wollen. Das wäre wenigstens eine Politik der Billigkeit und, deu dreisten Umtrieben in Bulgarien und Ostrumelien gegenüber, zunächst für Oesterreich-Ungarn, dann indirect für Deutschland ein Gebot der Nothwendigkeit. Griechenlands Ansprüche müssen befriedigt werden, bald, unbedingt und ohne Hintergedanken und Ränke. Geschieht das, so hat die Pforte ihre Schuldigkeit gethan und ein gutes Recht auf die Unterstützung der Mächte, die ihr in Berlin nicht bloß Verluste zu- Mutheu, sondern auch Vortheile gewähren wollten, welche sie am Leben zu er¬ halten geeignet sind. Die interessanten Nativnchen der Balkanländer haben kein anderes Recht, als das, welches ihnen der Berliner Friede gewährt hat. Die Herren Bulgaren vornehmlich werden sehr wohl thun, bescheidener zu werden.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/208
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/208>, abgerufen am 22.05.2024.