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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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die leblose Natur trauert mit, indem auf der einsamen Anhöhe nicht etwa das
Kreuz, sondern ein entlaubter Baum steht."

Die geistige Vertiefung, die der Gegenstand durch Giotto erfahren hatte,
blieb nicht ohne Einfluß auf die nächstfolgenden Darsteller. Das in technischer
Beziehung sehr anerkennenswerthe Gemälde der Uffizien*), welches den Namen
Giottino trägt**), lehnt sich bei einzelnen äußerlichen Abweichungen -- der
Christusleichnam liegt auf dem Bahrtuche am Boden ausgestreckt, die hinter
ihm knieende Mutter richtet sein Haupt empor, die übrigen Personen sind zum
Theil anders gruppirt -- dennoch in der Auffassung unverkennbar an das von
Giotto aufgestellte Muster an; ebenso viele kleine Gemälde giottesken Stils, wie
die unter einem Weltgericht in der Pinakothek zu Bologna angebrachte Dar¬
stellung (Ur. 230).

Wirkt in der älteren Schule von Siena Giottos Beispiel in den Darstel¬
lungen des Ambrogio Lorenzetti (Pinakothek Ur. 46), Martins ti
Bartolommeo (Ehb. Ur. 118) und Bartolo ti Fredi (Ehb. Ur. 84)
nach, so begegnen wir in Florenz noch im Anfang des Quattrocento einer von
Giotto inspirirter Auffassung bei seinem bedeutendsten Epigonen Fra Gio¬
vanni Angelico da Fiesole, von dem sich zwei Bearbeitungen der Pieta
in der Akademie der Künste zu Florenz befinden***). In der einen (Ur. 40)
kehrt das rührende Motiv der Magdalena, das wir bei Giotto fanden, wieder,
ebenso die Madonna ganz ähnlich mit dem Leichnam zusammengruppirt; in der
anderen erinnert die knieende weibliche Gestalt, die die Hand des Todten küßt,
an Giottos Composition; auch in der Anordnung der Nebenfiguren ist im wesent¬
lichen das Beispiel desselben maßgebend geblieben. In Bezug auf Innigkeit
des Seelenausdrucks aber erweist den Künstler dieses kleine Bild ebenfalls als
Giottos großen Erben.

Bei Betrachtung der weiteren Entwicklung, die der Gegenstand im Quattro¬
cento gefunden hat, wird es von Nutzen sein, die in Betracht kommenden Lei¬
stungen nach den Landschaften und Schulen, denen sie angehören, zu sondern,
weil sich so die Wechselwirkungen der verschiedenen Strömungen besser verfolgen
lassen. Es ist zunächst noch einiger Florentiner Arbeiten zu gedenken, welche in
diese Periode fallen, vor allem einer Darstellung, die, wenn anders sie mit
Recht dem Dom. Ghirlandajo zugeschrieben wird,f) die Brücke schlagen






*) Ur. 7; vgl. Vels. II, 144.
"*) Bon Rumohr, Italien. Forschungen II, 172, dem Piero Chelini zugeschrieben.
Söll. aei <ius,<Iri xieooli Ur. 40 und von dein ersten der drei unter Ur. 24 ver¬
einigten Gemälde die zweite Abtheilung der ersten Reihe. Mit dem letzteren nahe verwandt
Ur. 2 ehb., eine Pieta des Neri ti Binni,
1) In der uns zugänglichen Literatur findet sie sich nirgends besprochen.

die leblose Natur trauert mit, indem auf der einsamen Anhöhe nicht etwa das
Kreuz, sondern ein entlaubter Baum steht."

Die geistige Vertiefung, die der Gegenstand durch Giotto erfahren hatte,
blieb nicht ohne Einfluß auf die nächstfolgenden Darsteller. Das in technischer
Beziehung sehr anerkennenswerthe Gemälde der Uffizien*), welches den Namen
Giottino trägt**), lehnt sich bei einzelnen äußerlichen Abweichungen — der
Christusleichnam liegt auf dem Bahrtuche am Boden ausgestreckt, die hinter
ihm knieende Mutter richtet sein Haupt empor, die übrigen Personen sind zum
Theil anders gruppirt — dennoch in der Auffassung unverkennbar an das von
Giotto aufgestellte Muster an; ebenso viele kleine Gemälde giottesken Stils, wie
die unter einem Weltgericht in der Pinakothek zu Bologna angebrachte Dar¬
stellung (Ur. 230).

Wirkt in der älteren Schule von Siena Giottos Beispiel in den Darstel¬
lungen des Ambrogio Lorenzetti (Pinakothek Ur. 46), Martins ti
Bartolommeo (Ehb. Ur. 118) und Bartolo ti Fredi (Ehb. Ur. 84)
nach, so begegnen wir in Florenz noch im Anfang des Quattrocento einer von
Giotto inspirirter Auffassung bei seinem bedeutendsten Epigonen Fra Gio¬
vanni Angelico da Fiesole, von dem sich zwei Bearbeitungen der Pieta
in der Akademie der Künste zu Florenz befinden***). In der einen (Ur. 40)
kehrt das rührende Motiv der Magdalena, das wir bei Giotto fanden, wieder,
ebenso die Madonna ganz ähnlich mit dem Leichnam zusammengruppirt; in der
anderen erinnert die knieende weibliche Gestalt, die die Hand des Todten küßt,
an Giottos Composition; auch in der Anordnung der Nebenfiguren ist im wesent¬
lichen das Beispiel desselben maßgebend geblieben. In Bezug auf Innigkeit
des Seelenausdrucks aber erweist den Künstler dieses kleine Bild ebenfalls als
Giottos großen Erben.

Bei Betrachtung der weiteren Entwicklung, die der Gegenstand im Quattro¬
cento gefunden hat, wird es von Nutzen sein, die in Betracht kommenden Lei¬
stungen nach den Landschaften und Schulen, denen sie angehören, zu sondern,
weil sich so die Wechselwirkungen der verschiedenen Strömungen besser verfolgen
lassen. Es ist zunächst noch einiger Florentiner Arbeiten zu gedenken, welche in
diese Periode fallen, vor allem einer Darstellung, die, wenn anders sie mit
Recht dem Dom. Ghirlandajo zugeschrieben wird,f) die Brücke schlagen






*) Ur. 7; vgl. Vels. II, 144.
»*) Bon Rumohr, Italien. Forschungen II, 172, dem Piero Chelini zugeschrieben.
Söll. aei <ius,<Iri xieooli Ur. 40 und von dein ersten der drei unter Ur. 24 ver¬
einigten Gemälde die zweite Abtheilung der ersten Reihe. Mit dem letzteren nahe verwandt
Ur. 2 ehb., eine Pieta des Neri ti Binni,
1) In der uns zugänglichen Literatur findet sie sich nirgends besprochen.
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[0035] die leblose Natur trauert mit, indem auf der einsamen Anhöhe nicht etwa das Kreuz, sondern ein entlaubter Baum steht." Die geistige Vertiefung, die der Gegenstand durch Giotto erfahren hatte, blieb nicht ohne Einfluß auf die nächstfolgenden Darsteller. Das in technischer Beziehung sehr anerkennenswerthe Gemälde der Uffizien*), welches den Namen Giottino trägt**), lehnt sich bei einzelnen äußerlichen Abweichungen — der Christusleichnam liegt auf dem Bahrtuche am Boden ausgestreckt, die hinter ihm knieende Mutter richtet sein Haupt empor, die übrigen Personen sind zum Theil anders gruppirt — dennoch in der Auffassung unverkennbar an das von Giotto aufgestellte Muster an; ebenso viele kleine Gemälde giottesken Stils, wie die unter einem Weltgericht in der Pinakothek zu Bologna angebrachte Dar¬ stellung (Ur. 230). Wirkt in der älteren Schule von Siena Giottos Beispiel in den Darstel¬ lungen des Ambrogio Lorenzetti (Pinakothek Ur. 46), Martins ti Bartolommeo (Ehb. Ur. 118) und Bartolo ti Fredi (Ehb. Ur. 84) nach, so begegnen wir in Florenz noch im Anfang des Quattrocento einer von Giotto inspirirter Auffassung bei seinem bedeutendsten Epigonen Fra Gio¬ vanni Angelico da Fiesole, von dem sich zwei Bearbeitungen der Pieta in der Akademie der Künste zu Florenz befinden***). In der einen (Ur. 40) kehrt das rührende Motiv der Magdalena, das wir bei Giotto fanden, wieder, ebenso die Madonna ganz ähnlich mit dem Leichnam zusammengruppirt; in der anderen erinnert die knieende weibliche Gestalt, die die Hand des Todten küßt, an Giottos Composition; auch in der Anordnung der Nebenfiguren ist im wesent¬ lichen das Beispiel desselben maßgebend geblieben. In Bezug auf Innigkeit des Seelenausdrucks aber erweist den Künstler dieses kleine Bild ebenfalls als Giottos großen Erben. Bei Betrachtung der weiteren Entwicklung, die der Gegenstand im Quattro¬ cento gefunden hat, wird es von Nutzen sein, die in Betracht kommenden Lei¬ stungen nach den Landschaften und Schulen, denen sie angehören, zu sondern, weil sich so die Wechselwirkungen der verschiedenen Strömungen besser verfolgen lassen. Es ist zunächst noch einiger Florentiner Arbeiten zu gedenken, welche in diese Periode fallen, vor allem einer Darstellung, die, wenn anders sie mit Recht dem Dom. Ghirlandajo zugeschrieben wird,f) die Brücke schlagen *) Ur. 7; vgl. Vels. II, 144. »*) Bon Rumohr, Italien. Forschungen II, 172, dem Piero Chelini zugeschrieben. Söll. aei <ius,<Iri xieooli Ur. 40 und von dein ersten der drei unter Ur. 24 ver¬ einigten Gemälde die zweite Abtheilung der ersten Reihe. Mit dem letzteren nahe verwandt Ur. 2 ehb., eine Pieta des Neri ti Binni, 1) In der uns zugänglichen Literatur findet sie sich nirgends besprochen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/35>, abgerufen am 21.05.2024.