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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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hervorgebracht haben, just in den beiden norddeutschen Seehandelsplätzeu Ver¬
kümmerung und Verfall verursache"? Warum soll just bei uns Thorheit und
Dummheit sein, was in den mächtigsten Handelsreichen von Klugheit und Einsicht
zeugt? Ja wahrlich kein verständiger Mensch kann ernsthaft und gewissenhaft
glauben, daß die Aufhebung des Freihafensystems ein vitales Interesse der beiden
Städte schädigen wird. So stockblind kann auch der hartgesottenste Manchester¬
mann, so aller Einsicht bar selbst der eingeborene Sohn der Hanse nicht sein.
Da aber die beiden Städte, oder vielmehr die Mehrheit ihrer Männer von Amt
und Einfluß, sich noch sträuben, die Freihafenstellung aus eigener Initiative auf¬
zugeben, so leiten sie andere Beweggründe, und zwar in erster Linie der Dünkel
staatlicher Liliputsouveränetät. Es ist immer noch gar zu süß, ein klein wenig
herrschen zu können, und mit dem Eintritt in die Zolllinie würde wieder ein
morsches Stück von der alten Rüstung patrizischen Herrschaftsgelüstes und pa-
trizischer Herrlichkeit in den Staub sinken. Man fürchtet, und vielleicht mit
Recht, daß mit dem Schwinden der Zollgrenze auch sehr bald die Greuze des
eigenen Staatchens verschwinden mochte. Aber was die patrizisch-plutokratische
Minderheit fürchtet, das ersehnt freudig die große Mehrheit der Bevölkerung
beider Städte. Lasse sich doch Niemand durch das gegenwärtige Geschrei irre
machen. ' Nirgendwo ist die Presse so einseitig parteiisch, nirgendwo sind die
Bürger so abhängig und unfrei, wie in den "freien" Handelsrepubliken, wo Geld
und Credit die einzig bestimmenden Mächte sind.


81 yMÜrillAentis sex Sexten onus, üesmit,
use imiirms tibi, sunt mores se ImAll", nass^us,
?1eb8 cris.

Der kosmopolitische Standpunkt des Freihandelsschwärmers, sowie der enge
über die eigene Stadtmauer nicht hinausgehende manches "freien Bürgers", beide
müssen und werden aufgehen in den nationalen Standpunkt, und nachdem dies
geschehen, werden auch sie ihren Grimm überwinden und sich in der neuen Lage
so günstig wie möglich unter dem Schutze der Reichsgewalten einzurichten wissen.

Wenn man von dem Parteigeschrei in den Hansestädten und der Partei¬
leidenschaft hört, die in einzelnen Köpfen allerdings einen hohen Hitzegrad
erreicht hat, im allgemeinen aber doch nur künstlich angefacht und genährt wird,
so sollte man meinen, die Zollanschlußfrage habe der Reichskanzler urplötzlich er¬
funden, und er wolle sie gegen alles Recht und alle Billigkeit und wohl gar
in der Absicht, den Welthandel der beiden größten deutschen Seehäfen zu schädigen,
also aus übelwollender Gesinnung und aus feindseliger Chicane gegen sie,
gewaltsam lösen. Aber weder Recht noch Billigkeit, noch ein deutsches Inter¬
esse stehen auf Seiten der Städte. Die Zollanschlußfrage ist mindestens so
alt, wie der Zollverein sein würde, wenn er noch bestände. Seit mehr als


hervorgebracht haben, just in den beiden norddeutschen Seehandelsplätzeu Ver¬
kümmerung und Verfall verursache»? Warum soll just bei uns Thorheit und
Dummheit sein, was in den mächtigsten Handelsreichen von Klugheit und Einsicht
zeugt? Ja wahrlich kein verständiger Mensch kann ernsthaft und gewissenhaft
glauben, daß die Aufhebung des Freihafensystems ein vitales Interesse der beiden
Städte schädigen wird. So stockblind kann auch der hartgesottenste Manchester¬
mann, so aller Einsicht bar selbst der eingeborene Sohn der Hanse nicht sein.
Da aber die beiden Städte, oder vielmehr die Mehrheit ihrer Männer von Amt
und Einfluß, sich noch sträuben, die Freihafenstellung aus eigener Initiative auf¬
zugeben, so leiten sie andere Beweggründe, und zwar in erster Linie der Dünkel
staatlicher Liliputsouveränetät. Es ist immer noch gar zu süß, ein klein wenig
herrschen zu können, und mit dem Eintritt in die Zolllinie würde wieder ein
morsches Stück von der alten Rüstung patrizischen Herrschaftsgelüstes und pa-
trizischer Herrlichkeit in den Staub sinken. Man fürchtet, und vielleicht mit
Recht, daß mit dem Schwinden der Zollgrenze auch sehr bald die Greuze des
eigenen Staatchens verschwinden mochte. Aber was die patrizisch-plutokratische
Minderheit fürchtet, das ersehnt freudig die große Mehrheit der Bevölkerung
beider Städte. Lasse sich doch Niemand durch das gegenwärtige Geschrei irre
machen. ' Nirgendwo ist die Presse so einseitig parteiisch, nirgendwo sind die
Bürger so abhängig und unfrei, wie in den „freien" Handelsrepubliken, wo Geld
und Credit die einzig bestimmenden Mächte sind.


81 yMÜrillAentis sex Sexten onus, üesmit,
use imiirms tibi, sunt mores se ImAll», nass^us,
?1eb8 cris.

Der kosmopolitische Standpunkt des Freihandelsschwärmers, sowie der enge
über die eigene Stadtmauer nicht hinausgehende manches „freien Bürgers", beide
müssen und werden aufgehen in den nationalen Standpunkt, und nachdem dies
geschehen, werden auch sie ihren Grimm überwinden und sich in der neuen Lage
so günstig wie möglich unter dem Schutze der Reichsgewalten einzurichten wissen.

Wenn man von dem Parteigeschrei in den Hansestädten und der Partei¬
leidenschaft hört, die in einzelnen Köpfen allerdings einen hohen Hitzegrad
erreicht hat, im allgemeinen aber doch nur künstlich angefacht und genährt wird,
so sollte man meinen, die Zollanschlußfrage habe der Reichskanzler urplötzlich er¬
funden, und er wolle sie gegen alles Recht und alle Billigkeit und wohl gar
in der Absicht, den Welthandel der beiden größten deutschen Seehäfen zu schädigen,
also aus übelwollender Gesinnung und aus feindseliger Chicane gegen sie,
gewaltsam lösen. Aber weder Recht noch Billigkeit, noch ein deutsches Inter¬
esse stehen auf Seiten der Städte. Die Zollanschlußfrage ist mindestens so
alt, wie der Zollverein sein würde, wenn er noch bestände. Seit mehr als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/60>, abgerufen am 14.06.2024.