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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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setzt. Diese sieben Artikel hat das Herrenhaus unverändert angenommen. Da
an der königlichen Genehmigung des übereinstimmenden Beschlusses beider Häuser
nicht zu zweifeln ist, so wissen wir nun, daß wir ein Gesetz und welches Gesetz
wir bekommen werden.

Ist an dem Gewonnenen gewonnen oder verloren? Ist an dem Verlo¬
renen verloren oder gewonnen?

Der Zusammenhang des Gesetzes zunächst hat nicht gelitten, denn die Vor¬
lage bildete von Haus aus kein organisches Ganze, sondern eine Reihe zusam¬
menhangsloser Bestimmungen. Man hätte ebenso gut -- und es würde dies
sogar seinen Nutzen gehabt haben -- statt eines Gesetzes von elf Artikeln elf
Vorlagen von je einem Artikel einbringen können.

Was nun geblieben, das ist vor allen Dingen ganz unschädlich, rüttelt nicht
an der Maigesetzgebung und kann nur von Narren als die erste Station nach
Canossa erklärt werden. Da sind zuerst die drei Artikel ohne Endtermin. Der
eine bestimmt, daß fortan die Staatsbehörde nur auf Unfähigkeit zur Ausübung
eines Kirchenamts, nicht auf kirchliche Erledigung desselben erkennen kann. Eine
praktisch gleichgiltige, aber theoretisch -- und die Theorien der Lebensmächte
wollen auch geehrt sein, was nur Thoren verkennen -- sehr correcte Bestim¬
mung. Da ist ferner ein Artikel, welcher bestimmt, daß Amtshandlungen in ver¬
waisten Pfarrbezirken von ordnungsmäßig angestellten Geistlichen aushilfsweise
vollzogen werden dürfen, sofern aus der Handlung nicht die Absicht des Voll¬
ziehers erhellt, den Pfarrbezirk regelwidrig, d. h. ohne staatliche Genehmigung,
zu usurpiren- Bei diesem Artikel haben fast alle Redner bemerkt, daß die Ge¬
setzesbestimmungen schon bisher von den Gerichten nie anders hätten angewendet
werden sollen als im Sinne dieses Artikels. Der dritte Artikel endlich gestattet
den über die geistlichen Genossenschaften Aufsicht führenden Ministern, neue Nieder¬
lassungen der Krankenpflegeorden unter gewissen Umständen zu erlauben. Aber
diese Niederlassungen unterliegen der Staatsaufsicht und können durch königliche
Verordnung jederzeit aufgehoben werden.

Nun kommen die Artikel, die Ende nächsten Jahres wieder erlöschen sollen.
Nach dem einen kann das Staatsministerium Bisthumsverwesern den Eid er¬
lassen, welcher Gehorsam gegen die Staatsgesetze verspricht; nach dem anderen
kann die Einleitung und Fortdauer der commissarischen Vermögensverwaltung
in einem erledigten Bisthume einstweilen nur durch das Staatsministerium, nicht
durch den Oberpräsidenten angeordnet werden; nach dem dritten kann das
Staatsministerium die Wiederaufnahme eingestellter Staatsleistungen an die
Träger kirchlicher Aemter für den Umfang eines Sprengels anordnen, ohne daß
diese Träger alle gesetzlichen Bedingungen erfüllt haben, durch die sie zum
Empfang der Staatsleistungen berechtigt find.


setzt. Diese sieben Artikel hat das Herrenhaus unverändert angenommen. Da
an der königlichen Genehmigung des übereinstimmenden Beschlusses beider Häuser
nicht zu zweifeln ist, so wissen wir nun, daß wir ein Gesetz und welches Gesetz
wir bekommen werden.

Ist an dem Gewonnenen gewonnen oder verloren? Ist an dem Verlo¬
renen verloren oder gewonnen?

Der Zusammenhang des Gesetzes zunächst hat nicht gelitten, denn die Vor¬
lage bildete von Haus aus kein organisches Ganze, sondern eine Reihe zusam¬
menhangsloser Bestimmungen. Man hätte ebenso gut — und es würde dies
sogar seinen Nutzen gehabt haben — statt eines Gesetzes von elf Artikeln elf
Vorlagen von je einem Artikel einbringen können.

Was nun geblieben, das ist vor allen Dingen ganz unschädlich, rüttelt nicht
an der Maigesetzgebung und kann nur von Narren als die erste Station nach
Canossa erklärt werden. Da sind zuerst die drei Artikel ohne Endtermin. Der
eine bestimmt, daß fortan die Staatsbehörde nur auf Unfähigkeit zur Ausübung
eines Kirchenamts, nicht auf kirchliche Erledigung desselben erkennen kann. Eine
praktisch gleichgiltige, aber theoretisch — und die Theorien der Lebensmächte
wollen auch geehrt sein, was nur Thoren verkennen — sehr correcte Bestim¬
mung. Da ist ferner ein Artikel, welcher bestimmt, daß Amtshandlungen in ver¬
waisten Pfarrbezirken von ordnungsmäßig angestellten Geistlichen aushilfsweise
vollzogen werden dürfen, sofern aus der Handlung nicht die Absicht des Voll¬
ziehers erhellt, den Pfarrbezirk regelwidrig, d. h. ohne staatliche Genehmigung,
zu usurpiren- Bei diesem Artikel haben fast alle Redner bemerkt, daß die Ge¬
setzesbestimmungen schon bisher von den Gerichten nie anders hätten angewendet
werden sollen als im Sinne dieses Artikels. Der dritte Artikel endlich gestattet
den über die geistlichen Genossenschaften Aufsicht führenden Ministern, neue Nieder¬
lassungen der Krankenpflegeorden unter gewissen Umständen zu erlauben. Aber
diese Niederlassungen unterliegen der Staatsaufsicht und können durch königliche
Verordnung jederzeit aufgehoben werden.

Nun kommen die Artikel, die Ende nächsten Jahres wieder erlöschen sollen.
Nach dem einen kann das Staatsministerium Bisthumsverwesern den Eid er¬
lassen, welcher Gehorsam gegen die Staatsgesetze verspricht; nach dem anderen
kann die Einleitung und Fortdauer der commissarischen Vermögensverwaltung
in einem erledigten Bisthume einstweilen nur durch das Staatsministerium, nicht
durch den Oberpräsidenten angeordnet werden; nach dem dritten kann das
Staatsministerium die Wiederaufnahme eingestellter Staatsleistungen an die
Träger kirchlicher Aemter für den Umfang eines Sprengels anordnen, ohne daß
diese Träger alle gesetzlichen Bedingungen erfüllt haben, durch die sie zum
Empfang der Staatsleistungen berechtigt find.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/88>, abgerufen am 21.05.2024.