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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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ruhenden Erkennens bilden, aber nicht dieselbe Gewißheit wie diese in Anspruch
nehmen kann, daß ein Theil derselben immer den verschwimmenden Linien
gleichen wird, in denen die Objecte des entfernten Horizonts dem Auge erscheinen.

Wir haben in mancher Hinsicht, die Anklagen Marianos gegen die gegen¬
wärtig maßgebenden Strömungen im geistigen Leben Deutschlands mindern und
beschränken müssen; gestehen wir aber auch ein, daß ihm ein nicht geringes
Maß von Wahrheit eigen ist. Wir müssen bekennen, daß wir an idealem Ge¬
halt ärmer geworden sind. Die exacte Einzelarbeit in der Wissenschaft wird
nicht getragen von allgemeinen Gesichtspunkten und strebt nicht zu allgemeinen
Zielen. Ein naturalistischer und skeptischer Zug hemmt das Eindringen in die
Tiefe und das Aufsteigen in die Höhe. Der Naturalismus in der Kunst ent¬
springt aus derselben Wurzel. Und anch in der Erzählungsliteratur begegnen
wir nicht selten Darstellungen -- auch an Orten, wo man Besseres erwartet --,
bei denen man sich unwillkürlich fragt: Wie kann man es wagen, eine so ideen¬
lose, ja eine so aller sittlichen Idee ins Gesicht schlagende Leistung, nur weil
sie geschickt geschrieben ist, der Leserwelt darzubieten. Was uns von Mariano
unterscheidet, ist aber dies, daß er nur die trüben Seiten unseres geistigen Lebens
wahrnimmt, daß aber die lichten Seiten, die eine ideale Erneuerung hoffen
lassen, sich ihm entziehen.

Eine große Schuld an dem Sinken des idealen Geistes unter uns weist
Mariano dem Einfluß der Juden zu. Es ist nicht unsere Absicht, diesen Gegen¬
stand hier eingehend zu besprechen. Nur auf die Gesichtspunkte, die uns als
die wichtigsten erscheinen, möchten wir hinweisen. Wir können die Judenfrage
nicht für eine Racenfrage halten.*) Daß der aus innerer Ueberzeugung Christ
gewordene semit auch zur Fortbildung christlich-germanischer Cultur befähigt
ist, kann nicht bezweifelt werden. Felix Mendelssohn, I. F. Stahl, Aug. Neander
und nicht wenige andere Männer haben den Beweis geliefert. Die Judenfrage
ist eine historische, eine Culturfrage. Und wir halten daher allerdings die Be¬
hauptung für richtig, daß das Judenthum als solches, insoweit es nicht christia-
nisirt -ist, eine Gefahr für unsere geistige Entwickelung bildet. Unsere Cultur
ruht nach seiner ethisch-religiösen Seite auf dem Boden des Christenthums.
Wer sich auf denselben nicht stellt, dessen Culturleben ist nicht das germanische.
Das Judenthum geht vou anderen Voraussetzungen und Principien aus als wir.
Will es trotzdem sich einverleiben in unser Culturleben, so kann dieser Versuch
uur Erfolg haben, wenn dein letzteren fein specifisch christlicher Charakter ge¬
nommen ist. Es ist eine Nothwendigkeit für das Judenthum, dem Christlichen



*) Daß wir in diesem Punkte, ebenso wie in einigen vorausgehenden, mit nnserm
geschätzten Herrn Mitarbeiter nicht völlig übereinstimmen, bedarf für die regelmäßigen und
D. Red. aufmerksamen Leser d, Bl> keine besondere Erwähnung.

ruhenden Erkennens bilden, aber nicht dieselbe Gewißheit wie diese in Anspruch
nehmen kann, daß ein Theil derselben immer den verschwimmenden Linien
gleichen wird, in denen die Objecte des entfernten Horizonts dem Auge erscheinen.

Wir haben in mancher Hinsicht, die Anklagen Marianos gegen die gegen¬
wärtig maßgebenden Strömungen im geistigen Leben Deutschlands mindern und
beschränken müssen; gestehen wir aber auch ein, daß ihm ein nicht geringes
Maß von Wahrheit eigen ist. Wir müssen bekennen, daß wir an idealem Ge¬
halt ärmer geworden sind. Die exacte Einzelarbeit in der Wissenschaft wird
nicht getragen von allgemeinen Gesichtspunkten und strebt nicht zu allgemeinen
Zielen. Ein naturalistischer und skeptischer Zug hemmt das Eindringen in die
Tiefe und das Aufsteigen in die Höhe. Der Naturalismus in der Kunst ent¬
springt aus derselben Wurzel. Und anch in der Erzählungsliteratur begegnen
wir nicht selten Darstellungen — auch an Orten, wo man Besseres erwartet —,
bei denen man sich unwillkürlich fragt: Wie kann man es wagen, eine so ideen¬
lose, ja eine so aller sittlichen Idee ins Gesicht schlagende Leistung, nur weil
sie geschickt geschrieben ist, der Leserwelt darzubieten. Was uns von Mariano
unterscheidet, ist aber dies, daß er nur die trüben Seiten unseres geistigen Lebens
wahrnimmt, daß aber die lichten Seiten, die eine ideale Erneuerung hoffen
lassen, sich ihm entziehen.

Eine große Schuld an dem Sinken des idealen Geistes unter uns weist
Mariano dem Einfluß der Juden zu. Es ist nicht unsere Absicht, diesen Gegen¬
stand hier eingehend zu besprechen. Nur auf die Gesichtspunkte, die uns als
die wichtigsten erscheinen, möchten wir hinweisen. Wir können die Judenfrage
nicht für eine Racenfrage halten.*) Daß der aus innerer Ueberzeugung Christ
gewordene semit auch zur Fortbildung christlich-germanischer Cultur befähigt
ist, kann nicht bezweifelt werden. Felix Mendelssohn, I. F. Stahl, Aug. Neander
und nicht wenige andere Männer haben den Beweis geliefert. Die Judenfrage
ist eine historische, eine Culturfrage. Und wir halten daher allerdings die Be¬
hauptung für richtig, daß das Judenthum als solches, insoweit es nicht christia-
nisirt -ist, eine Gefahr für unsere geistige Entwickelung bildet. Unsere Cultur
ruht nach seiner ethisch-religiösen Seite auf dem Boden des Christenthums.
Wer sich auf denselben nicht stellt, dessen Culturleben ist nicht das germanische.
Das Judenthum geht vou anderen Voraussetzungen und Principien aus als wir.
Will es trotzdem sich einverleiben in unser Culturleben, so kann dieser Versuch
uur Erfolg haben, wenn dein letzteren fein specifisch christlicher Charakter ge¬
nommen ist. Es ist eine Nothwendigkeit für das Judenthum, dem Christlichen



*) Daß wir in diesem Punkte, ebenso wie in einigen vorausgehenden, mit nnserm
geschätzten Herrn Mitarbeiter nicht völlig übereinstimmen, bedarf für die regelmäßigen und
D. Red. aufmerksamen Leser d, Bl> keine besondere Erwähnung.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/529>, abgerufen am 15.06.2024.