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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die Reformatimien in der christlichen Welt.

als werdende zu gelten haben; zwei hat die Kirche erlebt, zwei stehen, so Gott
will, zu hoffen.

Es ist das Verdienst der neuern, zumeist deutschen Geschichtswissenschaft, in
erster Linie zweier evangelischen Historiker, Luteus und Hases, daß man der
einflußreichsten und größten Persönlichkeit, welche im Mittelalter den Stuhl
Pein eingenommen hat, auch von protestantischer Seite vollkommen gerecht ge¬
worden ist. Das aus beschränkter Anschauung geflosseue Witzwort "Hildebrand
Höllenbrand" hat der Anerkennung Platz gemacht, daß wir in Gregor VII. eine
Gestalt zu erblicken haben, "in der sich, mit Hase zu reden, ein ganzes Zeitalter
darstellt, und Gedanken, die fast ein Jahrtausend lang die Völker beschäftigt
haben, zu einem hohen persönlichen Abschluß gelangt sind." Eine Reformation
der Kirche, welche bereits mit der Gründung des Klosters Clugny in Burgund
im Stillen begonnen, hatten schon vor ihm, jedoch schon sichtlich unter seinem
Einflüsse, vier würdige Päpste geplant; fertig gebracht ist sie erst durch ihn
worden, freilich nicht als eine zum Urquell des Christenthums zurückgehende
Wiedergeburt, aber doch als "eine Wiederherstellung aus sittlicher Verwelt¬
lichung." Die Kirche war durch Verkauf der Kirchenämter bis zum Papstthum
hinauf im 10. Jahrhundert eine felle Marktwaare geworden, die Sitten ihrer
Priester auss tiefste gesunken. Gregor hat dnrch Vernichtung der Simonie mit
eiserner Conseguenz die Kirchenämter auf ihren kirchlichen Zweck zurückgeführt
und so unstreitig eine Reformation, aber freilich mitunter durch sehr verwerf¬
liche Mittel, zu Stande gebracht. Und weil diese Reformation des 11. Jahr¬
hunderts in ihrem letzten Grunde, sofern sie Gottes Willen in seinem Stell¬
vertreter als höchstes Gesetz des Völkerlebens promülgirte, eine Protestation des
Geistes des - obschon nach damaligen Begriffen theilweise entstellten -- Chri¬
stenthums selbst war, ist sie gelungen und ein bleibendes Gut der christlichen
Welt geworden.

Allein nach Ablauf von drei Jahrhunderten war die Waffe, welche Gregor
so scharf geschliffen hatte, wiederum stumpf geworden. Das oberste Kirchen¬
amt, das Papstthum selbst, handelte jetzt mehr und mehr mit den kirchlichen
Würden, verkaufte oder verschenkte sie an unwürdige Günstlinge. Die Völker
sehnten sich, Dank auch dem in Italien wieder auflebenden Humanismus, nach einer
nochmaligen Reformation, sie verlangten und erwarteten sie aber nicht mehr
vom Papst, sondern am Papst, eine Reformation der Kirche an Haupt und
Gliedern, die Wiederherstellung einer würdigen Vertretung und Besorgung des
geistlichen Amtes in allen seinen Ständen. Im Gegensatze zu der souveränen
und monarchischen Form der Kirchenleitung, die durch abermalige Berweltlichung
und noch mehr durch Vertheilung auf drei um die Tiara sich streitende Päpste
sich selbst um Ansehen und Macht gebracht hatte, sollte eine Repräsentation der


Die Reformatimien in der christlichen Welt.

als werdende zu gelten haben; zwei hat die Kirche erlebt, zwei stehen, so Gott
will, zu hoffen.

Es ist das Verdienst der neuern, zumeist deutschen Geschichtswissenschaft, in
erster Linie zweier evangelischen Historiker, Luteus und Hases, daß man der
einflußreichsten und größten Persönlichkeit, welche im Mittelalter den Stuhl
Pein eingenommen hat, auch von protestantischer Seite vollkommen gerecht ge¬
worden ist. Das aus beschränkter Anschauung geflosseue Witzwort „Hildebrand
Höllenbrand" hat der Anerkennung Platz gemacht, daß wir in Gregor VII. eine
Gestalt zu erblicken haben, „in der sich, mit Hase zu reden, ein ganzes Zeitalter
darstellt, und Gedanken, die fast ein Jahrtausend lang die Völker beschäftigt
haben, zu einem hohen persönlichen Abschluß gelangt sind." Eine Reformation
der Kirche, welche bereits mit der Gründung des Klosters Clugny in Burgund
im Stillen begonnen, hatten schon vor ihm, jedoch schon sichtlich unter seinem
Einflüsse, vier würdige Päpste geplant; fertig gebracht ist sie erst durch ihn
worden, freilich nicht als eine zum Urquell des Christenthums zurückgehende
Wiedergeburt, aber doch als „eine Wiederherstellung aus sittlicher Verwelt¬
lichung." Die Kirche war durch Verkauf der Kirchenämter bis zum Papstthum
hinauf im 10. Jahrhundert eine felle Marktwaare geworden, die Sitten ihrer
Priester auss tiefste gesunken. Gregor hat dnrch Vernichtung der Simonie mit
eiserner Conseguenz die Kirchenämter auf ihren kirchlichen Zweck zurückgeführt
und so unstreitig eine Reformation, aber freilich mitunter durch sehr verwerf¬
liche Mittel, zu Stande gebracht. Und weil diese Reformation des 11. Jahr¬
hunderts in ihrem letzten Grunde, sofern sie Gottes Willen in seinem Stell¬
vertreter als höchstes Gesetz des Völkerlebens promülgirte, eine Protestation des
Geistes des - obschon nach damaligen Begriffen theilweise entstellten — Chri¬
stenthums selbst war, ist sie gelungen und ein bleibendes Gut der christlichen
Welt geworden.

Allein nach Ablauf von drei Jahrhunderten war die Waffe, welche Gregor
so scharf geschliffen hatte, wiederum stumpf geworden. Das oberste Kirchen¬
amt, das Papstthum selbst, handelte jetzt mehr und mehr mit den kirchlichen
Würden, verkaufte oder verschenkte sie an unwürdige Günstlinge. Die Völker
sehnten sich, Dank auch dem in Italien wieder auflebenden Humanismus, nach einer
nochmaligen Reformation, sie verlangten und erwarteten sie aber nicht mehr
vom Papst, sondern am Papst, eine Reformation der Kirche an Haupt und
Gliedern, die Wiederherstellung einer würdigen Vertretung und Besorgung des
geistlichen Amtes in allen seinen Ständen. Im Gegensatze zu der souveränen
und monarchischen Form der Kirchenleitung, die durch abermalige Berweltlichung
und noch mehr durch Vertheilung auf drei um die Tiara sich streitende Päpste
sich selbst um Ansehen und Macht gebracht hatte, sollte eine Repräsentation der


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[0146] Die Reformatimien in der christlichen Welt. als werdende zu gelten haben; zwei hat die Kirche erlebt, zwei stehen, so Gott will, zu hoffen. Es ist das Verdienst der neuern, zumeist deutschen Geschichtswissenschaft, in erster Linie zweier evangelischen Historiker, Luteus und Hases, daß man der einflußreichsten und größten Persönlichkeit, welche im Mittelalter den Stuhl Pein eingenommen hat, auch von protestantischer Seite vollkommen gerecht ge¬ worden ist. Das aus beschränkter Anschauung geflosseue Witzwort „Hildebrand Höllenbrand" hat der Anerkennung Platz gemacht, daß wir in Gregor VII. eine Gestalt zu erblicken haben, „in der sich, mit Hase zu reden, ein ganzes Zeitalter darstellt, und Gedanken, die fast ein Jahrtausend lang die Völker beschäftigt haben, zu einem hohen persönlichen Abschluß gelangt sind." Eine Reformation der Kirche, welche bereits mit der Gründung des Klosters Clugny in Burgund im Stillen begonnen, hatten schon vor ihm, jedoch schon sichtlich unter seinem Einflüsse, vier würdige Päpste geplant; fertig gebracht ist sie erst durch ihn worden, freilich nicht als eine zum Urquell des Christenthums zurückgehende Wiedergeburt, aber doch als „eine Wiederherstellung aus sittlicher Verwelt¬ lichung." Die Kirche war durch Verkauf der Kirchenämter bis zum Papstthum hinauf im 10. Jahrhundert eine felle Marktwaare geworden, die Sitten ihrer Priester auss tiefste gesunken. Gregor hat dnrch Vernichtung der Simonie mit eiserner Conseguenz die Kirchenämter auf ihren kirchlichen Zweck zurückgeführt und so unstreitig eine Reformation, aber freilich mitunter durch sehr verwerf¬ liche Mittel, zu Stande gebracht. Und weil diese Reformation des 11. Jahr¬ hunderts in ihrem letzten Grunde, sofern sie Gottes Willen in seinem Stell¬ vertreter als höchstes Gesetz des Völkerlebens promülgirte, eine Protestation des Geistes des - obschon nach damaligen Begriffen theilweise entstellten — Chri¬ stenthums selbst war, ist sie gelungen und ein bleibendes Gut der christlichen Welt geworden. Allein nach Ablauf von drei Jahrhunderten war die Waffe, welche Gregor so scharf geschliffen hatte, wiederum stumpf geworden. Das oberste Kirchen¬ amt, das Papstthum selbst, handelte jetzt mehr und mehr mit den kirchlichen Würden, verkaufte oder verschenkte sie an unwürdige Günstlinge. Die Völker sehnten sich, Dank auch dem in Italien wieder auflebenden Humanismus, nach einer nochmaligen Reformation, sie verlangten und erwarteten sie aber nicht mehr vom Papst, sondern am Papst, eine Reformation der Kirche an Haupt und Gliedern, die Wiederherstellung einer würdigen Vertretung und Besorgung des geistlichen Amtes in allen seinen Ständen. Im Gegensatze zu der souveränen und monarchischen Form der Kirchenleitung, die durch abermalige Berweltlichung und noch mehr durch Vertheilung auf drei um die Tiara sich streitende Päpste sich selbst um Ansehen und Macht gebracht hatte, sollte eine Repräsentation der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/146>, abgerufen am 14.05.2024.