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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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sie für seine Zwecke ins Leben gerufen hatte, die römischen Städte dagegen
haben dies Schicksal viel seltener gehabt, und sehr selten haben sie deshalb
auch ihre antiken Namen mit wirklich deutschen Benennungen vertauscht. Noch
heute führen Orte wie Nymwegen, Bonn, Cöln, Remagen, Bingen, Mainz,
Worms, Basel n. s. w. die alten Namen in germcmisirter Form, und nnr in
wenigen Städten wie Straßburg (^.rgöntor^wir) siud sie durch rein deutsche
ersetzt worden. Ganz dieselbe Wahrnehmung tritt uns in den Donauländer
entgegen. Wenn in Augsburg, Regensburg, Passau, Linz, Wels, Wien auch
nicht ein einziges Stück römischer Herkunft zu Tage gekommen wäre, der Klang
dieser Namen allein schon würde dem Kundigen den antiken Ursprung dieser
Städte verrathen. Von den Thälern der Ostalpen, dem alten Noricum, gilt
Aehnliches. Das antike Celeia hat sich in Cilli (slovenisch Celje), Pötovio in
Pettau (slovenisch Ptuj) verwandelt, und andere Niederlassungen größeren Um¬
fangs, wie Salzburg, Laibach (slovenisch Ljnbljana), Lienz setzen, wenn auch
mit veränderter Bezeichnung, antike Ortschaften historisch fort (Juvavum, Emona,
Aguontum).

Doch gerade auf diesem Boden begegnen uns im Alterthum mehrere bedeutende
Plätze, deren Namen nicht nur den Umwohnern aus dem Gedächtnisse geschwun¬
den sind, sondern die auch völlig verödeten und ans deren Resten oder in deren
näherer Umgebung niemals Ortschaften neu erstanden, welche man als einen
Ersatz für die zerstörten betrachten könnte. Die Dörfer auf oder bei den Trüm¬
mern von Flavia Solva bei Leibnitz an der Mur, Teurnia bei Spital an der
oberen Drau, Virunum bei Klagenfurt können in keiner Weise den Anspruch er¬
heben, das zu bedeuten, was jene antiken Städte ihrer Zeit bedeutet haben.
Wären wir freilich für sie angewiesen auf die Nachrichten der alten Schrift¬
steller, so würden wir von ihnen allen nichts mehr wissen als den Namen und
würden kaum die Stätte mit einiger Sicherheit bestimmen können, wo sie ge¬
standen; doch fließen uns reichere und zuverlässigere Quellen, als es gelegent¬
liche Notizen eines zuweilen nur mangelhaft unterrichteten Autors zu sein
pflegen, in den Inschriften und den monumentalen Resten ihres Daseins.

Freilich nicht für alle drei genannten gleichmäßig, am reichsten unzweifel¬
haft für die an letzter Stelle genannte Stadt, für Virunum, die bedeutendste
Römerstadt des gesaimnten östlichen Alpenlandes. Gegen 400 Inschriften, zahl¬
lose Geräthe und Münzen, ausgedehnte Trümmer und plastische Reste, dies
alles bezeugt ein Dasein so reichlich und civilisirt, wie es nur irgendwo sonst
in diesen Grenzlanden sich hat entfalten können. Noch haben systematische Aus¬
grabungen in größerem Umfange nicht stattgefunden, denn dem zunächst interessirten
Institute, dem landständischen Museum zu Klagenfurt, fehlen die Mittel dazu,
um so mehr als der Grund und Boden in Privatbesitz sich befindet; aber auch


sie für seine Zwecke ins Leben gerufen hatte, die römischen Städte dagegen
haben dies Schicksal viel seltener gehabt, und sehr selten haben sie deshalb
auch ihre antiken Namen mit wirklich deutschen Benennungen vertauscht. Noch
heute führen Orte wie Nymwegen, Bonn, Cöln, Remagen, Bingen, Mainz,
Worms, Basel n. s. w. die alten Namen in germcmisirter Form, und nnr in
wenigen Städten wie Straßburg (^.rgöntor^wir) siud sie durch rein deutsche
ersetzt worden. Ganz dieselbe Wahrnehmung tritt uns in den Donauländer
entgegen. Wenn in Augsburg, Regensburg, Passau, Linz, Wels, Wien auch
nicht ein einziges Stück römischer Herkunft zu Tage gekommen wäre, der Klang
dieser Namen allein schon würde dem Kundigen den antiken Ursprung dieser
Städte verrathen. Von den Thälern der Ostalpen, dem alten Noricum, gilt
Aehnliches. Das antike Celeia hat sich in Cilli (slovenisch Celje), Pötovio in
Pettau (slovenisch Ptuj) verwandelt, und andere Niederlassungen größeren Um¬
fangs, wie Salzburg, Laibach (slovenisch Ljnbljana), Lienz setzen, wenn auch
mit veränderter Bezeichnung, antike Ortschaften historisch fort (Juvavum, Emona,
Aguontum).

Doch gerade auf diesem Boden begegnen uns im Alterthum mehrere bedeutende
Plätze, deren Namen nicht nur den Umwohnern aus dem Gedächtnisse geschwun¬
den sind, sondern die auch völlig verödeten und ans deren Resten oder in deren
näherer Umgebung niemals Ortschaften neu erstanden, welche man als einen
Ersatz für die zerstörten betrachten könnte. Die Dörfer auf oder bei den Trüm¬
mern von Flavia Solva bei Leibnitz an der Mur, Teurnia bei Spital an der
oberen Drau, Virunum bei Klagenfurt können in keiner Weise den Anspruch er¬
heben, das zu bedeuten, was jene antiken Städte ihrer Zeit bedeutet haben.
Wären wir freilich für sie angewiesen auf die Nachrichten der alten Schrift¬
steller, so würden wir von ihnen allen nichts mehr wissen als den Namen und
würden kaum die Stätte mit einiger Sicherheit bestimmen können, wo sie ge¬
standen; doch fließen uns reichere und zuverlässigere Quellen, als es gelegent¬
liche Notizen eines zuweilen nur mangelhaft unterrichteten Autors zu sein
pflegen, in den Inschriften und den monumentalen Resten ihres Daseins.

Freilich nicht für alle drei genannten gleichmäßig, am reichsten unzweifel¬
haft für die an letzter Stelle genannte Stadt, für Virunum, die bedeutendste
Römerstadt des gesaimnten östlichen Alpenlandes. Gegen 400 Inschriften, zahl¬
lose Geräthe und Münzen, ausgedehnte Trümmer und plastische Reste, dies
alles bezeugt ein Dasein so reichlich und civilisirt, wie es nur irgendwo sonst
in diesen Grenzlanden sich hat entfalten können. Noch haben systematische Aus¬
grabungen in größerem Umfange nicht stattgefunden, denn dem zunächst interessirten
Institute, dem landständischen Museum zu Klagenfurt, fehlen die Mittel dazu,
um so mehr als der Grund und Boden in Privatbesitz sich befindet; aber auch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/434>, abgerufen am 17.05.2024.