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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal.

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100 Gulden reichten ungefähr für die Transportkosten hin, obwohl Bernauer
der größeren Sicherheit halber sich verpflichtet hatte, noch einen Stadtgardisten
mitzunehmen. Die vierzig und etliche Dukaten, welche die Republik Venedig
voraussichtlich zahlte, fielen also ziemlich ungeschmälert als Reingewinn in die
Tasche des Unternehmers; so hoffte er wenigstens.

Am 2. September 1756 nun wurde ihm der Missethäter vom Kaisheimer
Untervogt im Schießgrabenwirthshaus vor dem Gögginger Thore zu Augsburg
abgeliefert. Bernauer spendierte den beiden, dem Wächter und dem Bewachten,
in der Freude feines Herzens zum Abschied noch einen guten Trunk, der ihn
1 Gulden 40 Kreuzer kostete, und am nächsten oder übernächsten Tage brach
die Gesellschaft nach dem Süden auf. Der Unteroffizier hatte sich als Begleiter
einen Musketier von der Stadtgarde Namens Löser ausgewählt, der ein arger
und schon mehrfach bestrafter Lump war, aber etwas Italienisch zu radebrecheu
verstand. Dieser erhielt außer einigen Kleinigkeiten täglich 40 Kreuzer, wofür
er sich selbst zu verpflegen hatte, nebst dem Versprechen eines größeren Douceurs
nach glücklich vollendeter Reise. Auf die Verköstigung des Gefangenen war Ber¬
nauer verpflichtet 10 Kreuzer des Tages zu verwenden.

Wohlbehalten gelangten die drei Reisegefährten über Schongau, Scharnitz,
Insbruck, Bozen, Trient bis ins venetianische Gebiet. Dem Gardisten Löser
waren zwar noch vor der Abreise von Freunden des Verurteilten allerlei Ver¬
sprechungen gemacht worden, wenn er diesem zur Flucht behilflich sein würde,
er hatte auch unterwegs seinem Vorgesetzten gegenüber von diesen Anerbietungen
gesprochen; derselbe lehnte aber die Sache kurzerhand ab, indem er auf die 40
Dukaten hinwies, die ihnen in Venedig sicher blühten, sowie sie den Verbrecher
dort ablieferten. Eine kleine Nachlässigkeit indeß vereitelte, kurz ehe das Ziel
erreicht war, mit einem Schlage alle glänzenden Hoffnungen.

Bernauer hatte, um zu sparen, immer möglichst lange Tagemarsche machen
lassen und nur selten Fahrgelegenheiten benutzt. So kam es, daß die ganze
Gesellschaft gegen Ende der Reise sich in einem Zustande äußerster Ermüdung
befand. Am 16, September nun in einem Dorfe unweit Bassano geschah es,
daß der Führer und sein untergebener Musketier nach der Mittagsmahlzeit ein
wenig einnickten, ohne vorher die nöthigen Maßregeln zur Sicherung des Ge¬
fangenen getroffen zu haben. Während die Wächter schliefen, glückte es diesem
mit Beihilfe einiger Eingeborenen, die für den Unglücklichen lebhaft Partei
nahmen, sich der Fesseln zu entledigen und zu entwischen. Als der Unteroffizier
erwachte, sah er seinen Kameraden mit dem Kopfe auf dem Tisch eingeschlum¬
mert daliegen. Der Vogel aber war entflohen, und trotz aller Anstrengungen
gelang es nicht, desselben wieder habhaft zu werden.

Das war ein harter Schlag für die Escorte und namentlich für Bernauer.


100 Gulden reichten ungefähr für die Transportkosten hin, obwohl Bernauer
der größeren Sicherheit halber sich verpflichtet hatte, noch einen Stadtgardisten
mitzunehmen. Die vierzig und etliche Dukaten, welche die Republik Venedig
voraussichtlich zahlte, fielen also ziemlich ungeschmälert als Reingewinn in die
Tasche des Unternehmers; so hoffte er wenigstens.

Am 2. September 1756 nun wurde ihm der Missethäter vom Kaisheimer
Untervogt im Schießgrabenwirthshaus vor dem Gögginger Thore zu Augsburg
abgeliefert. Bernauer spendierte den beiden, dem Wächter und dem Bewachten,
in der Freude feines Herzens zum Abschied noch einen guten Trunk, der ihn
1 Gulden 40 Kreuzer kostete, und am nächsten oder übernächsten Tage brach
die Gesellschaft nach dem Süden auf. Der Unteroffizier hatte sich als Begleiter
einen Musketier von der Stadtgarde Namens Löser ausgewählt, der ein arger
und schon mehrfach bestrafter Lump war, aber etwas Italienisch zu radebrecheu
verstand. Dieser erhielt außer einigen Kleinigkeiten täglich 40 Kreuzer, wofür
er sich selbst zu verpflegen hatte, nebst dem Versprechen eines größeren Douceurs
nach glücklich vollendeter Reise. Auf die Verköstigung des Gefangenen war Ber¬
nauer verpflichtet 10 Kreuzer des Tages zu verwenden.

Wohlbehalten gelangten die drei Reisegefährten über Schongau, Scharnitz,
Insbruck, Bozen, Trient bis ins venetianische Gebiet. Dem Gardisten Löser
waren zwar noch vor der Abreise von Freunden des Verurteilten allerlei Ver¬
sprechungen gemacht worden, wenn er diesem zur Flucht behilflich sein würde,
er hatte auch unterwegs seinem Vorgesetzten gegenüber von diesen Anerbietungen
gesprochen; derselbe lehnte aber die Sache kurzerhand ab, indem er auf die 40
Dukaten hinwies, die ihnen in Venedig sicher blühten, sowie sie den Verbrecher
dort ablieferten. Eine kleine Nachlässigkeit indeß vereitelte, kurz ehe das Ziel
erreicht war, mit einem Schlage alle glänzenden Hoffnungen.

Bernauer hatte, um zu sparen, immer möglichst lange Tagemarsche machen
lassen und nur selten Fahrgelegenheiten benutzt. So kam es, daß die ganze
Gesellschaft gegen Ende der Reise sich in einem Zustande äußerster Ermüdung
befand. Am 16, September nun in einem Dorfe unweit Bassano geschah es,
daß der Führer und sein untergebener Musketier nach der Mittagsmahlzeit ein
wenig einnickten, ohne vorher die nöthigen Maßregeln zur Sicherung des Ge¬
fangenen getroffen zu haben. Während die Wächter schliefen, glückte es diesem
mit Beihilfe einiger Eingeborenen, die für den Unglücklichen lebhaft Partei
nahmen, sich der Fesseln zu entledigen und zu entwischen. Als der Unteroffizier
erwachte, sah er seinen Kameraden mit dem Kopfe auf dem Tisch eingeschlum¬
mert daliegen. Der Vogel aber war entflohen, und trotz aller Anstrengungen
gelang es nicht, desselben wieder habhaft zu werden.

Das war ein harter Schlag für die Escorte und namentlich für Bernauer.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157695/62>, abgerufen am 31.05.2024.