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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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dem Stabreim oder der Alliteration, jener uralten, wunderbar wirksamen Kunst-
form, die uns schon in den ehrwürdigen Bruchstücken der Poesie unserer heid¬
nischen Vorfahren in alten Heldenliedern, in mächtigen Schilderungen des Welt¬
unterganges, in Zauberformeln und Rechtssatzungen begegnet. Daß Spuren der
Alliteration durch unsere ganze spätere Literatur sich verfolgen lassen, daß sie
auch heute uoch in der Sprache lebendig ist (auch abgesehen von jenen förm¬
lichen Nachbildungen, wie sie z. B. die beiden oben genannten Werke zeigen),
und zwar nicht nur in althergebrachten, festen Formeln, sondern als eines der
schönsten und kräftigste" Mittel, deu Wohllaut zu erzeugen und zu heben, dies
habe ich vor kurzem an anderer Stelle darzulegen versucht.*) In den nach¬
stehenden Zeilen will ich auf einen einzelnen Punkt der ganzen Erscheinung
etwas näher eingehen. Ich stelle hier eine Anzahl von Fällen zusammen, in
welchen mehr oder minder deutlich zu Tage tritt, wie theils unter der Ein¬
wirkung der Alliteration Wortzusammensetzungen oder Wendungen sich bildeten,
theils unter ihrem Schutze sonst ans der Sprache längst Geschwundeues sich
hielt. Selbstverständlich soll nicht etwa behauptet werden, daß bloß die Alli-
teration eine solche Macht äußere; dasselbe gilt vielmehr z. B. auch vom Reime.
Daß aber gerade die Alliteration in vielen Fällen so wirkte, steht außer Frage.
Die nachfolgende Zusammenstellung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständig¬
keit; auch soll von vornherein zugegeben werden, daß über die Berechtigung
unserer Auffassung im einzelnen Falle wohl gestritten werden kann. Die Natur
unseres Gegenstandes bringt es ja mit sich, daß ein förmlicher Beweis zu¬
weilen nicht erbracht werden kann.

Wenn Julius Hammer ein Buch betitelte: "Lerne, liebe, lebe", wenn man
Dickens' oricket ein ed.s Koartb. durch "Das Heimchen am Herde" über¬
setzte, wenn neuerdings Werke von Arthur Fitger erschienen sind unter dem Titel
"Fahrendes Volk" und "Hie Reich, hie Rom" (letzteres natürlich gebildet mit ab¬
sichtlicher Anspielung auf das bekannte "Hie Wels, hie Waldung"), so hat in
allen diesen und hundert ähnlichen Fällen die Alliterativn die Wahl der Worte,
die Bildung des Ausdrucks gewiß beeinflußt, so gut wie uuter gleichem Ein¬
flüsse Wilhelm Busch die Helden seiner berühmten Bubengeschichte Max und
Moritz taufte und, nicht minder wirksam als witzig, das "schön polierte" Klavier
als "Zimmerzier" bezeichnete. Dieselbe Erscheinung, welche wir hier bei einer
bestimmten, sich dessen mehr oder minder bewußten Person wahrnehmen können,
begegnet uns aber in zahlreichen Fällen auch in der gewöhnlichen Sprache.
Zumal gilt dies von der älteren Zeit, in der das Gefühl für die Alliteration
noch unmittelbarer und zugleich die Sprachbildung noch lebendiger war als in



*) Die Alliteration in der deutschen Sprache und Poesie. In der Zeitschrift "Europa",
1880, Ur. 1 und 2.

dem Stabreim oder der Alliteration, jener uralten, wunderbar wirksamen Kunst-
form, die uns schon in den ehrwürdigen Bruchstücken der Poesie unserer heid¬
nischen Vorfahren in alten Heldenliedern, in mächtigen Schilderungen des Welt¬
unterganges, in Zauberformeln und Rechtssatzungen begegnet. Daß Spuren der
Alliteration durch unsere ganze spätere Literatur sich verfolgen lassen, daß sie
auch heute uoch in der Sprache lebendig ist (auch abgesehen von jenen förm¬
lichen Nachbildungen, wie sie z. B. die beiden oben genannten Werke zeigen),
und zwar nicht nur in althergebrachten, festen Formeln, sondern als eines der
schönsten und kräftigste» Mittel, deu Wohllaut zu erzeugen und zu heben, dies
habe ich vor kurzem an anderer Stelle darzulegen versucht.*) In den nach¬
stehenden Zeilen will ich auf einen einzelnen Punkt der ganzen Erscheinung
etwas näher eingehen. Ich stelle hier eine Anzahl von Fällen zusammen, in
welchen mehr oder minder deutlich zu Tage tritt, wie theils unter der Ein¬
wirkung der Alliteration Wortzusammensetzungen oder Wendungen sich bildeten,
theils unter ihrem Schutze sonst ans der Sprache längst Geschwundeues sich
hielt. Selbstverständlich soll nicht etwa behauptet werden, daß bloß die Alli-
teration eine solche Macht äußere; dasselbe gilt vielmehr z. B. auch vom Reime.
Daß aber gerade die Alliteration in vielen Fällen so wirkte, steht außer Frage.
Die nachfolgende Zusammenstellung erhebt nicht den Anspruch auf Vollständig¬
keit; auch soll von vornherein zugegeben werden, daß über die Berechtigung
unserer Auffassung im einzelnen Falle wohl gestritten werden kann. Die Natur
unseres Gegenstandes bringt es ja mit sich, daß ein förmlicher Beweis zu¬
weilen nicht erbracht werden kann.

Wenn Julius Hammer ein Buch betitelte: „Lerne, liebe, lebe", wenn man
Dickens' oricket ein ed.s Koartb. durch „Das Heimchen am Herde" über¬
setzte, wenn neuerdings Werke von Arthur Fitger erschienen sind unter dem Titel
„Fahrendes Volk" und „Hie Reich, hie Rom" (letzteres natürlich gebildet mit ab¬
sichtlicher Anspielung auf das bekannte „Hie Wels, hie Waldung"), so hat in
allen diesen und hundert ähnlichen Fällen die Alliterativn die Wahl der Worte,
die Bildung des Ausdrucks gewiß beeinflußt, so gut wie uuter gleichem Ein¬
flüsse Wilhelm Busch die Helden seiner berühmten Bubengeschichte Max und
Moritz taufte und, nicht minder wirksam als witzig, das „schön polierte" Klavier
als „Zimmerzier" bezeichnete. Dieselbe Erscheinung, welche wir hier bei einer
bestimmten, sich dessen mehr oder minder bewußten Person wahrnehmen können,
begegnet uns aber in zahlreichen Fällen auch in der gewöhnlichen Sprache.
Zumal gilt dies von der älteren Zeit, in der das Gefühl für die Alliteration
noch unmittelbarer und zugleich die Sprachbildung noch lebendiger war als in



*) Die Alliteration in der deutschen Sprache und Poesie. In der Zeitschrift „Europa",
1880, Ur. 1 und 2.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/532>, abgerufen am 21.05.2024.