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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Das voi'gangeiio Jahr,

die Natur, solche fremde Körper in unserer Mitte noch viel länger zu dulden,
und assimilieren sie sich nicht, so wird man Schritte thun müssen, dies, soweit
die Verfassung es gestattet, auf anderen Wege herbeizuführen.

Nachdem die Parlamentarier in die sommerlichen Ferien gegangen, machte
ein Vorgang auf dem Gebiete des Parteilebens von sich reden, der von vielen
lange erwartet, von andern für nicht gut möglich gehalten worden war. Die
nationalliberale Partei, genauer die nativnalliberale Fraction, zerfiel, ihr linker
Flügel zerschnitt durch eine Erklärung vom 30. August den locker gewordenen
Zusammenhang mit dem rechten, und wir gelangten in den Besitz eines neuen
parlamentarischen Corps. Die "liberale" Partei, die mit dem genannten Mani¬
feste geschaffen werden sollte, beschäftigte -- in Ermangelung von wichtigeren --
die öffentliche Meinung, soweit dieselbe sich überhaupt um Parteibildung und Partei¬
manöver kümmert, einige Wochen ziemlich lebhaft. Die Führer der Secession,
größtentheils Preußen aus deu alten Provinzen, hatten bisher als große Lichter
bei den Redekümpfen der Parlamente geglänzt, und es hatte kaum eine Verhand¬
lung von Bedeutung gegeben, bei der sie nicht erst auf der Tribüne, dann in
den Spalten der Zeitungen eine hervorragende Rolle gespielt und von denen,
die ihres Glaubens waren, reichlich das Lob gesinnungstüchtiger Redefertigkeit
eingeheimst hatten. Fragte man aber jetzt nach dem, was sie bezweckten, so war
die Antwort nicht leicht zu finden. Sie wollen, wie es scheint, Fisch und Vogel,
Feuer und Wasser sein. Sie gedenken in den nächstliegenden und wesentlichsten
Fragen nicht mit dem Reichskanzler zu gehen, aber auch nicht mit der fortschrittlichen
Opposition, deren Maxime Widerspruch uuter alleu Umständen ist, und deren
Borkämpfer und Rufer im Streite, Herr Eugen Richter, nicht müde wird, mit
Stentorstimme unter verschiedenen Variationen sein "Weg mit Bismarck!" in die
Welt hinauszuschreien. In der auswärtigen Politik ist der Fürst ihnen ein
großer Mann, ein Genie, fast ein Heros, in der innern nicht, da wissen sie es besser,
da hat er nichts als Mißgriffe gemacht, da muß ihm der Weg vertreten und
das Leben nach Kräften sauer gemacht werden. Hier ist man, einerlei, was
man ihm als dem Regenerator Deutschlands zu danken hat, vollkommen eines
Herzens und eines 'Sinnes mit den Myrmidonen des Fortschritts, und selbst
die Mittel, die man anwendete, die Redeweise, deren man sich bediente, waren
von denen, die jene charakterisierten, nicht wesentlich verschieden. Mail sprach
und schrieb, um dem Kanzler Niederlagen zu bereiten, um ihn müde und mürbe
zu machen, und dabei hatte man die Stirn, sich zu rühmen, man habe ihn
unterstützt. Sah man sich die 28 Secessionisten näher an, so gehörte ein Theil
derselben zu den wohlmeinenden, aber weder klarsehenden, noch energischen
Geistern, die an die Möglichkeit einer Politik glaubten, welche durch die Parole
Bismarck-Delbrück und Bismarck-Falk bezeichnet wird. Dazu hatten sich Leute


Das voi'gangeiio Jahr,

die Natur, solche fremde Körper in unserer Mitte noch viel länger zu dulden,
und assimilieren sie sich nicht, so wird man Schritte thun müssen, dies, soweit
die Verfassung es gestattet, auf anderen Wege herbeizuführen.

Nachdem die Parlamentarier in die sommerlichen Ferien gegangen, machte
ein Vorgang auf dem Gebiete des Parteilebens von sich reden, der von vielen
lange erwartet, von andern für nicht gut möglich gehalten worden war. Die
nationalliberale Partei, genauer die nativnalliberale Fraction, zerfiel, ihr linker
Flügel zerschnitt durch eine Erklärung vom 30. August den locker gewordenen
Zusammenhang mit dem rechten, und wir gelangten in den Besitz eines neuen
parlamentarischen Corps. Die „liberale" Partei, die mit dem genannten Mani¬
feste geschaffen werden sollte, beschäftigte — in Ermangelung von wichtigeren —
die öffentliche Meinung, soweit dieselbe sich überhaupt um Parteibildung und Partei¬
manöver kümmert, einige Wochen ziemlich lebhaft. Die Führer der Secession,
größtentheils Preußen aus deu alten Provinzen, hatten bisher als große Lichter
bei den Redekümpfen der Parlamente geglänzt, und es hatte kaum eine Verhand¬
lung von Bedeutung gegeben, bei der sie nicht erst auf der Tribüne, dann in
den Spalten der Zeitungen eine hervorragende Rolle gespielt und von denen,
die ihres Glaubens waren, reichlich das Lob gesinnungstüchtiger Redefertigkeit
eingeheimst hatten. Fragte man aber jetzt nach dem, was sie bezweckten, so war
die Antwort nicht leicht zu finden. Sie wollen, wie es scheint, Fisch und Vogel,
Feuer und Wasser sein. Sie gedenken in den nächstliegenden und wesentlichsten
Fragen nicht mit dem Reichskanzler zu gehen, aber auch nicht mit der fortschrittlichen
Opposition, deren Maxime Widerspruch uuter alleu Umständen ist, und deren
Borkämpfer und Rufer im Streite, Herr Eugen Richter, nicht müde wird, mit
Stentorstimme unter verschiedenen Variationen sein „Weg mit Bismarck!" in die
Welt hinauszuschreien. In der auswärtigen Politik ist der Fürst ihnen ein
großer Mann, ein Genie, fast ein Heros, in der innern nicht, da wissen sie es besser,
da hat er nichts als Mißgriffe gemacht, da muß ihm der Weg vertreten und
das Leben nach Kräften sauer gemacht werden. Hier ist man, einerlei, was
man ihm als dem Regenerator Deutschlands zu danken hat, vollkommen eines
Herzens und eines 'Sinnes mit den Myrmidonen des Fortschritts, und selbst
die Mittel, die man anwendete, die Redeweise, deren man sich bediente, waren
von denen, die jene charakterisierten, nicht wesentlich verschieden. Mail sprach
und schrieb, um dem Kanzler Niederlagen zu bereiten, um ihn müde und mürbe
zu machen, und dabei hatte man die Stirn, sich zu rühmen, man habe ihn
unterstützt. Sah man sich die 28 Secessionisten näher an, so gehörte ein Theil
derselben zu den wohlmeinenden, aber weder klarsehenden, noch energischen
Geistern, die an die Möglichkeit einer Politik glaubten, welche durch die Parole
Bismarck-Delbrück und Bismarck-Falk bezeichnet wird. Dazu hatten sich Leute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/14>, abgerufen am 15.05.2024.