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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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des Vormarsches noch vor den Kämpfen aus seinen Briefen spricht! Eben ist
eine entscheidende Schlacht gewonnen, der endgiltige, volle Triumph steht bevor.
Da schreibt er an Hardenberg (Laon, den 19. März 1814): "Es ist mir außer
allem Zweifel, daß wir Napoleon vom Thron stürzen können, wenn wir wollen.
Unsere Armee ist mit den detachirten Corps über 100000 Mann stark. Wir
allein konnten dem Krieg ein Ende machen. Wenn indessen die Meinungen der
Regenten, Minister und Generale noch in solcher Zwietracht sind, als 14 Tage
früher, so muß ich zum Frieden rathen, aber zu einem Frieden, der Frankreich
alle gemachten Eroberungen abnehme, selbst Elsaß und Lothringen, worein Na¬
poleon bei unserem jetzigen Vorrücken gewiß willigen wird. Steht er einmal
entblößt von Eroberungen und Ruhm da, so wird er in der Meinung der
eitlen französischen Nation bis zur Verächtlichkeit herabsinken und vielleicht lang¬
sam zu Grunde gehen." Bezeichnend genug auch für die Stimmung Gneisenaus
ist es, daß er, verbittert durch die ganze Lage und durch Schwierigkeiten per¬
sönlicher Art, um die Generalpostmeisterstelle bat. Er gedachte nach dem Frie¬
densschluß die Armee sofort zu entlassen.

Mittlerweile war die große Armee, da ihr nur Marschälle gegenüber stehen
geblieben waren, ebenfalls wieder vorgerückt und hatte diese in mehreren Ge¬
fechten, namentlich bei Bar sur Aube (27. Februar) zurückgetrieben. Darauf
machte Schwarzenberg wieder Halt, um das Resultat der Kämpfe zwischen Blücher
und Napoleon abzuwarten.

Napoleon wandte sich nun, obgleich geschlagen, wirklich nochmals gegen die
große Armee, und so kam es zu dem Treffen von Areis für Aube (am 20. und
21. März). Von neuem besiegt, kam der Kaiser zu einem tolldreisten Entschluß.
Er zog ostwärts, um die Rückzugslinie der Verbündeten zu bedrohen. Da end¬
lich regte sich im Hauptquartier etwas mehr Kraft. Toll gab den Rath, unbe¬
kümmert um die Operationsbasis nach Paris zu ziehen. Und zu gleicher Zeit
äußerte Gneisenau Boyen gegenüber dieselbe Idee. So zog man denn vereinigt
auf Paris, "nicht aus Ueberlegenheit," wie Gneisenau später an Rüchel schrieb,
"der dafür sprechenden Gründe, sondern weil nichts anderes übrig blieb und das
Verhängniß die große Armee dahin stieß."

Der Zug war ohne Schwierigkeiten. Bei La Mre Champenoise wurde die
Division Paethod vernichtet, wobei Gneisenau sich persönlich auszeichnete. Mitten
im Kampfe ritt er, wie Steffens (Was ich erlebte) erzählt, in glänzender Gene-
ralsuniform vor die Quarre's der Feinde, um ihnen das Hoffnungslose ihrer
Lage vorzustellen und unnützes Blutvergießen zu verhindern. Endlich am 30.
März erstürmte man gegen Marmont den Montmartre. Es war gegen Abend,
als die Preußen die bezwungene Stadt zu ihren Füßen liegen sahen. "Eine
Glorie umstrahlte Gneisenaus Gesicht" -- so erzählt Stosch in seinen Auszeich-


des Vormarsches noch vor den Kämpfen aus seinen Briefen spricht! Eben ist
eine entscheidende Schlacht gewonnen, der endgiltige, volle Triumph steht bevor.
Da schreibt er an Hardenberg (Laon, den 19. März 1814): „Es ist mir außer
allem Zweifel, daß wir Napoleon vom Thron stürzen können, wenn wir wollen.
Unsere Armee ist mit den detachirten Corps über 100000 Mann stark. Wir
allein konnten dem Krieg ein Ende machen. Wenn indessen die Meinungen der
Regenten, Minister und Generale noch in solcher Zwietracht sind, als 14 Tage
früher, so muß ich zum Frieden rathen, aber zu einem Frieden, der Frankreich
alle gemachten Eroberungen abnehme, selbst Elsaß und Lothringen, worein Na¬
poleon bei unserem jetzigen Vorrücken gewiß willigen wird. Steht er einmal
entblößt von Eroberungen und Ruhm da, so wird er in der Meinung der
eitlen französischen Nation bis zur Verächtlichkeit herabsinken und vielleicht lang¬
sam zu Grunde gehen." Bezeichnend genug auch für die Stimmung Gneisenaus
ist es, daß er, verbittert durch die ganze Lage und durch Schwierigkeiten per¬
sönlicher Art, um die Generalpostmeisterstelle bat. Er gedachte nach dem Frie¬
densschluß die Armee sofort zu entlassen.

Mittlerweile war die große Armee, da ihr nur Marschälle gegenüber stehen
geblieben waren, ebenfalls wieder vorgerückt und hatte diese in mehreren Ge¬
fechten, namentlich bei Bar sur Aube (27. Februar) zurückgetrieben. Darauf
machte Schwarzenberg wieder Halt, um das Resultat der Kämpfe zwischen Blücher
und Napoleon abzuwarten.

Napoleon wandte sich nun, obgleich geschlagen, wirklich nochmals gegen die
große Armee, und so kam es zu dem Treffen von Areis für Aube (am 20. und
21. März). Von neuem besiegt, kam der Kaiser zu einem tolldreisten Entschluß.
Er zog ostwärts, um die Rückzugslinie der Verbündeten zu bedrohen. Da end¬
lich regte sich im Hauptquartier etwas mehr Kraft. Toll gab den Rath, unbe¬
kümmert um die Operationsbasis nach Paris zu ziehen. Und zu gleicher Zeit
äußerte Gneisenau Boyen gegenüber dieselbe Idee. So zog man denn vereinigt
auf Paris, „nicht aus Ueberlegenheit," wie Gneisenau später an Rüchel schrieb,
„der dafür sprechenden Gründe, sondern weil nichts anderes übrig blieb und das
Verhängniß die große Armee dahin stieß."

Der Zug war ohne Schwierigkeiten. Bei La Mre Champenoise wurde die
Division Paethod vernichtet, wobei Gneisenau sich persönlich auszeichnete. Mitten
im Kampfe ritt er, wie Steffens (Was ich erlebte) erzählt, in glänzender Gene-
ralsuniform vor die Quarre's der Feinde, um ihnen das Hoffnungslose ihrer
Lage vorzustellen und unnützes Blutvergießen zu verhindern. Endlich am 30.
März erstürmte man gegen Marmont den Montmartre. Es war gegen Abend,
als die Preußen die bezwungene Stadt zu ihren Füßen liegen sahen. „Eine
Glorie umstrahlte Gneisenaus Gesicht" — so erzählt Stosch in seinen Auszeich-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/60>, abgerufen am 31.05.2024.