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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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dem stehen jenen reaktionären Oligarchen die liberalen gegenüber, welche, da
ihr Streben weit leichter von Erfolg gekrönt wird, für die wahre Volksfreiheit
im Grunde weit gefährlicher sind als jene. Obgleich aber die Zeit und die
Verhältnisse ganz und gar andere, zum Theil geradezu entgegengesetzte geworden
sind, ist die Parteischablone doch seit der Väter Tagen vollständig dieselbe ge¬
blieben, ja selbst die alten vormärzlichen und vorsechsundsechziger Schlagworte,
welche nur durch die Donner des großen Befreiungskrieges vor zehn Jahren auf
kurze Zeit übertönt wurden, sind noch die nämlichen, und auch die Helden des
heutigen fortgeschrittenen Liberalismus geberden sich noch ebenso, wie ihre Vor¬
läufer mit viel größerem Rechte es durften, als wären sie die eigentlichen und
alleinigen Hüter und Horte der Volksfreiheit, obgleich der blödeste doch wissen
könnte, daß sie uns an wirklicher Freiheit mehr verkümmert als gebracht haben.

Nachdem auf nationalem, auf politischem und auf wirthschaftlichem Gebiete
eine Reform theils vollzogen, theils angebahnt worden ist, muß eine solche sich
unbedingt anch vollziehen auf dem Gebiete des Parteilebens. Die alten
Gesichtspunkte von "conservativ" und "liberal" müssen fallen gelassen, neue, für
die Gegenwart passende müssen gefunden werden, oder vielmehr -- denn ein
Oetroyiren ist hier unmöglich -- sich von selbst ausbilden. Damit aber diese
Ausbildung wirklich frei vor sich gehe, muß ihr der Boden geebnet, müssen ihr
die Hindernisse, die meist persönliche sind, aus dem Wege geräumt werdeu. Das
letztere hat bereits begonnen. Der gesunde Instinkt des Volkes hat gezeigt, wie
die Sache in Angriff genommen werden muß. Die nächste Reichstagswahl und
die nächsten Wahlen zu den Landtagen werden die Fortsetzung bringen. Die
parlamentarischen Usurpatoren müssen von dem Piedestal politischer Selbstherr¬
lichkeit abgesetzt werden, und eine neue Parteibildung unter neuen Parteileitern
muß vor sich gehen. Der Maßstab bei dieser Neubildung wird sein: Unter¬
stützung unserer nationalen und volksthümlichen Regierung in ihren großen
Gesichtspunkten oder -- Opposition gegen dieselbe.

Wir müssen los von dem thörichten, knabenhaften Wahne, daß Liberalis¬
mus und Opposition so ziemlich gleichbedeutend sei, und fußend auf den in die
Augen springenden Erfahrungen, dürfen wir uns nicht länger aus Parteihvch-
muth der Einsicht verschließen, daß wir augenblicklich in der Regierung die beste
Hüterin unserer nationalen Selbständigkeit und unserer politischen Freiheit haben.
Das Mißtrauen und die Verdächtigungssucht, die jetzt unser öffentliches Leben
in schmachvoller Weise beherrscht, muß einem selbstlosen und volksthümlichen
Vertrauen weichen, damit unser nationales Leben je eher desto mehr gesunde,
und wir uns auch nach innen dessen würdig erweisen, was wir nach außen er¬
rungen haben und besitzen.






Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig,
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. -- Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig.

dem stehen jenen reaktionären Oligarchen die liberalen gegenüber, welche, da
ihr Streben weit leichter von Erfolg gekrönt wird, für die wahre Volksfreiheit
im Grunde weit gefährlicher sind als jene. Obgleich aber die Zeit und die
Verhältnisse ganz und gar andere, zum Theil geradezu entgegengesetzte geworden
sind, ist die Parteischablone doch seit der Väter Tagen vollständig dieselbe ge¬
blieben, ja selbst die alten vormärzlichen und vorsechsundsechziger Schlagworte,
welche nur durch die Donner des großen Befreiungskrieges vor zehn Jahren auf
kurze Zeit übertönt wurden, sind noch die nämlichen, und auch die Helden des
heutigen fortgeschrittenen Liberalismus geberden sich noch ebenso, wie ihre Vor¬
läufer mit viel größerem Rechte es durften, als wären sie die eigentlichen und
alleinigen Hüter und Horte der Volksfreiheit, obgleich der blödeste doch wissen
könnte, daß sie uns an wirklicher Freiheit mehr verkümmert als gebracht haben.

Nachdem auf nationalem, auf politischem und auf wirthschaftlichem Gebiete
eine Reform theils vollzogen, theils angebahnt worden ist, muß eine solche sich
unbedingt anch vollziehen auf dem Gebiete des Parteilebens. Die alten
Gesichtspunkte von „conservativ" und „liberal" müssen fallen gelassen, neue, für
die Gegenwart passende müssen gefunden werden, oder vielmehr — denn ein
Oetroyiren ist hier unmöglich — sich von selbst ausbilden. Damit aber diese
Ausbildung wirklich frei vor sich gehe, muß ihr der Boden geebnet, müssen ihr
die Hindernisse, die meist persönliche sind, aus dem Wege geräumt werdeu. Das
letztere hat bereits begonnen. Der gesunde Instinkt des Volkes hat gezeigt, wie
die Sache in Angriff genommen werden muß. Die nächste Reichstagswahl und
die nächsten Wahlen zu den Landtagen werden die Fortsetzung bringen. Die
parlamentarischen Usurpatoren müssen von dem Piedestal politischer Selbstherr¬
lichkeit abgesetzt werden, und eine neue Parteibildung unter neuen Parteileitern
muß vor sich gehen. Der Maßstab bei dieser Neubildung wird sein: Unter¬
stützung unserer nationalen und volksthümlichen Regierung in ihren großen
Gesichtspunkten oder — Opposition gegen dieselbe.

Wir müssen los von dem thörichten, knabenhaften Wahne, daß Liberalis¬
mus und Opposition so ziemlich gleichbedeutend sei, und fußend auf den in die
Augen springenden Erfahrungen, dürfen wir uns nicht länger aus Parteihvch-
muth der Einsicht verschließen, daß wir augenblicklich in der Regierung die beste
Hüterin unserer nationalen Selbständigkeit und unserer politischen Freiheit haben.
Das Mißtrauen und die Verdächtigungssucht, die jetzt unser öffentliches Leben
in schmachvoller Weise beherrscht, muß einem selbstlosen und volksthümlichen
Vertrauen weichen, damit unser nationales Leben je eher desto mehr gesunde,
und wir uns auch nach innen dessen würdig erweisen, was wir nach außen er¬
rungen haben und besitzen.






Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig,
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig.
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[0389] dem stehen jenen reaktionären Oligarchen die liberalen gegenüber, welche, da ihr Streben weit leichter von Erfolg gekrönt wird, für die wahre Volksfreiheit im Grunde weit gefährlicher sind als jene. Obgleich aber die Zeit und die Verhältnisse ganz und gar andere, zum Theil geradezu entgegengesetzte geworden sind, ist die Parteischablone doch seit der Väter Tagen vollständig dieselbe ge¬ blieben, ja selbst die alten vormärzlichen und vorsechsundsechziger Schlagworte, welche nur durch die Donner des großen Befreiungskrieges vor zehn Jahren auf kurze Zeit übertönt wurden, sind noch die nämlichen, und auch die Helden des heutigen fortgeschrittenen Liberalismus geberden sich noch ebenso, wie ihre Vor¬ läufer mit viel größerem Rechte es durften, als wären sie die eigentlichen und alleinigen Hüter und Horte der Volksfreiheit, obgleich der blödeste doch wissen könnte, daß sie uns an wirklicher Freiheit mehr verkümmert als gebracht haben. Nachdem auf nationalem, auf politischem und auf wirthschaftlichem Gebiete eine Reform theils vollzogen, theils angebahnt worden ist, muß eine solche sich unbedingt anch vollziehen auf dem Gebiete des Parteilebens. Die alten Gesichtspunkte von „conservativ" und „liberal" müssen fallen gelassen, neue, für die Gegenwart passende müssen gefunden werden, oder vielmehr — denn ein Oetroyiren ist hier unmöglich — sich von selbst ausbilden. Damit aber diese Ausbildung wirklich frei vor sich gehe, muß ihr der Boden geebnet, müssen ihr die Hindernisse, die meist persönliche sind, aus dem Wege geräumt werdeu. Das letztere hat bereits begonnen. Der gesunde Instinkt des Volkes hat gezeigt, wie die Sache in Angriff genommen werden muß. Die nächste Reichstagswahl und die nächsten Wahlen zu den Landtagen werden die Fortsetzung bringen. Die parlamentarischen Usurpatoren müssen von dem Piedestal politischer Selbstherr¬ lichkeit abgesetzt werden, und eine neue Parteibildung unter neuen Parteileitern muß vor sich gehen. Der Maßstab bei dieser Neubildung wird sein: Unter¬ stützung unserer nationalen und volksthümlichen Regierung in ihren großen Gesichtspunkten oder — Opposition gegen dieselbe. Wir müssen los von dem thörichten, knabenhaften Wahne, daß Liberalis¬ mus und Opposition so ziemlich gleichbedeutend sei, und fußend auf den in die Augen springenden Erfahrungen, dürfen wir uns nicht länger aus Parteihvch- muth der Einsicht verschließen, daß wir augenblicklich in der Regierung die beste Hüterin unserer nationalen Selbständigkeit und unserer politischen Freiheit haben. Das Mißtrauen und die Verdächtigungssucht, die jetzt unser öffentliches Leben in schmachvoller Weise beherrscht, muß einem selbstlosen und volksthümlichen Vertrauen weichen, damit unser nationales Leben je eher desto mehr gesunde, und wir uns auch nach innen dessen würdig erweisen, was wir nach außen er¬ rungen haben und besitzen. Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig, Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/389>, abgerufen am 21.05.2024.