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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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von Arnim: "Meine Augen stehen offen, ich gehe nach Preußen, nicht mit dein
Glaube", daß dort das Himmelreich erschienen ist, vielmehr sehe ich voraus,
daß dem Recht und der Freiheit noch Kämpfe bevorstehu, ehe sie siegen; aber
der König ist voll reines, edeles Willens, und er wird geneigt sein, alles Geistige,
auch wo es seinen Absichten widerstrebt, zu schützen und gewähren zu lassen.
In welchem andern deutschen Lande wäre mehr zu hoffen? Den Ausgang wird
Gott lenken." Er gewöhnte sich bald an die große Stadt, im regen Verkehr
mit alten und neuen Freunden, welche sich gern um ihn sammelten und ihn als
eines der stolzen Häupter deutscher Wissenschaft ehrten. Während der letzten
Lebensjahre sich mehr auf das stille Arbeitszimmer zurückziehend, brachte er nach
eigener Aeußerung die Stunden über den Büchern in seliger Einsamkeit zu.
Auch Wilhelm wünschte sich manchmal stille und ruhige Tage wie sie Meusebach
an dem glänzenden Spiegel der Havel genoß. Doch liebte er, liebenswürdig
im schönsten Sinn des Wortes -- wie der Sohn mit vollem Rechte rühmt --,
das Zusammensein mit Menschen und erfüllte die vornehmen Abendzirkel in der
Wilhelmstraße mit edleren Inhalte.

Der vorliegende Briefwechsel mit seinem mannigfaltigen, durchweg anzie¬
henden Inhalte wird nicht allein für Literarhistoriker, sondern auch für gebil¬
dete Freunde unserer Literatur belehrend und anregend sein. Der Herausgeber
hat vollen Anspruch auf Dank für die sorgsame und liebevolle Mühwaltnng,
mit welcher er diese gehaltvollen Briefe -- und Briefe find ja die wichtigsten
Denkmäler, welche nach Goethes Ausspruch der einzelne Mensch hinterlassen
kann -- den Mitlebenden zugänglich gemacht hat. sicherlich wird der von ihm
gehegte Wunsch von allen literarisch Gebildeten getheilt werden, daß Meusebachs
mit Naglers und Heises Sammluug in Berlin vereinigte Bibliothek im Sinne
ihres Urhebers und im Interesse unserer Alterthumskunde nach allen Richtungen
hin vervollständigt werde, damit dieselbe je länger je mehr anwachse zu einer
Vereinigung der'gesammten Literatur-Denkmäler unseres Volkes. Es handelt sich
hier um eine gute und wahrhaft nationale Sache, denn wir besitzen bis jetzt in
Deutschland keine relativ vollständige Bibliothek der deutschen Nationalliteratnr
seit Erfindung des Bücherdrucks. Bei einigermaßen umfassenden Untersuchungen
sind wir immer auf die Gesammtheit der einzelnen deutschen Bibliotheken, ja
sogar öfter auf das Ausland angewiesen. Daher war es gewiß ein großer Ge¬
danke Friedrich Wilhelms IV., durch Ankauf der Meusebachschen und Heisescheu
Sammlungen die Grundlage für eine deutsche Nationalbibliothek zu gewinnen.
Die Vervollständigung der Bestünde zu jener bezeichneten Hohe einer relativ
vollständigen Sammlung ist nach einem competenten Urtheile mit nicht allzu-
hohen Mitteln noch jetzt erreichbar. Den deutschen Bücherschatz des Freiherrn
von Maltzcihu, welcher so recht zur Ausfüllung der Lücken in den von Meuse¬
bach gepflegten Eiuzelabtheilnngen der Literatur des 17. Jahrhunderts und der
Sturm- und Drangperiode geeignet war, ließ man von einem Antiquar erwerben,
welcher ihn trennte und meist nach England und Nordamerika verkaufte! Wann
R. wird dergleichen in Deutschland unmöglich werden?




von Arnim: „Meine Augen stehen offen, ich gehe nach Preußen, nicht mit dein
Glaube», daß dort das Himmelreich erschienen ist, vielmehr sehe ich voraus,
daß dem Recht und der Freiheit noch Kämpfe bevorstehu, ehe sie siegen; aber
der König ist voll reines, edeles Willens, und er wird geneigt sein, alles Geistige,
auch wo es seinen Absichten widerstrebt, zu schützen und gewähren zu lassen.
In welchem andern deutschen Lande wäre mehr zu hoffen? Den Ausgang wird
Gott lenken." Er gewöhnte sich bald an die große Stadt, im regen Verkehr
mit alten und neuen Freunden, welche sich gern um ihn sammelten und ihn als
eines der stolzen Häupter deutscher Wissenschaft ehrten. Während der letzten
Lebensjahre sich mehr auf das stille Arbeitszimmer zurückziehend, brachte er nach
eigener Aeußerung die Stunden über den Büchern in seliger Einsamkeit zu.
Auch Wilhelm wünschte sich manchmal stille und ruhige Tage wie sie Meusebach
an dem glänzenden Spiegel der Havel genoß. Doch liebte er, liebenswürdig
im schönsten Sinn des Wortes — wie der Sohn mit vollem Rechte rühmt —,
das Zusammensein mit Menschen und erfüllte die vornehmen Abendzirkel in der
Wilhelmstraße mit edleren Inhalte.

Der vorliegende Briefwechsel mit seinem mannigfaltigen, durchweg anzie¬
henden Inhalte wird nicht allein für Literarhistoriker, sondern auch für gebil¬
dete Freunde unserer Literatur belehrend und anregend sein. Der Herausgeber
hat vollen Anspruch auf Dank für die sorgsame und liebevolle Mühwaltnng,
mit welcher er diese gehaltvollen Briefe — und Briefe find ja die wichtigsten
Denkmäler, welche nach Goethes Ausspruch der einzelne Mensch hinterlassen
kann — den Mitlebenden zugänglich gemacht hat. sicherlich wird der von ihm
gehegte Wunsch von allen literarisch Gebildeten getheilt werden, daß Meusebachs
mit Naglers und Heises Sammluug in Berlin vereinigte Bibliothek im Sinne
ihres Urhebers und im Interesse unserer Alterthumskunde nach allen Richtungen
hin vervollständigt werde, damit dieselbe je länger je mehr anwachse zu einer
Vereinigung der'gesammten Literatur-Denkmäler unseres Volkes. Es handelt sich
hier um eine gute und wahrhaft nationale Sache, denn wir besitzen bis jetzt in
Deutschland keine relativ vollständige Bibliothek der deutschen Nationalliteratnr
seit Erfindung des Bücherdrucks. Bei einigermaßen umfassenden Untersuchungen
sind wir immer auf die Gesammtheit der einzelnen deutschen Bibliotheken, ja
sogar öfter auf das Ausland angewiesen. Daher war es gewiß ein großer Ge¬
danke Friedrich Wilhelms IV., durch Ankauf der Meusebachschen und Heisescheu
Sammlungen die Grundlage für eine deutsche Nationalbibliothek zu gewinnen.
Die Vervollständigung der Bestünde zu jener bezeichneten Hohe einer relativ
vollständigen Sammlung ist nach einem competenten Urtheile mit nicht allzu-
hohen Mitteln noch jetzt erreichbar. Den deutschen Bücherschatz des Freiherrn
von Maltzcihu, welcher so recht zur Ausfüllung der Lücken in den von Meuse¬
bach gepflegten Eiuzelabtheilnngen der Literatur des 17. Jahrhunderts und der
Sturm- und Drangperiode geeignet war, ließ man von einem Antiquar erwerben,
welcher ihn trennte und meist nach England und Nordamerika verkaufte! Wann
R. wird dergleichen in Deutschland unmöglich werden?




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[0345] von Arnim: „Meine Augen stehen offen, ich gehe nach Preußen, nicht mit dein Glaube», daß dort das Himmelreich erschienen ist, vielmehr sehe ich voraus, daß dem Recht und der Freiheit noch Kämpfe bevorstehu, ehe sie siegen; aber der König ist voll reines, edeles Willens, und er wird geneigt sein, alles Geistige, auch wo es seinen Absichten widerstrebt, zu schützen und gewähren zu lassen. In welchem andern deutschen Lande wäre mehr zu hoffen? Den Ausgang wird Gott lenken." Er gewöhnte sich bald an die große Stadt, im regen Verkehr mit alten und neuen Freunden, welche sich gern um ihn sammelten und ihn als eines der stolzen Häupter deutscher Wissenschaft ehrten. Während der letzten Lebensjahre sich mehr auf das stille Arbeitszimmer zurückziehend, brachte er nach eigener Aeußerung die Stunden über den Büchern in seliger Einsamkeit zu. Auch Wilhelm wünschte sich manchmal stille und ruhige Tage wie sie Meusebach an dem glänzenden Spiegel der Havel genoß. Doch liebte er, liebenswürdig im schönsten Sinn des Wortes — wie der Sohn mit vollem Rechte rühmt —, das Zusammensein mit Menschen und erfüllte die vornehmen Abendzirkel in der Wilhelmstraße mit edleren Inhalte. Der vorliegende Briefwechsel mit seinem mannigfaltigen, durchweg anzie¬ henden Inhalte wird nicht allein für Literarhistoriker, sondern auch für gebil¬ dete Freunde unserer Literatur belehrend und anregend sein. Der Herausgeber hat vollen Anspruch auf Dank für die sorgsame und liebevolle Mühwaltnng, mit welcher er diese gehaltvollen Briefe — und Briefe find ja die wichtigsten Denkmäler, welche nach Goethes Ausspruch der einzelne Mensch hinterlassen kann — den Mitlebenden zugänglich gemacht hat. sicherlich wird der von ihm gehegte Wunsch von allen literarisch Gebildeten getheilt werden, daß Meusebachs mit Naglers und Heises Sammluug in Berlin vereinigte Bibliothek im Sinne ihres Urhebers und im Interesse unserer Alterthumskunde nach allen Richtungen hin vervollständigt werde, damit dieselbe je länger je mehr anwachse zu einer Vereinigung der'gesammten Literatur-Denkmäler unseres Volkes. Es handelt sich hier um eine gute und wahrhaft nationale Sache, denn wir besitzen bis jetzt in Deutschland keine relativ vollständige Bibliothek der deutschen Nationalliteratnr seit Erfindung des Bücherdrucks. Bei einigermaßen umfassenden Untersuchungen sind wir immer auf die Gesammtheit der einzelnen deutschen Bibliotheken, ja sogar öfter auf das Ausland angewiesen. Daher war es gewiß ein großer Ge¬ danke Friedrich Wilhelms IV., durch Ankauf der Meusebachschen und Heisescheu Sammlungen die Grundlage für eine deutsche Nationalbibliothek zu gewinnen. Die Vervollständigung der Bestünde zu jener bezeichneten Hohe einer relativ vollständigen Sammlung ist nach einem competenten Urtheile mit nicht allzu- hohen Mitteln noch jetzt erreichbar. Den deutschen Bücherschatz des Freiherrn von Maltzcihu, welcher so recht zur Ausfüllung der Lücken in den von Meuse¬ bach gepflegten Eiuzelabtheilnngen der Literatur des 17. Jahrhunderts und der Sturm- und Drangperiode geeignet war, ließ man von einem Antiquar erwerben, welcher ihn trennte und meist nach England und Nordamerika verkaufte! Wann R. wird dergleichen in Deutschland unmöglich werden?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/345>, abgerufen am 21.05.2024.