Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

liberalen Partei das Verständniß für die Bedürfnisse der Zeit doch nicht ab¬
handen gekommen war, wie es den Anschein gewonnen hatte, und daß auf unsere
liberalen Reichsboten der Einfluß, der hier, in den Wahl- und Bevölkerungs¬
kreisen, auf sie ausgeübt wird, ein segensreicherer und besserer ist, als es der¬
jenige der Laskerschen Parteifreunde in Berlin war. Die badische Bevölkerung,
so weit sie sich nicht in den Händen fanatischer Priester befindet, will von den
Männern, die hier als Vorkämpfer des Conservativismns sich geberden, einem
pietistisch-salbungsvollen Gutsbesitzer und einem chamäleonartigen Staatsanwalt,
in deren Gefolge sich eine Anzahl der intolerantesten orthodoxen Pfarrer be¬
findet, so wenig wissen, wie von dem Laster-Richterschen Manchester-Liberalis¬
mus. Das ist ja das eigenthümliche bei uns in Baden, daß es hier Conser-
vative vom preußischen Schlage, d. h. als rein politische Partei, nicht giebt.
Der preußische Conservativismus hat seine hervorragenden Stützen in dem fest¬
gesessenen grundbesitzenden Adel und in den höheren Beamtenkreisen; eine Ver-
quickung mit den Orthodoxen findet eigentlich doch nur ausnahmsweise und
nebensächlich statt. Der echte preußische Conservative würde es selbst im auf¬
geregtesten Wahlkampfe schwer über sich gewinnen, in dem Augenblicke haupt¬
sächlich durch die Ultramontanen sich wählen zu lassen, wo deren Führer-in
öffentlicher Wahlversammlung, wie es in Ettlingen der Fall gewesen, sich vor
ihren Wählern entschuldigen zu müssen glauben, daß man sür einen protestanti¬
schen Pfarrer stimme, wo man in der Schweiz die Entstehung protestantischer
Gemeinden perhorrescirt wie die Niederlassung Aussätziger, wo die Curie gegen
den Staat von neuem eine feindselige Haltung einnimmt. Unsere Orthodoxen
aber gingen mit den Ultramontanen in offenem Bündnisse zusammen, in der
Presse wie in den Versammlungen nahmen sie stets zuerst das Wort für die
Ultramontanen. Durch dieses Gebühren hat die conservative Strömung, die
wie im ganzen Reiche, so auch bei uns in Baden hervortrat und gegen das
Manchesterthum eine heilsame Gegenbestrebung ins Werk zu setzen schien, im
Volke schon wieder allen Halt verloren. Das Blatt, das man mit großen
Hoffnungen ins Leben rief und das auch wirklich einem weit gefühlten Bedürf¬
niß abhelfen zu sollen schien, verlor -- wozu eine mehr als tactlose Redaction
und eine wüste und verdächtigende Agitation allerdings nicht wenig beitrug --,
mehr und mehr an Ansehen und Boden, und wenn sich nicht in den Bezirken,
wo die Ultramontanen in der Minderheit sind, diese mit den Conservative" zu¬
sammenthäten, so wären sie schon jetzt zu den Todten zu legen. Das wäre
von unserem Standpunkte aus lebhaft zu beklagen, wenn es sich um eine wirk¬
lich conservative Partei bei uns handelte und wenn nicht der rechte Flügel der
liberalen Partei die Oberhand zu gewinnen schiene. Die ruhige und maßvolle
Haltung der Regierung, die allen den Kreisen, welche mit der Haltung der


liberalen Partei das Verständniß für die Bedürfnisse der Zeit doch nicht ab¬
handen gekommen war, wie es den Anschein gewonnen hatte, und daß auf unsere
liberalen Reichsboten der Einfluß, der hier, in den Wahl- und Bevölkerungs¬
kreisen, auf sie ausgeübt wird, ein segensreicherer und besserer ist, als es der¬
jenige der Laskerschen Parteifreunde in Berlin war. Die badische Bevölkerung,
so weit sie sich nicht in den Händen fanatischer Priester befindet, will von den
Männern, die hier als Vorkämpfer des Conservativismns sich geberden, einem
pietistisch-salbungsvollen Gutsbesitzer und einem chamäleonartigen Staatsanwalt,
in deren Gefolge sich eine Anzahl der intolerantesten orthodoxen Pfarrer be¬
findet, so wenig wissen, wie von dem Laster-Richterschen Manchester-Liberalis¬
mus. Das ist ja das eigenthümliche bei uns in Baden, daß es hier Conser-
vative vom preußischen Schlage, d. h. als rein politische Partei, nicht giebt.
Der preußische Conservativismus hat seine hervorragenden Stützen in dem fest¬
gesessenen grundbesitzenden Adel und in den höheren Beamtenkreisen; eine Ver-
quickung mit den Orthodoxen findet eigentlich doch nur ausnahmsweise und
nebensächlich statt. Der echte preußische Conservative würde es selbst im auf¬
geregtesten Wahlkampfe schwer über sich gewinnen, in dem Augenblicke haupt¬
sächlich durch die Ultramontanen sich wählen zu lassen, wo deren Führer-in
öffentlicher Wahlversammlung, wie es in Ettlingen der Fall gewesen, sich vor
ihren Wählern entschuldigen zu müssen glauben, daß man sür einen protestanti¬
schen Pfarrer stimme, wo man in der Schweiz die Entstehung protestantischer
Gemeinden perhorrescirt wie die Niederlassung Aussätziger, wo die Curie gegen
den Staat von neuem eine feindselige Haltung einnimmt. Unsere Orthodoxen
aber gingen mit den Ultramontanen in offenem Bündnisse zusammen, in der
Presse wie in den Versammlungen nahmen sie stets zuerst das Wort für die
Ultramontanen. Durch dieses Gebühren hat die conservative Strömung, die
wie im ganzen Reiche, so auch bei uns in Baden hervortrat und gegen das
Manchesterthum eine heilsame Gegenbestrebung ins Werk zu setzen schien, im
Volke schon wieder allen Halt verloren. Das Blatt, das man mit großen
Hoffnungen ins Leben rief und das auch wirklich einem weit gefühlten Bedürf¬
niß abhelfen zu sollen schien, verlor — wozu eine mehr als tactlose Redaction
und eine wüste und verdächtigende Agitation allerdings nicht wenig beitrug —,
mehr und mehr an Ansehen und Boden, und wenn sich nicht in den Bezirken,
wo die Ultramontanen in der Minderheit sind, diese mit den Conservative» zu¬
sammenthäten, so wären sie schon jetzt zu den Todten zu legen. Das wäre
von unserem Standpunkte aus lebhaft zu beklagen, wenn es sich um eine wirk¬
lich conservative Partei bei uns handelte und wenn nicht der rechte Flügel der
liberalen Partei die Oberhand zu gewinnen schiene. Die ruhige und maßvolle
Haltung der Regierung, die allen den Kreisen, welche mit der Haltung der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/147137"/>
          <p xml:id="ID_122" prev="#ID_121" next="#ID_123"> liberalen Partei das Verständniß für die Bedürfnisse der Zeit doch nicht ab¬<lb/>
handen gekommen war, wie es den Anschein gewonnen hatte, und daß auf unsere<lb/>
liberalen Reichsboten der Einfluß, der hier, in den Wahl- und Bevölkerungs¬<lb/>
kreisen, auf sie ausgeübt wird, ein segensreicherer und besserer ist, als es der¬<lb/>
jenige der Laskerschen Parteifreunde in Berlin war. Die badische Bevölkerung,<lb/>
so weit sie sich nicht in den Händen fanatischer Priester befindet, will von den<lb/>
Männern, die hier als Vorkämpfer des Conservativismns sich geberden, einem<lb/>
pietistisch-salbungsvollen Gutsbesitzer und einem chamäleonartigen Staatsanwalt,<lb/>
in deren Gefolge sich eine Anzahl der intolerantesten orthodoxen Pfarrer be¬<lb/>
findet, so wenig wissen, wie von dem Laster-Richterschen Manchester-Liberalis¬<lb/>
mus. Das ist ja das eigenthümliche bei uns in Baden, daß es hier Conser-<lb/>
vative vom preußischen Schlage, d. h. als rein politische Partei, nicht giebt.<lb/>
Der preußische Conservativismus hat seine hervorragenden Stützen in dem fest¬<lb/>
gesessenen grundbesitzenden Adel und in den höheren Beamtenkreisen; eine Ver-<lb/>
quickung mit den Orthodoxen findet eigentlich doch nur ausnahmsweise und<lb/>
nebensächlich statt. Der echte preußische Conservative würde es selbst im auf¬<lb/>
geregtesten Wahlkampfe schwer über sich gewinnen, in dem Augenblicke haupt¬<lb/>
sächlich durch die Ultramontanen sich wählen zu lassen, wo deren Führer-in<lb/>
öffentlicher Wahlversammlung, wie es in Ettlingen der Fall gewesen, sich vor<lb/>
ihren Wählern entschuldigen zu müssen glauben, daß man sür einen protestanti¬<lb/>
schen Pfarrer stimme, wo man in der Schweiz die Entstehung protestantischer<lb/>
Gemeinden perhorrescirt wie die Niederlassung Aussätziger, wo die Curie gegen<lb/>
den Staat von neuem eine feindselige Haltung einnimmt. Unsere Orthodoxen<lb/>
aber gingen mit den Ultramontanen in offenem Bündnisse zusammen, in der<lb/>
Presse wie in den Versammlungen nahmen sie stets zuerst das Wort für die<lb/>
Ultramontanen. Durch dieses Gebühren hat die conservative Strömung, die<lb/>
wie im ganzen Reiche, so auch bei uns in Baden hervortrat und gegen das<lb/>
Manchesterthum eine heilsame Gegenbestrebung ins Werk zu setzen schien, im<lb/>
Volke schon wieder allen Halt verloren. Das Blatt, das man mit großen<lb/>
Hoffnungen ins Leben rief und das auch wirklich einem weit gefühlten Bedürf¬<lb/>
niß abhelfen zu sollen schien, verlor &#x2014; wozu eine mehr als tactlose Redaction<lb/>
und eine wüste und verdächtigende Agitation allerdings nicht wenig beitrug &#x2014;,<lb/>
mehr und mehr an Ansehen und Boden, und wenn sich nicht in den Bezirken,<lb/>
wo die Ultramontanen in der Minderheit sind, diese mit den Conservative» zu¬<lb/>
sammenthäten, so wären sie schon jetzt zu den Todten zu legen. Das wäre<lb/>
von unserem Standpunkte aus lebhaft zu beklagen, wenn es sich um eine wirk¬<lb/>
lich conservative Partei bei uns handelte und wenn nicht der rechte Flügel der<lb/>
liberalen Partei die Oberhand zu gewinnen schiene. Die ruhige und maßvolle<lb/>
Haltung der Regierung, die allen den Kreisen, welche mit der Haltung der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] liberalen Partei das Verständniß für die Bedürfnisse der Zeit doch nicht ab¬ handen gekommen war, wie es den Anschein gewonnen hatte, und daß auf unsere liberalen Reichsboten der Einfluß, der hier, in den Wahl- und Bevölkerungs¬ kreisen, auf sie ausgeübt wird, ein segensreicherer und besserer ist, als es der¬ jenige der Laskerschen Parteifreunde in Berlin war. Die badische Bevölkerung, so weit sie sich nicht in den Händen fanatischer Priester befindet, will von den Männern, die hier als Vorkämpfer des Conservativismns sich geberden, einem pietistisch-salbungsvollen Gutsbesitzer und einem chamäleonartigen Staatsanwalt, in deren Gefolge sich eine Anzahl der intolerantesten orthodoxen Pfarrer be¬ findet, so wenig wissen, wie von dem Laster-Richterschen Manchester-Liberalis¬ mus. Das ist ja das eigenthümliche bei uns in Baden, daß es hier Conser- vative vom preußischen Schlage, d. h. als rein politische Partei, nicht giebt. Der preußische Conservativismus hat seine hervorragenden Stützen in dem fest¬ gesessenen grundbesitzenden Adel und in den höheren Beamtenkreisen; eine Ver- quickung mit den Orthodoxen findet eigentlich doch nur ausnahmsweise und nebensächlich statt. Der echte preußische Conservative würde es selbst im auf¬ geregtesten Wahlkampfe schwer über sich gewinnen, in dem Augenblicke haupt¬ sächlich durch die Ultramontanen sich wählen zu lassen, wo deren Führer-in öffentlicher Wahlversammlung, wie es in Ettlingen der Fall gewesen, sich vor ihren Wählern entschuldigen zu müssen glauben, daß man sür einen protestanti¬ schen Pfarrer stimme, wo man in der Schweiz die Entstehung protestantischer Gemeinden perhorrescirt wie die Niederlassung Aussätziger, wo die Curie gegen den Staat von neuem eine feindselige Haltung einnimmt. Unsere Orthodoxen aber gingen mit den Ultramontanen in offenem Bündnisse zusammen, in der Presse wie in den Versammlungen nahmen sie stets zuerst das Wort für die Ultramontanen. Durch dieses Gebühren hat die conservative Strömung, die wie im ganzen Reiche, so auch bei uns in Baden hervortrat und gegen das Manchesterthum eine heilsame Gegenbestrebung ins Werk zu setzen schien, im Volke schon wieder allen Halt verloren. Das Blatt, das man mit großen Hoffnungen ins Leben rief und das auch wirklich einem weit gefühlten Bedürf¬ niß abhelfen zu sollen schien, verlor — wozu eine mehr als tactlose Redaction und eine wüste und verdächtigende Agitation allerdings nicht wenig beitrug —, mehr und mehr an Ansehen und Boden, und wenn sich nicht in den Bezirken, wo die Ultramontanen in der Minderheit sind, diese mit den Conservative» zu¬ sammenthäten, so wären sie schon jetzt zu den Todten zu legen. Das wäre von unserem Standpunkte aus lebhaft zu beklagen, wenn es sich um eine wirk¬ lich conservative Partei bei uns handelte und wenn nicht der rechte Flügel der liberalen Partei die Oberhand zu gewinnen schiene. Die ruhige und maßvolle Haltung der Regierung, die allen den Kreisen, welche mit der Haltung der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/50>, abgerufen am 21.05.2024.