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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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tuosität dieses Revolutionärs anzueignen. Nachdem er ein Jahr lang gelernt,
wurde er als Hilfslehrer an die Akademie berufen, eine Geschichte, die, nebenbei
bemerkt, an das malitiöse Epigramm Goethes erinnert, in welchem zum Schluß
von einem "kurzen Gedärm" die Rede ist. Was Büret nun bei Gussow gelernt
hat, zeigt sein riesiges Bild in vollstem Umfange. Es ist eigentlich nur in zwei
Farben gemalt, in Gelb und Blau. Blau ist das Meer, über welchem der
Pegasos emporsteigt, nur von wenigen weißen Wolken marmorirt der Himmel,
welcher drei Viertheile der ganzen Leinwand einnimmt. Gelb ist das Flügel¬
pferd, gelb bis auf seine mächtigen Fittiche, und diese Masse von Gelb wirft
ihre Reflexe auf die Jungfrau sowohl als auf den Helden, dessen Panzer genau
so gelb ist wie sein Angesicht und sein Helm. Selbst die beredteste Schilderung
vermag den furchtbaren Eindruck nicht wiederzugeben, den diese gelbe Ueber-
schwemmung auf die Sehnerven des Beschauers ausübt. Wenn das das Pro¬
gramm unseres neuen Akademielehrers ist und es ihm gelingen sollte, eine ganze
Schule in diesem Sinne groß zu ziehen, dann sind wir rettungslos verloren.

In dein vollsten Fahrwasser der Romantik segelt auch in diesem Jahre ihr
entschiedenster Vertreter innerhalb der Berliner Schule, August von Heyden.
Aus dem altdeutschen Heldengedichte von der Navennaschlacht hat er den Mo¬
ment gewählt, wie sich Wittich durch einen Sprung in das Meer der Verfol¬
gung Dietrichs von Bern entzieht. Mit echt poetischer Schaffenskraft hat er
die wenigen, nur andeutenden Züge des Gedichts zu einem Gemälde voll kühner
Phantasie ausgesponnen. Von einem schroff am Meeresufer emporsteigenden
Felsen, dessen Spitze ein brennendes Schloß krönt, ist Wittich mit seinem Rosse
in die Fluthen des Meeres hinabgesprungen, wo ihn seine Ahne, das Meerweib
Wachildis, mit liebendem Arme empfängt. Dietrich von Bern ist ihm nach und
auf einen Felsen mitten im Meere gesprungen. Mit gewaltigem Kraftaufgebot
reißt er sein sich aufbäumendes Pferd zurück und blickt mit ohnmächtigem
Grimm dem in den Wogen verschwindenden Feinde nach. In dem Bestreben,
das Phantastische des Vorganges auch durch die Farbe auszudrücken, hat A.
v. Heyden sich im Colorit die größte Zurückhaltung auferlegt. Er ist in der
Vermeidung jeglicher Farbenrealität so weit gegangen, daß er z. B. das wogende
Meer nur andeutungsweise behandelt. Erst in einer größeren Entfernung ver¬
liert die Behandlung des Wassers für den Beschauer ihren decorativer Cha¬
rakter, der in der Nähe entschieden störend wirkt. Ist man dagegen weiter zurück¬
getreten, so ordnet sich das Meer wieder den Figuren unter, und man kann
sich ungestört dem Genusse der kühn erfundenen Composition hingeben. Einzelne
Theile wie der Rücken des aus den Fluthen mit edlem Schwung emporsteigen¬
den Meerweibes sind sogar mit entzückender Feinheit behandelt. Wenn die


tuosität dieses Revolutionärs anzueignen. Nachdem er ein Jahr lang gelernt,
wurde er als Hilfslehrer an die Akademie berufen, eine Geschichte, die, nebenbei
bemerkt, an das malitiöse Epigramm Goethes erinnert, in welchem zum Schluß
von einem „kurzen Gedärm" die Rede ist. Was Büret nun bei Gussow gelernt
hat, zeigt sein riesiges Bild in vollstem Umfange. Es ist eigentlich nur in zwei
Farben gemalt, in Gelb und Blau. Blau ist das Meer, über welchem der
Pegasos emporsteigt, nur von wenigen weißen Wolken marmorirt der Himmel,
welcher drei Viertheile der ganzen Leinwand einnimmt. Gelb ist das Flügel¬
pferd, gelb bis auf seine mächtigen Fittiche, und diese Masse von Gelb wirft
ihre Reflexe auf die Jungfrau sowohl als auf den Helden, dessen Panzer genau
so gelb ist wie sein Angesicht und sein Helm. Selbst die beredteste Schilderung
vermag den furchtbaren Eindruck nicht wiederzugeben, den diese gelbe Ueber-
schwemmung auf die Sehnerven des Beschauers ausübt. Wenn das das Pro¬
gramm unseres neuen Akademielehrers ist und es ihm gelingen sollte, eine ganze
Schule in diesem Sinne groß zu ziehen, dann sind wir rettungslos verloren.

In dein vollsten Fahrwasser der Romantik segelt auch in diesem Jahre ihr
entschiedenster Vertreter innerhalb der Berliner Schule, August von Heyden.
Aus dem altdeutschen Heldengedichte von der Navennaschlacht hat er den Mo¬
ment gewählt, wie sich Wittich durch einen Sprung in das Meer der Verfol¬
gung Dietrichs von Bern entzieht. Mit echt poetischer Schaffenskraft hat er
die wenigen, nur andeutenden Züge des Gedichts zu einem Gemälde voll kühner
Phantasie ausgesponnen. Von einem schroff am Meeresufer emporsteigenden
Felsen, dessen Spitze ein brennendes Schloß krönt, ist Wittich mit seinem Rosse
in die Fluthen des Meeres hinabgesprungen, wo ihn seine Ahne, das Meerweib
Wachildis, mit liebendem Arme empfängt. Dietrich von Bern ist ihm nach und
auf einen Felsen mitten im Meere gesprungen. Mit gewaltigem Kraftaufgebot
reißt er sein sich aufbäumendes Pferd zurück und blickt mit ohnmächtigem
Grimm dem in den Wogen verschwindenden Feinde nach. In dem Bestreben,
das Phantastische des Vorganges auch durch die Farbe auszudrücken, hat A.
v. Heyden sich im Colorit die größte Zurückhaltung auferlegt. Er ist in der
Vermeidung jeglicher Farbenrealität so weit gegangen, daß er z. B. das wogende
Meer nur andeutungsweise behandelt. Erst in einer größeren Entfernung ver¬
liert die Behandlung des Wassers für den Beschauer ihren decorativer Cha¬
rakter, der in der Nähe entschieden störend wirkt. Ist man dagegen weiter zurück¬
getreten, so ordnet sich das Meer wieder den Figuren unter, und man kann
sich ungestört dem Genusse der kühn erfundenen Composition hingeben. Einzelne
Theile wie der Rücken des aus den Fluthen mit edlem Schwung emporsteigen¬
den Meerweibes sind sogar mit entzückender Feinheit behandelt. Wenn die


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[0508] tuosität dieses Revolutionärs anzueignen. Nachdem er ein Jahr lang gelernt, wurde er als Hilfslehrer an die Akademie berufen, eine Geschichte, die, nebenbei bemerkt, an das malitiöse Epigramm Goethes erinnert, in welchem zum Schluß von einem „kurzen Gedärm" die Rede ist. Was Büret nun bei Gussow gelernt hat, zeigt sein riesiges Bild in vollstem Umfange. Es ist eigentlich nur in zwei Farben gemalt, in Gelb und Blau. Blau ist das Meer, über welchem der Pegasos emporsteigt, nur von wenigen weißen Wolken marmorirt der Himmel, welcher drei Viertheile der ganzen Leinwand einnimmt. Gelb ist das Flügel¬ pferd, gelb bis auf seine mächtigen Fittiche, und diese Masse von Gelb wirft ihre Reflexe auf die Jungfrau sowohl als auf den Helden, dessen Panzer genau so gelb ist wie sein Angesicht und sein Helm. Selbst die beredteste Schilderung vermag den furchtbaren Eindruck nicht wiederzugeben, den diese gelbe Ueber- schwemmung auf die Sehnerven des Beschauers ausübt. Wenn das das Pro¬ gramm unseres neuen Akademielehrers ist und es ihm gelingen sollte, eine ganze Schule in diesem Sinne groß zu ziehen, dann sind wir rettungslos verloren. In dein vollsten Fahrwasser der Romantik segelt auch in diesem Jahre ihr entschiedenster Vertreter innerhalb der Berliner Schule, August von Heyden. Aus dem altdeutschen Heldengedichte von der Navennaschlacht hat er den Mo¬ ment gewählt, wie sich Wittich durch einen Sprung in das Meer der Verfol¬ gung Dietrichs von Bern entzieht. Mit echt poetischer Schaffenskraft hat er die wenigen, nur andeutenden Züge des Gedichts zu einem Gemälde voll kühner Phantasie ausgesponnen. Von einem schroff am Meeresufer emporsteigenden Felsen, dessen Spitze ein brennendes Schloß krönt, ist Wittich mit seinem Rosse in die Fluthen des Meeres hinabgesprungen, wo ihn seine Ahne, das Meerweib Wachildis, mit liebendem Arme empfängt. Dietrich von Bern ist ihm nach und auf einen Felsen mitten im Meere gesprungen. Mit gewaltigem Kraftaufgebot reißt er sein sich aufbäumendes Pferd zurück und blickt mit ohnmächtigem Grimm dem in den Wogen verschwindenden Feinde nach. In dem Bestreben, das Phantastische des Vorganges auch durch die Farbe auszudrücken, hat A. v. Heyden sich im Colorit die größte Zurückhaltung auferlegt. Er ist in der Vermeidung jeglicher Farbenrealität so weit gegangen, daß er z. B. das wogende Meer nur andeutungsweise behandelt. Erst in einer größeren Entfernung ver¬ liert die Behandlung des Wassers für den Beschauer ihren decorativer Cha¬ rakter, der in der Nähe entschieden störend wirkt. Ist man dagegen weiter zurück¬ getreten, so ordnet sich das Meer wieder den Figuren unter, und man kann sich ungestört dem Genusse der kühn erfundenen Composition hingeben. Einzelne Theile wie der Rücken des aus den Fluthen mit edlem Schwung emporsteigen¬ den Meerweibes sind sogar mit entzückender Feinheit behandelt. Wenn die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/508>, abgerufen am 21.05.2024.