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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Erscheinung der Madonna ein an frühere Perioden erinnernder idealistischer
Zug, so weicht dagegen das gegenseitige Größenverhältniß der beiden Figuren
nicht wie bei Michel Angelo von der Natur ab, wozu freilich auch bei der der
Wirklichkeit mehr entsprechenden Gruppirung eine zwingende Nothwendigkeit
nicht vorlag.

Die mit ungleich größeren Prätensionen auftretende Gruppe des Filippo
Parodi (f 1702) in S. Giustina zu Padua*) zeigt bei geschicktem Aufbau die
Ausschreitungen der berninesken Richtung in der theatralischen Weise, wie die
Madonna sich zu dem Leichnam herabbeugt, mit der linken Hand das Bahrtuch
haltend, wodurch der Oberkörper des Todten emporgerichtet wird, mit der Rechten
den bekannten, oft erwähnten Gestus machend. Von tüchtigem Naturstudium
zeugt der nackte Leichnam, auch die schwungvolle Bewegung desselben verdient
alle Anerkennung. Links von der Gruppe, die sich über einen: Altar erhebt,
steht ans einem besonderen niedrigeren Postament Maria Magdalena, die in äußerst
affectirter Haltung und mit knitteriger, wild flatternder Gewandung versehen
zu der Hauptgruppe emporschmachtet, auf der anderen Seite Johannes, der in
gleich theatralischer Pose mit der Linken auf die Marterwerkzeuge deutet, die
von einem kleinen Engel vor der Hauptgruppe gehalten werden.

Wir stehen am Ende unserer Wanderung. Zum Schluß sei es gestattet,
noch einen Blick auf eine Schöpfung unserer Tage zu werfen, welche den besten
Leistungen der modernen italienischen Sculptur beigezählt werden darf. Es ist
dies die Marmorgruppe von Giuseppe Dupre, welche eine Familienkapelle
des alten Campo Santo von Siena ziert und, last not toast, unsere lange
Reihe von Monumenten zu beschließen verdient. Allerdings muß gesagt werden,
daß die lange Reihe früherer, zum Theil mustergiltiger Werke auch unseren
Künstler, wie so viele vor ihm, gehindert hat, sich seiner Aufgabe mit voller
Unbefangenheit gegenüberzustellen, daß vielmehr in compositioneller Hinsicht
Anklänge an bereits Vorhandenes mit einer Art von ängstlicher Absichtlichkeit
vermieden sind. An ein berühmtes, allgemein bekanntes Vorbild sich direct an-
zulehnen, wäre jedoch für den Italiener ein noch bedenklicheres Wagniß gewesen
als für Professor Teschner, der sich in feinem voriges Jahr zu Dresden aus¬
gestellten Gemälde, wie wir aus den Besprechungen ersehen, unbeirrt von den
Forderungen der Zeit nach "Originalität", der Auffassungsweise des Michel
Angelo anschloß. Unter solchen Umständen gereicht es dem modernen Floren¬
tiner Künstler zu hoher Ehre, daß er es verstanden, einem bedeutenden Gegen-



*) Die Angabe, daß dieser Cvmpvsitwn ein Modell des Jacopo Sansotnno zu Grunde
liege (T'vincmxk, Vita ni ?"v. Lar"ovino, VvnWlu, 1752, S. 49) hat wenig Anspruch auf
Glaubwürdigkeit.

Erscheinung der Madonna ein an frühere Perioden erinnernder idealistischer
Zug, so weicht dagegen das gegenseitige Größenverhältniß der beiden Figuren
nicht wie bei Michel Angelo von der Natur ab, wozu freilich auch bei der der
Wirklichkeit mehr entsprechenden Gruppirung eine zwingende Nothwendigkeit
nicht vorlag.

Die mit ungleich größeren Prätensionen auftretende Gruppe des Filippo
Parodi (f 1702) in S. Giustina zu Padua*) zeigt bei geschicktem Aufbau die
Ausschreitungen der berninesken Richtung in der theatralischen Weise, wie die
Madonna sich zu dem Leichnam herabbeugt, mit der linken Hand das Bahrtuch
haltend, wodurch der Oberkörper des Todten emporgerichtet wird, mit der Rechten
den bekannten, oft erwähnten Gestus machend. Von tüchtigem Naturstudium
zeugt der nackte Leichnam, auch die schwungvolle Bewegung desselben verdient
alle Anerkennung. Links von der Gruppe, die sich über einen: Altar erhebt,
steht ans einem besonderen niedrigeren Postament Maria Magdalena, die in äußerst
affectirter Haltung und mit knitteriger, wild flatternder Gewandung versehen
zu der Hauptgruppe emporschmachtet, auf der anderen Seite Johannes, der in
gleich theatralischer Pose mit der Linken auf die Marterwerkzeuge deutet, die
von einem kleinen Engel vor der Hauptgruppe gehalten werden.

Wir stehen am Ende unserer Wanderung. Zum Schluß sei es gestattet,
noch einen Blick auf eine Schöpfung unserer Tage zu werfen, welche den besten
Leistungen der modernen italienischen Sculptur beigezählt werden darf. Es ist
dies die Marmorgruppe von Giuseppe Dupre, welche eine Familienkapelle
des alten Campo Santo von Siena ziert und, last not toast, unsere lange
Reihe von Monumenten zu beschließen verdient. Allerdings muß gesagt werden,
daß die lange Reihe früherer, zum Theil mustergiltiger Werke auch unseren
Künstler, wie so viele vor ihm, gehindert hat, sich seiner Aufgabe mit voller
Unbefangenheit gegenüberzustellen, daß vielmehr in compositioneller Hinsicht
Anklänge an bereits Vorhandenes mit einer Art von ängstlicher Absichtlichkeit
vermieden sind. An ein berühmtes, allgemein bekanntes Vorbild sich direct an-
zulehnen, wäre jedoch für den Italiener ein noch bedenklicheres Wagniß gewesen
als für Professor Teschner, der sich in feinem voriges Jahr zu Dresden aus¬
gestellten Gemälde, wie wir aus den Besprechungen ersehen, unbeirrt von den
Forderungen der Zeit nach „Originalität", der Auffassungsweise des Michel
Angelo anschloß. Unter solchen Umständen gereicht es dem modernen Floren¬
tiner Künstler zu hoher Ehre, daß er es verstanden, einem bedeutenden Gegen-



*) Die Angabe, daß dieser Cvmpvsitwn ein Modell des Jacopo Sansotnno zu Grunde
liege (T'vincmxk, Vita ni ?»v. Lar»ovino, VvnWlu, 1752, S. 49) hat wenig Anspruch auf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/79>, abgerufen am 21.05.2024.