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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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haben ihre Selbständigkeit mit Nichten eingebüßt, sie werden auch ferner ihre
besondere Geschichte haben. Aber selbst die Nationaleinheit wird uns ein Ideal
noch lange, lange bleiben; so lange, als noch Sonderinteressen als reale Mächte
die Neichsinteressen durchkreuzen und schädigen. Ja, sie würde ganz fehlen,
wenn auch nur ein principieller Dualismus auf dem Gebiete des Staats oder
der Kirche als reale Macht verbliebe. Die rücksichtslose Verbannung jeder
geschichtlich besonderen antinationalen Existenz, dagegen die ausschließliche For¬
derung des deutschen Volksinteresses und das innige Umfassen des nationalen,
d. h. des ursprünglich und einzig Deutschen, um dasselbe fort und fort bewußt
und bestimmt zu entwickeln -- das allein macht die deutsche Nationaleinheit
aus. Und angesichts so hoher idealer und für das gegenwärtige Geschlecht
und Jahrhundert unerreichbaren Aufgaben jammert und schilt man über das
Bestreben des Reichskanzlers, die beschränkte Einheit ins Dasein zu rufen, wie
sie unsere Verfassung gewährleistet, und wie sie unseren gegenwärtigen natio¬
nalen Bedürfnissen entspricht! Doch das Gute, das die Thoren freiwillig nicht
gewollt, das müssen sie endlich wollen.

Die Durchführung der Reichsverfassung aber, die Schöpfung eines einheit¬
lichen Zoll- und Handelsgebiets, ist nicht nur ein heiliges deutsches Volksrecht,
sondern auch eine wirthschaftliche und politische Nothwendigkeit. Nicht nur ide¬
ale, sondern auch reale Interessen des deutschen Volkes erheischen sie.

Es leuchtet ein, daß die Regelung der Zoll- und Handelsgesetzgebung mit
dem weiten Gebiete der Handelsverträge, die Regelung der Bestimmungen über
Colonisation, Auswanderung und Schifffahrt, die Aenderungen gemeinsamer kon¬
sularischer Vertretung u. f. w. nur daun in einheitlichem Geiste zur Förderung
der Interessen des Reiches geschehen kaun, wenn Deutschland nicht verschiedene
Handelsgebiete mit heterogenen Interessen, sondern ein einziges Handelsgebiet
bildet, in welchem nur ein einziges allgemeines Interesse herrscht. Es leuchtet
ein, daß nur denn von einer handelspolitischen Weltstellung Deutschlands die
Rede sein kann, wenn Handel und Industrie in innigster Verbindung mit ein¬
ander leben und streben. So lange wir aber Freihafen haben, ist diese Ver¬
bindung gestört, ja sie wird sogar oft zu einem feindlichen Verhältniß. Die In¬
dustrie Deutschlands verfolgt Interessen, die der Handel der Freihafen nicht
anstrebt, ja die ihm nicht selten schnurstracks entgegen sind. Der norddeutsche
Seehandel wiederum ist es, der die inländische Industrie in ihrer wahren Be¬
deutung gar häufig verkannt hat und nie genug bemüht gewesen ist, ein natur¬
gemäßes Verhältniß zu ihr, das eine ungestörte Wechselwirkung bedingte, zu schaffen.
Der Handel aber, auch der größte, kann ohne ein industriereiches und gewerb-
fleißiges Hinterland nicht bestehen. Der Zwischenhandel, auch der ausgebreitete, muß
dem Eigenhandel erliegen. Die wahre und gesunde und deshalb dauerhafte Grundlage


Grenzboten III. 1330. 3

haben ihre Selbständigkeit mit Nichten eingebüßt, sie werden auch ferner ihre
besondere Geschichte haben. Aber selbst die Nationaleinheit wird uns ein Ideal
noch lange, lange bleiben; so lange, als noch Sonderinteressen als reale Mächte
die Neichsinteressen durchkreuzen und schädigen. Ja, sie würde ganz fehlen,
wenn auch nur ein principieller Dualismus auf dem Gebiete des Staats oder
der Kirche als reale Macht verbliebe. Die rücksichtslose Verbannung jeder
geschichtlich besonderen antinationalen Existenz, dagegen die ausschließliche For¬
derung des deutschen Volksinteresses und das innige Umfassen des nationalen,
d. h. des ursprünglich und einzig Deutschen, um dasselbe fort und fort bewußt
und bestimmt zu entwickeln — das allein macht die deutsche Nationaleinheit
aus. Und angesichts so hoher idealer und für das gegenwärtige Geschlecht
und Jahrhundert unerreichbaren Aufgaben jammert und schilt man über das
Bestreben des Reichskanzlers, die beschränkte Einheit ins Dasein zu rufen, wie
sie unsere Verfassung gewährleistet, und wie sie unseren gegenwärtigen natio¬
nalen Bedürfnissen entspricht! Doch das Gute, das die Thoren freiwillig nicht
gewollt, das müssen sie endlich wollen.

Die Durchführung der Reichsverfassung aber, die Schöpfung eines einheit¬
lichen Zoll- und Handelsgebiets, ist nicht nur ein heiliges deutsches Volksrecht,
sondern auch eine wirthschaftliche und politische Nothwendigkeit. Nicht nur ide¬
ale, sondern auch reale Interessen des deutschen Volkes erheischen sie.

Es leuchtet ein, daß die Regelung der Zoll- und Handelsgesetzgebung mit
dem weiten Gebiete der Handelsverträge, die Regelung der Bestimmungen über
Colonisation, Auswanderung und Schifffahrt, die Aenderungen gemeinsamer kon¬
sularischer Vertretung u. f. w. nur daun in einheitlichem Geiste zur Förderung
der Interessen des Reiches geschehen kaun, wenn Deutschland nicht verschiedene
Handelsgebiete mit heterogenen Interessen, sondern ein einziges Handelsgebiet
bildet, in welchem nur ein einziges allgemeines Interesse herrscht. Es leuchtet
ein, daß nur denn von einer handelspolitischen Weltstellung Deutschlands die
Rede sein kann, wenn Handel und Industrie in innigster Verbindung mit ein¬
ander leben und streben. So lange wir aber Freihafen haben, ist diese Ver¬
bindung gestört, ja sie wird sogar oft zu einem feindlichen Verhältniß. Die In¬
dustrie Deutschlands verfolgt Interessen, die der Handel der Freihafen nicht
anstrebt, ja die ihm nicht selten schnurstracks entgegen sind. Der norddeutsche
Seehandel wiederum ist es, der die inländische Industrie in ihrer wahren Be¬
deutung gar häufig verkannt hat und nie genug bemüht gewesen ist, ein natur¬
gemäßes Verhältniß zu ihr, das eine ungestörte Wechselwirkung bedingte, zu schaffen.
Der Handel aber, auch der größte, kann ohne ein industriereiches und gewerb-
fleißiges Hinterland nicht bestehen. Der Zwischenhandel, auch der ausgebreitete, muß
dem Eigenhandel erliegen. Die wahre und gesunde und deshalb dauerhafte Grundlage


Grenzboten III. 1330. 3
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/65>, abgerufen am 14.06.2024.