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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Elemente im Staate.

an die Gerichte geliefert; in der Regel aber wagte die Polizei es gar nicht,
gegen die eigentlichen höhern Camorristen vorzugehen. Als vor einigen Jahren
eine Pferdebahn in Neapel angelegt wurde, erschien eines Tages im Bureau
der Direction ein unbekannter Mensch und eröffnete dem Chef: "Ich möchte
Sie bitten, mir monatlich 300 Lire auszuzahlen." Die Antwort lautete natür¬
lich : "Wie so? Wer sind Sie?" -- "Wir sind einige brave Leute, welche der
Gesellschaft wohlwollen, und möchten uns unser Wohlwollen vergüten lassen."--
"Sehr liebenswürdig von Ihnen; aber wir wissen Ihr geehrtes Wohlwollen
nicht hinreichend zu schätzen und würden Ihnen rathen sich zu packen." -- "Ich
möchte Sie noch darauf aufmerksam machen, daß Ihren Pferden allerlei Un¬
glück geschehen könnte, wenn Sie unsere Wünsche nicht beachten." Hierauf wurde
der Mann vor die Thür geworfen. Eine halbe Stunde später brach ein Pferd
der Compagnie ein Bein, am gleichen Tage noch zwei andere, und vierzehn
Tage lang geschah so viel Schaden an gestürzten Pferden, entgleisten Wagen
und zerstörten Schienen, daß der ganze Betrieb ins Stocken kam. Nach Ver¬
lauf dieser Zeit erschien derselbe Mensch wieder im Bureau der Pferdebahn¬
gesellschaft, wurde achtungsvoll aufgenommen, erhielt 300 Lire -- und man be¬
hauptet, daß dieser Tribut noch jetzt gezahlt werde.

Wer von den Inseln kommt, soll selbstverständlich sein Gepäck der Zoll¬
revision unterwerfen; er findet aber, sobald er will, einen Cvmmissionür, der
ihn dieser Mühe, natürlich gegen Bezahlung, überhebt. Auf der andern Seite
erzählen ihm die Bauern, welche von den Inseln Früchte ans Land bringen,
daß sie für den Centner immer 50 C. über die Taxe bezahlen müssen, xsr 1s.
cAlnorra, wie sie hinzusetzen. Im Sommer 1879 wurde einer deutschen Dame
die Börse aus der Tasche gestohlen. Während der kleine Dieb in ihrer Tasche
mauste, trat ein neapolitanisches Mädchen hinzu und machte sie auf den Dieb
aufmerksam. Der Junge entlief, das Mädchen wurde zwei Minuten später am
hellen Tage durch einen Messerstich in den Rücken ermordet -- die Rache für
ihren "Verrath." Und ist es nicht auch Camorra, wenn das größte und ange¬
sehenste Erziehungs- und Armenhaus Neapels, der ^.IbsrAo RsAlö, nach dem
amtlichen Ausweis von 1877 auf 2500 Pfleglinge einen Beamtenstand von 708,
mit den Geistlichen von 741 Mann ernährt, also auf je drei Arme einen Vor¬
gesetzten? Oder wenn, wie es thatsächlich der Fall ist, eine Anzahl der Fon-
daci, jener scheußlichen Kellerkasernen, Eigenthum frommer Stiftungen find, so
daß die elenden Höhlenbewohner mit ihrem Hunger, die Clienten der milden
Versorgungsanstalten ernähren müssen?

Wehe über dich, staatengründendes Rom, wer hat die Nachkommen der
Cäsaren also entarten lassen? Wehe über dich, Palladium der Christenheit lateini¬
schen Namens, wer hat dich den strengen Mann mit der dreigestaltigen Krone


Die destructiven Elemente im Staate.

an die Gerichte geliefert; in der Regel aber wagte die Polizei es gar nicht,
gegen die eigentlichen höhern Camorristen vorzugehen. Als vor einigen Jahren
eine Pferdebahn in Neapel angelegt wurde, erschien eines Tages im Bureau
der Direction ein unbekannter Mensch und eröffnete dem Chef: „Ich möchte
Sie bitten, mir monatlich 300 Lire auszuzahlen." Die Antwort lautete natür¬
lich : „Wie so? Wer sind Sie?" — „Wir sind einige brave Leute, welche der
Gesellschaft wohlwollen, und möchten uns unser Wohlwollen vergüten lassen."—
„Sehr liebenswürdig von Ihnen; aber wir wissen Ihr geehrtes Wohlwollen
nicht hinreichend zu schätzen und würden Ihnen rathen sich zu packen." — „Ich
möchte Sie noch darauf aufmerksam machen, daß Ihren Pferden allerlei Un¬
glück geschehen könnte, wenn Sie unsere Wünsche nicht beachten." Hierauf wurde
der Mann vor die Thür geworfen. Eine halbe Stunde später brach ein Pferd
der Compagnie ein Bein, am gleichen Tage noch zwei andere, und vierzehn
Tage lang geschah so viel Schaden an gestürzten Pferden, entgleisten Wagen
und zerstörten Schienen, daß der ganze Betrieb ins Stocken kam. Nach Ver¬
lauf dieser Zeit erschien derselbe Mensch wieder im Bureau der Pferdebahn¬
gesellschaft, wurde achtungsvoll aufgenommen, erhielt 300 Lire — und man be¬
hauptet, daß dieser Tribut noch jetzt gezahlt werde.

Wer von den Inseln kommt, soll selbstverständlich sein Gepäck der Zoll¬
revision unterwerfen; er findet aber, sobald er will, einen Cvmmissionür, der
ihn dieser Mühe, natürlich gegen Bezahlung, überhebt. Auf der andern Seite
erzählen ihm die Bauern, welche von den Inseln Früchte ans Land bringen,
daß sie für den Centner immer 50 C. über die Taxe bezahlen müssen, xsr 1s.
cAlnorra, wie sie hinzusetzen. Im Sommer 1879 wurde einer deutschen Dame
die Börse aus der Tasche gestohlen. Während der kleine Dieb in ihrer Tasche
mauste, trat ein neapolitanisches Mädchen hinzu und machte sie auf den Dieb
aufmerksam. Der Junge entlief, das Mädchen wurde zwei Minuten später am
hellen Tage durch einen Messerstich in den Rücken ermordet — die Rache für
ihren „Verrath." Und ist es nicht auch Camorra, wenn das größte und ange¬
sehenste Erziehungs- und Armenhaus Neapels, der ^.IbsrAo RsAlö, nach dem
amtlichen Ausweis von 1877 auf 2500 Pfleglinge einen Beamtenstand von 708,
mit den Geistlichen von 741 Mann ernährt, also auf je drei Arme einen Vor¬
gesetzten? Oder wenn, wie es thatsächlich der Fall ist, eine Anzahl der Fon-
daci, jener scheußlichen Kellerkasernen, Eigenthum frommer Stiftungen find, so
daß die elenden Höhlenbewohner mit ihrem Hunger, die Clienten der milden
Versorgungsanstalten ernähren müssen?

Wehe über dich, staatengründendes Rom, wer hat die Nachkommen der
Cäsaren also entarten lassen? Wehe über dich, Palladium der Christenheit lateini¬
schen Namens, wer hat dich den strengen Mann mit der dreigestaltigen Krone


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[0122] Die destructiven Elemente im Staate. an die Gerichte geliefert; in der Regel aber wagte die Polizei es gar nicht, gegen die eigentlichen höhern Camorristen vorzugehen. Als vor einigen Jahren eine Pferdebahn in Neapel angelegt wurde, erschien eines Tages im Bureau der Direction ein unbekannter Mensch und eröffnete dem Chef: „Ich möchte Sie bitten, mir monatlich 300 Lire auszuzahlen." Die Antwort lautete natür¬ lich : „Wie so? Wer sind Sie?" — „Wir sind einige brave Leute, welche der Gesellschaft wohlwollen, und möchten uns unser Wohlwollen vergüten lassen."— „Sehr liebenswürdig von Ihnen; aber wir wissen Ihr geehrtes Wohlwollen nicht hinreichend zu schätzen und würden Ihnen rathen sich zu packen." — „Ich möchte Sie noch darauf aufmerksam machen, daß Ihren Pferden allerlei Un¬ glück geschehen könnte, wenn Sie unsere Wünsche nicht beachten." Hierauf wurde der Mann vor die Thür geworfen. Eine halbe Stunde später brach ein Pferd der Compagnie ein Bein, am gleichen Tage noch zwei andere, und vierzehn Tage lang geschah so viel Schaden an gestürzten Pferden, entgleisten Wagen und zerstörten Schienen, daß der ganze Betrieb ins Stocken kam. Nach Ver¬ lauf dieser Zeit erschien derselbe Mensch wieder im Bureau der Pferdebahn¬ gesellschaft, wurde achtungsvoll aufgenommen, erhielt 300 Lire — und man be¬ hauptet, daß dieser Tribut noch jetzt gezahlt werde. Wer von den Inseln kommt, soll selbstverständlich sein Gepäck der Zoll¬ revision unterwerfen; er findet aber, sobald er will, einen Cvmmissionür, der ihn dieser Mühe, natürlich gegen Bezahlung, überhebt. Auf der andern Seite erzählen ihm die Bauern, welche von den Inseln Früchte ans Land bringen, daß sie für den Centner immer 50 C. über die Taxe bezahlen müssen, xsr 1s. cAlnorra, wie sie hinzusetzen. Im Sommer 1879 wurde einer deutschen Dame die Börse aus der Tasche gestohlen. Während der kleine Dieb in ihrer Tasche mauste, trat ein neapolitanisches Mädchen hinzu und machte sie auf den Dieb aufmerksam. Der Junge entlief, das Mädchen wurde zwei Minuten später am hellen Tage durch einen Messerstich in den Rücken ermordet — die Rache für ihren „Verrath." Und ist es nicht auch Camorra, wenn das größte und ange¬ sehenste Erziehungs- und Armenhaus Neapels, der ^.IbsrAo RsAlö, nach dem amtlichen Ausweis von 1877 auf 2500 Pfleglinge einen Beamtenstand von 708, mit den Geistlichen von 741 Mann ernährt, also auf je drei Arme einen Vor¬ gesetzten? Oder wenn, wie es thatsächlich der Fall ist, eine Anzahl der Fon- daci, jener scheußlichen Kellerkasernen, Eigenthum frommer Stiftungen find, so daß die elenden Höhlenbewohner mit ihrem Hunger, die Clienten der milden Versorgungsanstalten ernähren müssen? Wehe über dich, staatengründendes Rom, wer hat die Nachkommen der Cäsaren also entarten lassen? Wehe über dich, Palladium der Christenheit lateini¬ schen Namens, wer hat dich den strengen Mann mit der dreigestaltigen Krone

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/122>, abgerufen am 04.06.2024.