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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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sitzenden Christnsleichnam die ohnmächtig werdende Mutter von zwei Frauen
gehalten wird. Auch Sebastian dal Piombo, der in einem Altarbilde in
S. Francesco zu Viterbo noch der Gruppe in Sanct Peter folgt*), läßt in
einem jetzt in der Ermitage zu Petersburg befindlichen Bilde die Madonna hinter
dem am Boden liegenden Leichnam ohnmächtig in die Arme des Nikodemus
und der heiligen Frauen sinken **). Geradezu abstoßend wirkt die Komposition
des Tintoretto in der Akademie von Venedig (Ur. 568), und die kleine Replik
derselben in Palazzo Pitti (Ur. 248), beide den unmittelbar auf die Kreuzabnahme
folgenden Moment darstellend. Der todte Christus wird von Joseph von Ari-
mathia der Madonna auf den Schoß gelegt, welche ohnmächtig zurücksinke und
von einer der Marien gehalten wird, während hinter der Gruppe eine andere
weibliche Gestalt auf den Leichnam herabblickt. Der flüchtige Moment höchster
Erregung, der hier festgehalten ist, kann nur peinlich, nicht tragisch berühren.
Maßvoller zeigt sich noch Girolamo da Carpi, der in seiner Pieta des
Palazzo Pitti (Ur. 115) den Leichnam Christi in ähnlicher Weise wie Perugino
in seinem berühmten Gemälde derselben Galerie von den Freunden auf der
Bahre halten läßt und die in Ohnmacht fallende, von zwei Frauen aufgefangene
Madonna in den Hintergrund versetzt. Angelo Bronzino, von dem bereits
mehrere Darstellungen des Gegenstandes angeführt wurden, läßt sich wenigstens
ein Mal von Correggios Beispiel beeinflussen, indem er in einer überlebens¬
großen, figurenreichen Darstellung der Florentiner Akademie***) den Leichnam in
ähnlicher Lage wie Annibale Caracci am Boden ruhen läßt; der Körper wird
von Johannes halb emporgerichtet, der linke Arm des Todten von Magdalena
und vou der Mutter gehalten, die zwar noch stehend, aber bereits der Ohnmacht
nahe, von zwei Frauen umschlungen wird. Das Bild ist übrigens merkwürdig
dadurch, daß es zwei verschiedene Scenen vereinigt, nämlich mit der eben ge¬
schilderten diejenige der Kreuzabnahme, welche im Hintergrunde vor sich geht.
Auch den Florentiner Stefano Pieri (1629) sehen wir in einem Bilde der
Uffizien (Ur. 50) der Auffassungsweise des Correggio huldigen, desgleichen
Rutilio Manetti (1572--1639) in einem kleinen Oelgemälde der Pinakothek
zu Siena (Ur. 83).

Unerquicklich durch den bei einem Stoffe dieser Art doppelt fühlbaren
Mangel an innerem Gehalt berühren die meisten Darstellungen der Manieristen,
von denen nur noch einige wenige aus der großen Masse herausgehoben werden
mögen. Das von Michel Angelo gewählte Schema erfährt bei ihnen häufig
eine Umwandlung von durchaus unnatürlicher Wirkung, indem der Leichnam




*) Die Composition wird von Vasari Michel Angelo zugeschrieben.
*
Vgl. Crowe und Ccwalcasclle (D> A.) VI, 380. - **) KaU> äei pu-^ri xrsmäi Ur. 92.

sitzenden Christnsleichnam die ohnmächtig werdende Mutter von zwei Frauen
gehalten wird. Auch Sebastian dal Piombo, der in einem Altarbilde in
S. Francesco zu Viterbo noch der Gruppe in Sanct Peter folgt*), läßt in
einem jetzt in der Ermitage zu Petersburg befindlichen Bilde die Madonna hinter
dem am Boden liegenden Leichnam ohnmächtig in die Arme des Nikodemus
und der heiligen Frauen sinken **). Geradezu abstoßend wirkt die Komposition
des Tintoretto in der Akademie von Venedig (Ur. 568), und die kleine Replik
derselben in Palazzo Pitti (Ur. 248), beide den unmittelbar auf die Kreuzabnahme
folgenden Moment darstellend. Der todte Christus wird von Joseph von Ari-
mathia der Madonna auf den Schoß gelegt, welche ohnmächtig zurücksinke und
von einer der Marien gehalten wird, während hinter der Gruppe eine andere
weibliche Gestalt auf den Leichnam herabblickt. Der flüchtige Moment höchster
Erregung, der hier festgehalten ist, kann nur peinlich, nicht tragisch berühren.
Maßvoller zeigt sich noch Girolamo da Carpi, der in seiner Pieta des
Palazzo Pitti (Ur. 115) den Leichnam Christi in ähnlicher Weise wie Perugino
in seinem berühmten Gemälde derselben Galerie von den Freunden auf der
Bahre halten läßt und die in Ohnmacht fallende, von zwei Frauen aufgefangene
Madonna in den Hintergrund versetzt. Angelo Bronzino, von dem bereits
mehrere Darstellungen des Gegenstandes angeführt wurden, läßt sich wenigstens
ein Mal von Correggios Beispiel beeinflussen, indem er in einer überlebens¬
großen, figurenreichen Darstellung der Florentiner Akademie***) den Leichnam in
ähnlicher Lage wie Annibale Caracci am Boden ruhen läßt; der Körper wird
von Johannes halb emporgerichtet, der linke Arm des Todten von Magdalena
und vou der Mutter gehalten, die zwar noch stehend, aber bereits der Ohnmacht
nahe, von zwei Frauen umschlungen wird. Das Bild ist übrigens merkwürdig
dadurch, daß es zwei verschiedene Scenen vereinigt, nämlich mit der eben ge¬
schilderten diejenige der Kreuzabnahme, welche im Hintergrunde vor sich geht.
Auch den Florentiner Stefano Pieri (1629) sehen wir in einem Bilde der
Uffizien (Ur. 50) der Auffassungsweise des Correggio huldigen, desgleichen
Rutilio Manetti (1572—1639) in einem kleinen Oelgemälde der Pinakothek
zu Siena (Ur. 83).

Unerquicklich durch den bei einem Stoffe dieser Art doppelt fühlbaren
Mangel an innerem Gehalt berühren die meisten Darstellungen der Manieristen,
von denen nur noch einige wenige aus der großen Masse herausgehoben werden
mögen. Das von Michel Angelo gewählte Schema erfährt bei ihnen häufig
eine Umwandlung von durchaus unnatürlicher Wirkung, indem der Leichnam




*) Die Composition wird von Vasari Michel Angelo zugeschrieben.
*
Vgl. Crowe und Ccwalcasclle (D> A.) VI, 380. - **) KaU> äei pu-^ri xrsmäi Ur. 92.
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[0077] sitzenden Christnsleichnam die ohnmächtig werdende Mutter von zwei Frauen gehalten wird. Auch Sebastian dal Piombo, der in einem Altarbilde in S. Francesco zu Viterbo noch der Gruppe in Sanct Peter folgt*), läßt in einem jetzt in der Ermitage zu Petersburg befindlichen Bilde die Madonna hinter dem am Boden liegenden Leichnam ohnmächtig in die Arme des Nikodemus und der heiligen Frauen sinken **). Geradezu abstoßend wirkt die Komposition des Tintoretto in der Akademie von Venedig (Ur. 568), und die kleine Replik derselben in Palazzo Pitti (Ur. 248), beide den unmittelbar auf die Kreuzabnahme folgenden Moment darstellend. Der todte Christus wird von Joseph von Ari- mathia der Madonna auf den Schoß gelegt, welche ohnmächtig zurücksinke und von einer der Marien gehalten wird, während hinter der Gruppe eine andere weibliche Gestalt auf den Leichnam herabblickt. Der flüchtige Moment höchster Erregung, der hier festgehalten ist, kann nur peinlich, nicht tragisch berühren. Maßvoller zeigt sich noch Girolamo da Carpi, der in seiner Pieta des Palazzo Pitti (Ur. 115) den Leichnam Christi in ähnlicher Weise wie Perugino in seinem berühmten Gemälde derselben Galerie von den Freunden auf der Bahre halten läßt und die in Ohnmacht fallende, von zwei Frauen aufgefangene Madonna in den Hintergrund versetzt. Angelo Bronzino, von dem bereits mehrere Darstellungen des Gegenstandes angeführt wurden, läßt sich wenigstens ein Mal von Correggios Beispiel beeinflussen, indem er in einer überlebens¬ großen, figurenreichen Darstellung der Florentiner Akademie***) den Leichnam in ähnlicher Lage wie Annibale Caracci am Boden ruhen läßt; der Körper wird von Johannes halb emporgerichtet, der linke Arm des Todten von Magdalena und vou der Mutter gehalten, die zwar noch stehend, aber bereits der Ohnmacht nahe, von zwei Frauen umschlungen wird. Das Bild ist übrigens merkwürdig dadurch, daß es zwei verschiedene Scenen vereinigt, nämlich mit der eben ge¬ schilderten diejenige der Kreuzabnahme, welche im Hintergrunde vor sich geht. Auch den Florentiner Stefano Pieri (1629) sehen wir in einem Bilde der Uffizien (Ur. 50) der Auffassungsweise des Correggio huldigen, desgleichen Rutilio Manetti (1572—1639) in einem kleinen Oelgemälde der Pinakothek zu Siena (Ur. 83). Unerquicklich durch den bei einem Stoffe dieser Art doppelt fühlbaren Mangel an innerem Gehalt berühren die meisten Darstellungen der Manieristen, von denen nur noch einige wenige aus der großen Masse herausgehoben werden mögen. Das von Michel Angelo gewählte Schema erfährt bei ihnen häufig eine Umwandlung von durchaus unnatürlicher Wirkung, indem der Leichnam *) Die Composition wird von Vasari Michel Angelo zugeschrieben. * Vgl. Crowe und Ccwalcasclle (D> A.) VI, 380. - **) KaU> äei pu-^ri xrsmäi Ur. 92.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/77>, abgerufen am 14.06.2024.