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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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werden sollten. Gleichzeitig hörte ich aber auch zu meiner Verwunderung von
einem Herrn, der mit einem anderen aus einem oberen Fenster des genannten
Hauses heraussah, meinen Namen rufen. Da ich, nicht wissend, ob ich oder
ein anderer meines Namens gemeint sei, auf diesen Ruf nichts erwiederte, kamen
beide Herrn herunter, und der eine redete mich sofort mit der Frage an: "Wo,
Teufel, kommst du her?" Auf meine Erwiederung, daß ich nicht die Ehre hätte,
sie zu kennen, fragten sie mich, ob ich mich nicht an * und * erinnern könne.
Ich besann mich und erkannte in ihnen ehemalige Schulfreunde von mir. Der
eine war Privatlehrer im Hause des Gouverneurs, der zweite, öffentlicher Jugend¬
lehrer in Riga, hatte sich mit mehreren anderen in Riga lebenden Deutschen
bei dem Hauslehrer eingefunden, um die aus dem Innern Rußlands als Ge¬
fangene kommenden Landsleute zu sehen. Wohlwollend und hilfreich schlugen
mir ihre Herzen entgegen. Sie, die da wußten, daß ich mehrere Jahre lang
Schullehrer in meinem Vaterlande gewesen war, riefen mir erfreut zu: "Hier
mußt du dein altes Handwerk wieder ergreifen, hier gilt das Schulmeistern, du
wirst dies Geschäft mit gutem Erfolge treiben" und versprachen mir ihre
kräftige Unterstützung. Sie hielten redlich Wort. Es wurde mir nicht nur
durch die Verwendung dieser meiner Freunde und eines unserer Capitäns die
Erlaubniß zu Theil, gleich den Offizieren in Riga zu bleiben, ich erhielt auch
durch die gütige Fürsorge der ersteren in verschiedenen Häusern Verdienst durch
Unterrichtgeben.

Der Umgang mit diesen meinen Landsleuten und Schulkameraden, die er¬
langte Bekanntschaft mit den Eltern, die ihre Kinder meinem Unterrichte an¬
vertrauten, der gute Ton, der in Riga herrscht, das Angenehme der Stadt
selbst -- dies alles würde mich auf meine Lebenszeit an Riga gefesselt haben,
wenn mich nicht die Sehnsucht nach meiner Heimat zu dieser zurückgezogen hätte.
Die Rückkehr von Riga, wo wir Anfang Juli eingetroffen waren, nach Deutsch¬
land begann im Monat December desselben Jahres (1813), als der Befehl ge¬
geben wurde, daß auch wir frei sein sollten. Da in dieser Jahreszeit die See
der Stürme wegen sehr gefährlich ist, so wurde die Reise zu Lande gemacht.
Was mir auf meiner Reise von Riga über Mitau und Libau bis Memel als
sehr bemerkenswerth auffiel, war das musterhafte, das deutsche und französische
an Schnelligkeit und Pünktlichkeit übertreffende russische Postwesen. Als ich
von der russischen Post nicht mehr Gebrauch machen konnte, fuhr ich theils mit
unseren, theils mit königl. sächsischen Offizieren, z. B. mit dem Major von
Zirkel und dem Rittmeister Scheffel, freundlichen humanen Männern, von Po-
langen nach Dresden. Auf einem Schlitten, welchen das Bureau des Fürsten
Repnin zu Dresden mit zuvorkommender Güte mir reichte, flog ich -- in russi¬
scher Pelzkleiduug: einem schweren Schafpelz, einer Pelzhose und Pelzstiefeln,


werden sollten. Gleichzeitig hörte ich aber auch zu meiner Verwunderung von
einem Herrn, der mit einem anderen aus einem oberen Fenster des genannten
Hauses heraussah, meinen Namen rufen. Da ich, nicht wissend, ob ich oder
ein anderer meines Namens gemeint sei, auf diesen Ruf nichts erwiederte, kamen
beide Herrn herunter, und der eine redete mich sofort mit der Frage an: „Wo,
Teufel, kommst du her?" Auf meine Erwiederung, daß ich nicht die Ehre hätte,
sie zu kennen, fragten sie mich, ob ich mich nicht an * und * erinnern könne.
Ich besann mich und erkannte in ihnen ehemalige Schulfreunde von mir. Der
eine war Privatlehrer im Hause des Gouverneurs, der zweite, öffentlicher Jugend¬
lehrer in Riga, hatte sich mit mehreren anderen in Riga lebenden Deutschen
bei dem Hauslehrer eingefunden, um die aus dem Innern Rußlands als Ge¬
fangene kommenden Landsleute zu sehen. Wohlwollend und hilfreich schlugen
mir ihre Herzen entgegen. Sie, die da wußten, daß ich mehrere Jahre lang
Schullehrer in meinem Vaterlande gewesen war, riefen mir erfreut zu: „Hier
mußt du dein altes Handwerk wieder ergreifen, hier gilt das Schulmeistern, du
wirst dies Geschäft mit gutem Erfolge treiben" und versprachen mir ihre
kräftige Unterstützung. Sie hielten redlich Wort. Es wurde mir nicht nur
durch die Verwendung dieser meiner Freunde und eines unserer Capitäns die
Erlaubniß zu Theil, gleich den Offizieren in Riga zu bleiben, ich erhielt auch
durch die gütige Fürsorge der ersteren in verschiedenen Häusern Verdienst durch
Unterrichtgeben.

Der Umgang mit diesen meinen Landsleuten und Schulkameraden, die er¬
langte Bekanntschaft mit den Eltern, die ihre Kinder meinem Unterrichte an¬
vertrauten, der gute Ton, der in Riga herrscht, das Angenehme der Stadt
selbst — dies alles würde mich auf meine Lebenszeit an Riga gefesselt haben,
wenn mich nicht die Sehnsucht nach meiner Heimat zu dieser zurückgezogen hätte.
Die Rückkehr von Riga, wo wir Anfang Juli eingetroffen waren, nach Deutsch¬
land begann im Monat December desselben Jahres (1813), als der Befehl ge¬
geben wurde, daß auch wir frei sein sollten. Da in dieser Jahreszeit die See
der Stürme wegen sehr gefährlich ist, so wurde die Reise zu Lande gemacht.
Was mir auf meiner Reise von Riga über Mitau und Libau bis Memel als
sehr bemerkenswerth auffiel, war das musterhafte, das deutsche und französische
an Schnelligkeit und Pünktlichkeit übertreffende russische Postwesen. Als ich
von der russischen Post nicht mehr Gebrauch machen konnte, fuhr ich theils mit
unseren, theils mit königl. sächsischen Offizieren, z. B. mit dem Major von
Zirkel und dem Rittmeister Scheffel, freundlichen humanen Männern, von Po-
langen nach Dresden. Auf einem Schlitten, welchen das Bureau des Fürsten
Repnin zu Dresden mit zuvorkommender Güte mir reichte, flog ich — in russi¬
scher Pelzkleiduug: einem schweren Schafpelz, einer Pelzhose und Pelzstiefeln,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/487>, abgerufen am 21.05.2024.