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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Großdentsche Geschichtschreibung.

tionären Nachbar getrieben. Später aber habe es, um in Polen freie Hand
zu bekommen, den aufopferungsfreudigen Bundesgenossen verlassen, sich allen
rechtlichen und moralischen Verpflichtungen entzogen und der französischen Re¬
publik die Hand zum Basler Frieden gereicht -- "dem Ausgangspunkt der
ärgsten Schmach, die jemals über Deutschland hereingebrochen." Aus rein mi¬
litärischen Gründen habe alsdann Oesterreich die Niederlande geräumt, und
wenn es später zu dem Frieden von Campo Formio gezwungen gewesen sei, so
falle dabei wesentlich die Schuld wieder Preußen zu. Hätte Preußen sich
energisch am Kampfe betheiligt, so hätte die Revolution nie Stärke gewinnen
können, so wäre nie von ihr das alte Reich ergriffen worden, zu dessen Ober¬
haupte zuletzt unter "tiefsinnigen Ceremoniell", über welches nur der "blasirte"
Ritter von Lang höhnen konnte, Franz von Oesterreich gewählt worden war,
kurz es wäre alles schön beim alten geblieben und auch Preußen hätte sich
den "kläglichen Bankerott von Jena" erspart. Die Absichten Oesterreichs auf
Baiern sind nach dem Verfasser höchst harmloser Natur gewesen. Wenn in
diesem Punkte der Kaiserstaat Tadel verdiene, so könne es nur deswegen sein,
weil er nicht energisch genug auf diese Compensation für Schlesien oder die
Niederlande eingegangen sei.

Das Vorstehende genügt wohl, um den Standpunkt zu kennzeichnen, wel¬
chen der Verfasser einnimmt. Wie aber ist es möglich, heute noch eine solche
fossile Ansicht zu verfechten? Langwerth selbst hat am Ende seines Werkes noch¬
mals ausdrücklich ausgesprochen, daß es von der weittragendsten Bedeutung sein
würde, wenn wir Deutschen endlich einsehen wollten, daß Oesterreich bei dem
über unser altes Reich in den Revolutionskriegen hereingebrochenen Geschicke
der verhältnißmüßig unschuldige Theil sei, daß seine Sünden mehr passiver
als activer Art gewesen und daß es im ganzen und großen treu bei der alten
Fahne bis zum Ende ausgehalten habe. Dagegen hören wir durch das ganze
Werk hindurch, daß Preußen von alledem nichts gethan habe.

Ueber diese Frage ist nicht mehr zu streiten. Wenn in solchen Fragen der
Standpunkt bürgerlicher Moral zulässig ist, dann mag man an der damaligen
preußischen Politik mehr auszusetzen haben als an der österreichischen. Nur
sollte man sich hüten, Oesterreich zu rühmen, daß es längere Zeit den Kampf
für das Reich fortsetzte, denn Oesterreichs Interessen waren an das Bestehen des
Reichs gebunden, während Preußen nur im Gegensatze zu dem verfallenden
Reiche und auf Kosten desselben sich entwickeln konnte und mußte. Eine Wohl¬
that aus Rücksicht auf das eigene Wohl verliert aber an Werth.

Was meint aber der Verfasser damit, wenn er sagt, daß die Erkenntniß,
zu der er uns überzeugen will, von weittragendster Bedeutung sein würde?
Hören wir ihn weiter. "Ich glaube mit Vivenot, daß nur die genaue Kennt-


Großdentsche Geschichtschreibung.

tionären Nachbar getrieben. Später aber habe es, um in Polen freie Hand
zu bekommen, den aufopferungsfreudigen Bundesgenossen verlassen, sich allen
rechtlichen und moralischen Verpflichtungen entzogen und der französischen Re¬
publik die Hand zum Basler Frieden gereicht — „dem Ausgangspunkt der
ärgsten Schmach, die jemals über Deutschland hereingebrochen." Aus rein mi¬
litärischen Gründen habe alsdann Oesterreich die Niederlande geräumt, und
wenn es später zu dem Frieden von Campo Formio gezwungen gewesen sei, so
falle dabei wesentlich die Schuld wieder Preußen zu. Hätte Preußen sich
energisch am Kampfe betheiligt, so hätte die Revolution nie Stärke gewinnen
können, so wäre nie von ihr das alte Reich ergriffen worden, zu dessen Ober¬
haupte zuletzt unter „tiefsinnigen Ceremoniell", über welches nur der „blasirte"
Ritter von Lang höhnen konnte, Franz von Oesterreich gewählt worden war,
kurz es wäre alles schön beim alten geblieben und auch Preußen hätte sich
den „kläglichen Bankerott von Jena" erspart. Die Absichten Oesterreichs auf
Baiern sind nach dem Verfasser höchst harmloser Natur gewesen. Wenn in
diesem Punkte der Kaiserstaat Tadel verdiene, so könne es nur deswegen sein,
weil er nicht energisch genug auf diese Compensation für Schlesien oder die
Niederlande eingegangen sei.

Das Vorstehende genügt wohl, um den Standpunkt zu kennzeichnen, wel¬
chen der Verfasser einnimmt. Wie aber ist es möglich, heute noch eine solche
fossile Ansicht zu verfechten? Langwerth selbst hat am Ende seines Werkes noch¬
mals ausdrücklich ausgesprochen, daß es von der weittragendsten Bedeutung sein
würde, wenn wir Deutschen endlich einsehen wollten, daß Oesterreich bei dem
über unser altes Reich in den Revolutionskriegen hereingebrochenen Geschicke
der verhältnißmüßig unschuldige Theil sei, daß seine Sünden mehr passiver
als activer Art gewesen und daß es im ganzen und großen treu bei der alten
Fahne bis zum Ende ausgehalten habe. Dagegen hören wir durch das ganze
Werk hindurch, daß Preußen von alledem nichts gethan habe.

Ueber diese Frage ist nicht mehr zu streiten. Wenn in solchen Fragen der
Standpunkt bürgerlicher Moral zulässig ist, dann mag man an der damaligen
preußischen Politik mehr auszusetzen haben als an der österreichischen. Nur
sollte man sich hüten, Oesterreich zu rühmen, daß es längere Zeit den Kampf
für das Reich fortsetzte, denn Oesterreichs Interessen waren an das Bestehen des
Reichs gebunden, während Preußen nur im Gegensatze zu dem verfallenden
Reiche und auf Kosten desselben sich entwickeln konnte und mußte. Eine Wohl¬
that aus Rücksicht auf das eigene Wohl verliert aber an Werth.

Was meint aber der Verfasser damit, wenn er sagt, daß die Erkenntniß,
zu der er uns überzeugen will, von weittragendster Bedeutung sein würde?
Hören wir ihn weiter. „Ich glaube mit Vivenot, daß nur die genaue Kennt-


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[0102] Großdentsche Geschichtschreibung. tionären Nachbar getrieben. Später aber habe es, um in Polen freie Hand zu bekommen, den aufopferungsfreudigen Bundesgenossen verlassen, sich allen rechtlichen und moralischen Verpflichtungen entzogen und der französischen Re¬ publik die Hand zum Basler Frieden gereicht — „dem Ausgangspunkt der ärgsten Schmach, die jemals über Deutschland hereingebrochen." Aus rein mi¬ litärischen Gründen habe alsdann Oesterreich die Niederlande geräumt, und wenn es später zu dem Frieden von Campo Formio gezwungen gewesen sei, so falle dabei wesentlich die Schuld wieder Preußen zu. Hätte Preußen sich energisch am Kampfe betheiligt, so hätte die Revolution nie Stärke gewinnen können, so wäre nie von ihr das alte Reich ergriffen worden, zu dessen Ober¬ haupte zuletzt unter „tiefsinnigen Ceremoniell", über welches nur der „blasirte" Ritter von Lang höhnen konnte, Franz von Oesterreich gewählt worden war, kurz es wäre alles schön beim alten geblieben und auch Preußen hätte sich den „kläglichen Bankerott von Jena" erspart. Die Absichten Oesterreichs auf Baiern sind nach dem Verfasser höchst harmloser Natur gewesen. Wenn in diesem Punkte der Kaiserstaat Tadel verdiene, so könne es nur deswegen sein, weil er nicht energisch genug auf diese Compensation für Schlesien oder die Niederlande eingegangen sei. Das Vorstehende genügt wohl, um den Standpunkt zu kennzeichnen, wel¬ chen der Verfasser einnimmt. Wie aber ist es möglich, heute noch eine solche fossile Ansicht zu verfechten? Langwerth selbst hat am Ende seines Werkes noch¬ mals ausdrücklich ausgesprochen, daß es von der weittragendsten Bedeutung sein würde, wenn wir Deutschen endlich einsehen wollten, daß Oesterreich bei dem über unser altes Reich in den Revolutionskriegen hereingebrochenen Geschicke der verhältnißmüßig unschuldige Theil sei, daß seine Sünden mehr passiver als activer Art gewesen und daß es im ganzen und großen treu bei der alten Fahne bis zum Ende ausgehalten habe. Dagegen hören wir durch das ganze Werk hindurch, daß Preußen von alledem nichts gethan habe. Ueber diese Frage ist nicht mehr zu streiten. Wenn in solchen Fragen der Standpunkt bürgerlicher Moral zulässig ist, dann mag man an der damaligen preußischen Politik mehr auszusetzen haben als an der österreichischen. Nur sollte man sich hüten, Oesterreich zu rühmen, daß es längere Zeit den Kampf für das Reich fortsetzte, denn Oesterreichs Interessen waren an das Bestehen des Reichs gebunden, während Preußen nur im Gegensatze zu dem verfallenden Reiche und auf Kosten desselben sich entwickeln konnte und mußte. Eine Wohl¬ that aus Rücksicht auf das eigene Wohl verliert aber an Werth. Was meint aber der Verfasser damit, wenn er sagt, daß die Erkenntniß, zu der er uns überzeugen will, von weittragendster Bedeutung sein würde? Hören wir ihn weiter. „Ich glaube mit Vivenot, daß nur die genaue Kennt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/102>, abgerufen am 28.05.2024.