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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Procent des Arbeitsverdienstes betragen soll. Bei Tödtung sollen 10 Procent
des Jahresverdienstes für die Beerdigungskosten und eine Rente von 20 Procent
desselben für die Wittwe, sowie eine solche von 1V Procent für jedes Kind unter
15 Jahren gezahlt werden. Für jeden Betrieb hat eine Cvllectivversicherung
gegen feste Prämien stattzufinden, deren Sätze so zu bemessen sind, daß aus den¬
selben die Entschädigungen und die Verwaltungskosten gedeckt werden können,
und die so aufgebracht werden sollen, daß bei Versicherten bis zu 750 Mark
Jahresverdienst zwei Drittel vom Unternehmer und ein Drittel vom Landarmeu-
vcrbandc, bei den übrigen die eine Hälfte vom Unternehmer und die andere vom
Versicherten zu entrichten ist. Bon jedem Unfälle, der tödtlich verläuft oder
mehr als vier Wochen arbeitsunfähig macht, muß der Unternehmer binnen zwei
Tagen der Ortspolizeibehördc Anzeige erstatten. Ist ein Unfall durch grobes
Verschulden des Unternehmers oder seines Vertreters herbeigeführt worden, so
haftet er der Reichsvcrstchcrungsanstnlt für alle Ausgabe".

Die Liberalen, namentlich die von Manchester geschulten, die von einer Mit-
wirkung deS Staates bei der Regelung der wirthschaftlichen Verhältnisse nichts
Nüssen wollen, werden diesen Vorschlägen Widerstand leisten, und schon hat die
Weisheit ihrer Presse dieselben theils in Barsch und Bogen, theils wenigstens
zum großen Theil verwerfen zu müssen geglaubt.

Wir sind andrer Meinung. Wir erblicken in dem Plane des Reichskanzlers
den ersten praktischen Versuch, die sociale Frage aus der Welt zu schaffe", iudei"
unser wirtschaftliches Lebe", wie es sich durch die neueste Entwicklung der Ver¬
hältnisse gebildet hat, einer organischen Umgestaltung unterzogen wird. Je
weiter mit jedem Jahrzehnt die Kluft zwischen dein Großcapital und dem Prole¬
tariat wurde, desto gebieterischer wurde die Pflicht für die staatliche Gesetzgebung,
nach Möglichkeit Abhilfe zu schaffen und Capital und Arbeit zu versöhnen.
Der Staat muß die Schwüchem unter seinen Bürgern, die Unbemittelte",
durch Eingreifen in den schrankenlosen Erwerbskampf schützen und unterstützen.
Es ist gegen alle Billigkeit, den Invalide" der Arbeit ins alte Eisen zu werfe"
und ihn nach einem Leben voll Mühe in Noth versinken zu lassen. So ent¬
stand die Idee der staatlichen Versichermig des Arbeiterstandes für Unfälle.
Es kam darauf an, an die Stelle des jetzigen Almoseugebens eine rationelle
Organisation zu setze". Dies war nicht bloß Erfüllung einer Pflicht gegen die
unbemittelten arbeitenden Klassen, sondern dem Staate zugleich durch die Pflicht
der Selbsterhaltung geboten. Keine Priucipienreiterei der Freihändler stoßt
diese Forderungen um. Als im Jahre 1878 das Socialistengesetz berathen
wurde, das der äußern Ausbreitung und Thätigkeit einer staatsgefährlichen
Demagogie ein Ende machte, erklärte die Regierung, daß sie darin nur eine"


Procent des Arbeitsverdienstes betragen soll. Bei Tödtung sollen 10 Procent
des Jahresverdienstes für die Beerdigungskosten und eine Rente von 20 Procent
desselben für die Wittwe, sowie eine solche von 1V Procent für jedes Kind unter
15 Jahren gezahlt werden. Für jeden Betrieb hat eine Cvllectivversicherung
gegen feste Prämien stattzufinden, deren Sätze so zu bemessen sind, daß aus den¬
selben die Entschädigungen und die Verwaltungskosten gedeckt werden können,
und die so aufgebracht werden sollen, daß bei Versicherten bis zu 750 Mark
Jahresverdienst zwei Drittel vom Unternehmer und ein Drittel vom Landarmeu-
vcrbandc, bei den übrigen die eine Hälfte vom Unternehmer und die andere vom
Versicherten zu entrichten ist. Bon jedem Unfälle, der tödtlich verläuft oder
mehr als vier Wochen arbeitsunfähig macht, muß der Unternehmer binnen zwei
Tagen der Ortspolizeibehördc Anzeige erstatten. Ist ein Unfall durch grobes
Verschulden des Unternehmers oder seines Vertreters herbeigeführt worden, so
haftet er der Reichsvcrstchcrungsanstnlt für alle Ausgabe».

Die Liberalen, namentlich die von Manchester geschulten, die von einer Mit-
wirkung deS Staates bei der Regelung der wirthschaftlichen Verhältnisse nichts
Nüssen wollen, werden diesen Vorschlägen Widerstand leisten, und schon hat die
Weisheit ihrer Presse dieselben theils in Barsch und Bogen, theils wenigstens
zum großen Theil verwerfen zu müssen geglaubt.

Wir sind andrer Meinung. Wir erblicken in dem Plane des Reichskanzlers
den ersten praktischen Versuch, die sociale Frage aus der Welt zu schaffe», iudei»
unser wirtschaftliches Lebe», wie es sich durch die neueste Entwicklung der Ver¬
hältnisse gebildet hat, einer organischen Umgestaltung unterzogen wird. Je
weiter mit jedem Jahrzehnt die Kluft zwischen dein Großcapital und dem Prole¬
tariat wurde, desto gebieterischer wurde die Pflicht für die staatliche Gesetzgebung,
nach Möglichkeit Abhilfe zu schaffen und Capital und Arbeit zu versöhnen.
Der Staat muß die Schwüchem unter seinen Bürgern, die Unbemittelte»,
durch Eingreifen in den schrankenlosen Erwerbskampf schützen und unterstützen.
Es ist gegen alle Billigkeit, den Invalide» der Arbeit ins alte Eisen zu werfe»
und ihn nach einem Leben voll Mühe in Noth versinken zu lassen. So ent¬
stand die Idee der staatlichen Versichermig des Arbeiterstandes für Unfälle.
Es kam darauf an, an die Stelle des jetzigen Almoseugebens eine rationelle
Organisation zu setze». Dies war nicht bloß Erfüllung einer Pflicht gegen die
unbemittelten arbeitenden Klassen, sondern dem Staate zugleich durch die Pflicht
der Selbsterhaltung geboten. Keine Priucipienreiterei der Freihändler stoßt
diese Forderungen um. Als im Jahre 1878 das Socialistengesetz berathen
wurde, das der äußern Ausbreitung und Thätigkeit einer staatsgefährlichen
Demagogie ein Ende machte, erklärte die Regierung, daß sie darin nur eine»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/190>, abgerufen am 16.05.2024.