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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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P. K.'Rosegger.

Welcher da zeigt, wie andere Menschen gestritten und schließlich gesiegt haben."
Das ist der Grundton, welcher durch die meisten Erzählungen Roseggers klingt
und ihnen einen ethischen Werth verleiht, der sie hoch über die reine Unter¬
haltungsleetüre erhebt, sie zu wahren Volksbüchern macht. In diesen Worten
drückt sich klar und schön das Treibende seines Schaffens und Wirkens aus,
und spiegelt sich die Erfahrung des eignen Lebens, deren gereiftere Anschauung
nicht bei dem unklaren und unausführbaren Postulat der oben citirten Stelle
jenes ältern Vorworts stehen geblieben ist, daß die menschliche Gesellschaft zu
einem Naturzustande zurückzukehren habe. Was ihn einst hinaustrieb aus den
engen Verhältnissen, die ihn in seiner Jugend drückend umgaben, das Sehnen
nach Befriedigung und Vollendung, ist der Inhalt seines Denkens, das
Ziel seines Handelns geblieben. Es ist ein Zug, der fast durch alle Er¬
zählungen Roseggers geht, ein immer wieder variirtes Thema, das Sehnen
des Menschen nach harmonischer Befriedigung. Und ein andrer Zug, der
sich häufig mit diesem verbindet, ist das Ergebniß der gewonnenen Weltklug¬
heit, der Zug der Resignation. Aus der großen Welt hat sich Rosegger in
die ursprünglichere kleine zurückgeflüchtet. Er hat Kampf und Unzulänglichkeit
gefunden dort wie hier, hat gesehen, daß in großen wie in kleinen Verhältnissen,
auf der Höhe der Bildung wie in der beschränkten Sphäre des Bauern dem
Menschen Grenzen gezogen sind, die Entsagung von ihm fordern. Aber nicht
die Resignation, welche muthlos die Hände in den Schooß legt, tritt uns in
diesen Schriften entgegen; sie wollen durch die Schicksale, welche sie erzählen,
lehren, wie man trotz Kampf und Entbehrung zu Glück und Zufriedenheit durch-
dringen kann, wie man trotz getäuschter Hoffnungen und vergeblichen Ringens
Befriedigung erreichen kann, indem man die Leidenschaft des eignen Herzens
niederkämpft, um sich dem Dienste des Nächsten zu weihen, und, wenn sie oft
Weltflucht zu predigen scheinen, daß mau die Welt, auch wenn sie uns Wunden
schlägt, nur fliehen darf durch das Aufgeben äußerer Weltlichkeit für ein ver¬
tieftes inneres Leben. So tief schwermüthig manche der Erzählungen Roseggers
sind, kaum eine hinterläßt ein bitteres Gefühl; es liegt ein versöhnender Hauch
über ihnen, der uns das Buch mit gehobener Stimmung aus der Hand legen läßt.

Sein heimisches Gebiet darf Rosegger nicht verlassen. Solange er sich
aber auf ihm natürlichen und vertrauten Boden bewegt, ist stets -- waS auch
der Vorwurf seiner Erzählungen und Bilder sein mag -- Zeichnung und
Colorit mit sichrer Hand angelegt und die Wirkung kräftig und wohlthuend.
Tragödie und Lustspiel reiht er in buntem Wechsel an einander, und überall
fesselt und ergreift er uns, weiß er unser Herz in Mitleidenschaft zu ziehen
und einen ernsten oder heitern Wiederhall in ihm zu erwecken. Ob er ein


P. K.'Rosegger.

Welcher da zeigt, wie andere Menschen gestritten und schließlich gesiegt haben."
Das ist der Grundton, welcher durch die meisten Erzählungen Roseggers klingt
und ihnen einen ethischen Werth verleiht, der sie hoch über die reine Unter¬
haltungsleetüre erhebt, sie zu wahren Volksbüchern macht. In diesen Worten
drückt sich klar und schön das Treibende seines Schaffens und Wirkens aus,
und spiegelt sich die Erfahrung des eignen Lebens, deren gereiftere Anschauung
nicht bei dem unklaren und unausführbaren Postulat der oben citirten Stelle
jenes ältern Vorworts stehen geblieben ist, daß die menschliche Gesellschaft zu
einem Naturzustande zurückzukehren habe. Was ihn einst hinaustrieb aus den
engen Verhältnissen, die ihn in seiner Jugend drückend umgaben, das Sehnen
nach Befriedigung und Vollendung, ist der Inhalt seines Denkens, das
Ziel seines Handelns geblieben. Es ist ein Zug, der fast durch alle Er¬
zählungen Roseggers geht, ein immer wieder variirtes Thema, das Sehnen
des Menschen nach harmonischer Befriedigung. Und ein andrer Zug, der
sich häufig mit diesem verbindet, ist das Ergebniß der gewonnenen Weltklug¬
heit, der Zug der Resignation. Aus der großen Welt hat sich Rosegger in
die ursprünglichere kleine zurückgeflüchtet. Er hat Kampf und Unzulänglichkeit
gefunden dort wie hier, hat gesehen, daß in großen wie in kleinen Verhältnissen,
auf der Höhe der Bildung wie in der beschränkten Sphäre des Bauern dem
Menschen Grenzen gezogen sind, die Entsagung von ihm fordern. Aber nicht
die Resignation, welche muthlos die Hände in den Schooß legt, tritt uns in
diesen Schriften entgegen; sie wollen durch die Schicksale, welche sie erzählen,
lehren, wie man trotz Kampf und Entbehrung zu Glück und Zufriedenheit durch-
dringen kann, wie man trotz getäuschter Hoffnungen und vergeblichen Ringens
Befriedigung erreichen kann, indem man die Leidenschaft des eignen Herzens
niederkämpft, um sich dem Dienste des Nächsten zu weihen, und, wenn sie oft
Weltflucht zu predigen scheinen, daß mau die Welt, auch wenn sie uns Wunden
schlägt, nur fliehen darf durch das Aufgeben äußerer Weltlichkeit für ein ver¬
tieftes inneres Leben. So tief schwermüthig manche der Erzählungen Roseggers
sind, kaum eine hinterläßt ein bitteres Gefühl; es liegt ein versöhnender Hauch
über ihnen, der uns das Buch mit gehobener Stimmung aus der Hand legen läßt.

Sein heimisches Gebiet darf Rosegger nicht verlassen. Solange er sich
aber auf ihm natürlichen und vertrauten Boden bewegt, ist stets — waS auch
der Vorwurf seiner Erzählungen und Bilder sein mag — Zeichnung und
Colorit mit sichrer Hand angelegt und die Wirkung kräftig und wohlthuend.
Tragödie und Lustspiel reiht er in buntem Wechsel an einander, und überall
fesselt und ergreift er uns, weiß er unser Herz in Mitleidenschaft zu ziehen
und einen ernsten oder heitern Wiederhall in ihm zu erwecken. Ob er ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/228>, abgerufen am 30.05.2024.