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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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guten Geschäfte sprechen, wenn dieselbe sich auf friedlichem Wege durchführen
ließe, und das wird kaum möglich sein.

Nun geht aber neben der finanziellen Frage hier auch eine politische her,
die noch wichtiger zu sein scheint als jene, und deren baldige Lösung auf die
Zukunft Griechenlands wie auf diejenige Albaniens einen bedeutenden Einfluß
haben wird. "Für den Albanesen wie für den Griechen ist das slavische Ele¬
ment auf der Balkanhalbinsel ein gefährlicher Nachbar und Nebenbuhler; der
eine wie der andere empfindet vor diesen Serben, Montenegrinern und Bulgaren
eine tiefe Abneigung. Dagegen haben der Albcmese und der Grieche, wo sie
sich berührten, sich bis jetzt im allgemeinen gut vertragen. Im Königreich Hellas
gehen die Albanesen mehr und mehr im Griechenthume aus, in Südalbanien
sind sie zum großen Theile wenigstens in der Sprache und der Religion helle-
nisirt. Diese hellenisirten Tosken würden als Brücke zu einem noch innigeren
Einvernehmen zwischen den beiden Nationen dienen können, aber wenn die Regie¬
rung sie gegen ihren Willen zu griechischen Unterthanen machen will, läuft sie
Gefahr, die Brücke in die Luft zu sprengen." Die Lösung der griechisch - alba-
nesischen Grenzfrage ist also nicht so leicht, wie Manche sich vorstellen.

Nicht minder schwierig ist die der albanesisch-montenegrinischen. Die Mali¬
soren-Stämme wollten Plawa und Gussinje nicht abtreten, sie stellten sich dann
der Einverleibung des dafür angebotenen Gebietes am Zea mit den Waffen
entgegen, und sie lehnen nunmehr die Abtretung von Dulcigno mit Umgebung
an den Fürsten der Schwarzen Berge ab. Noch stehen sich die beiden Parteien
bei Tust bewaffnet gegenüber, und jeden Tag kann es geschehen, daß ein paar
Schüsse von der einen oder der anderen Seite den Krieg entzünden. Willigte
die Pforte ein, die von ihr den Truppen der Liga überlassene Stellung bei Tust
wieder zu besetzen, was sie schwerlich thun wird, räumten die Albanesen gut¬
willig die jetzt von ihnen bei Podgoritza und Dulcigno besetzten Positionen vor
Muktar Paschas Soldaten, was ebenfalls höchst unwahrscheinlich ist, und oeenpirten
die Montenegriner diese Punkte dann während des Abzugs der Türken, so würde
der Krieg mit einen: allgemeinen Ansturm der Liga gegen die Oceupationstruppen
beginnen. Denn es ist ein Irrthum, zu glauben, daß dieselbe sich zu einem
Verzicht auf die Landschaften am Zea bewegen lassen wird, bevor sie das
Kriegsglück versucht hat. Auch die Pforte würde sie nicht dazu bringen; denn
die Liga ist zwar von dieser organisirt, aber schon lange kein Werkzeug mehr
in deren Hand. Sie kaun ihr jetzt mit Aussicht auf Erfolg die Spitze bieten
oder ihr wenigstens geraume Zeit Widerstand leisten.

Oesterreich-Ungarn wird in der Sache gewiß nicht interveniren; denn das
würde große Kosten verursachen und sich nicht lohnen. Von einem Behalten
Oberalbcmiens wäre nicht die Rede. England würde sich dem wiedersetzen, weil


guten Geschäfte sprechen, wenn dieselbe sich auf friedlichem Wege durchführen
ließe, und das wird kaum möglich sein.

Nun geht aber neben der finanziellen Frage hier auch eine politische her,
die noch wichtiger zu sein scheint als jene, und deren baldige Lösung auf die
Zukunft Griechenlands wie auf diejenige Albaniens einen bedeutenden Einfluß
haben wird. „Für den Albanesen wie für den Griechen ist das slavische Ele¬
ment auf der Balkanhalbinsel ein gefährlicher Nachbar und Nebenbuhler; der
eine wie der andere empfindet vor diesen Serben, Montenegrinern und Bulgaren
eine tiefe Abneigung. Dagegen haben der Albcmese und der Grieche, wo sie
sich berührten, sich bis jetzt im allgemeinen gut vertragen. Im Königreich Hellas
gehen die Albanesen mehr und mehr im Griechenthume aus, in Südalbanien
sind sie zum großen Theile wenigstens in der Sprache und der Religion helle-
nisirt. Diese hellenisirten Tosken würden als Brücke zu einem noch innigeren
Einvernehmen zwischen den beiden Nationen dienen können, aber wenn die Regie¬
rung sie gegen ihren Willen zu griechischen Unterthanen machen will, läuft sie
Gefahr, die Brücke in die Luft zu sprengen." Die Lösung der griechisch - alba-
nesischen Grenzfrage ist also nicht so leicht, wie Manche sich vorstellen.

Nicht minder schwierig ist die der albanesisch-montenegrinischen. Die Mali¬
soren-Stämme wollten Plawa und Gussinje nicht abtreten, sie stellten sich dann
der Einverleibung des dafür angebotenen Gebietes am Zea mit den Waffen
entgegen, und sie lehnen nunmehr die Abtretung von Dulcigno mit Umgebung
an den Fürsten der Schwarzen Berge ab. Noch stehen sich die beiden Parteien
bei Tust bewaffnet gegenüber, und jeden Tag kann es geschehen, daß ein paar
Schüsse von der einen oder der anderen Seite den Krieg entzünden. Willigte
die Pforte ein, die von ihr den Truppen der Liga überlassene Stellung bei Tust
wieder zu besetzen, was sie schwerlich thun wird, räumten die Albanesen gut¬
willig die jetzt von ihnen bei Podgoritza und Dulcigno besetzten Positionen vor
Muktar Paschas Soldaten, was ebenfalls höchst unwahrscheinlich ist, und oeenpirten
die Montenegriner diese Punkte dann während des Abzugs der Türken, so würde
der Krieg mit einen: allgemeinen Ansturm der Liga gegen die Oceupationstruppen
beginnen. Denn es ist ein Irrthum, zu glauben, daß dieselbe sich zu einem
Verzicht auf die Landschaften am Zea bewegen lassen wird, bevor sie das
Kriegsglück versucht hat. Auch die Pforte würde sie nicht dazu bringen; denn
die Liga ist zwar von dieser organisirt, aber schon lange kein Werkzeug mehr
in deren Hand. Sie kaun ihr jetzt mit Aussicht auf Erfolg die Spitze bieten
oder ihr wenigstens geraume Zeit Widerstand leisten.

Oesterreich-Ungarn wird in der Sache gewiß nicht interveniren; denn das
würde große Kosten verursachen und sich nicht lohnen. Von einem Behalten
Oberalbcmiens wäre nicht die Rede. England würde sich dem wiedersetzen, weil


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/86>, abgerufen am 21.05.2024.