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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

"Andreas Hofer", "Der Trompeter an der Katzbach" und (im Herbst 1831)
"Die letzten Zehn vom vierten Regiment" waren. Von populären und, wenn
man will, bünkelsängerischen Melodien getragen, drangen sie in jene Schichten
hinein, in denen man nach dem Namen eines Dichters kaum fragt, lenkten
aber zugleich die Aufmerksamkeit auch solcher auf Mosen, welche für die indivi¬
duelle Begabung und Kraft eines poetischen Talents Verständniß und Antheil
besitzen. Als Mosen, nach Approbation seiner juristischen Probeschriften und
bestandenen zweiten Examen, im Herbst 1831 eine mäßige, aber bescheidenen An¬
sprüchen zunächst genügende Stellung als Actuar beim Patrimonialgerichte Kohren
erhielt, galt er über die literarischen Kreise Leipzigs hinaus als ein vielverheißen¬
des Talent. Die einen, welche sich an "Ritter Wahn", an die traumhaft-phantasti¬
sche Novelle "Georg Venlot" und an die tiefe, süße, bestrickende Naturseligkeit
in den innigsten Jugendliedern Mosers hielten, sahen in ihm einen berufenen
Träger der reinen, echt poetischen und naiven Fortbildung unsrer Literatur.
Die andern, welche für die gefährliche Verquickung der Zeitphrase und völlig
außerpoetischer Tendenzen mit den Aufgaben und bald nur noch mit den äußer¬
lichsten Formen der poetischen Kunst begeistert waren, setzten ihre Hoffnungen
auf die heiße patriotische Leidenschaft des Dichters, die gleichsam gluthroth aus
einzelnen Gedichten herausleuchtete, auf ein ganz natürliches und in den lite¬
rarischen Zeitverhältnissen begründetes Schwanken, welches sich schon in den ersten
größern Schöpfungen bemerkbar machte, die Mosen in seiner neuen Lebenslage
vollendete.

Die Novelle" allerdings, welche der junge Dichter in Kohren schrieb und die
später der größern Sammlung "Bilder im Moose" einverleibt wurden, waren gleich¬
falls noch meist völlig unbefangen, rein poetischer Stimmung entquollen; eine
uicht immer glückliche, aber, wo sie glücklich war, höchst wirksame Mischung von
genrebildlicher Realität und traumhafter Phantast", gehörte noch ganz der frühern
Entwicklung seines Talents an. In den beiden Erstlingsdramen aber "Heinrich
der Finkler" und "Coka Rienzi" (von denen das letztere in den von E. Will¬
komm und Alex. Fischer begründeten "Dramatischen Jahrbüchern" publiciert
wurde), macht sich der Einfluß der Tagestendenzen und ästhetischen Tagestheo¬
rien schon in einzelnen Zügen geltend -- im großen und ganzen freilich be¬
hauptete sich auch hier Mosen noch in seiner Ursprttnglichkeit, gerade "Heinrich
der Finkler" giebt den entscheidenden Beweis, wie fern ihm alles geistreiche
Coquettiereu mit dem Stoffe lag, wie organisch sich, trotz mancher Unsertigkeiten,
bei ihm das poetische Bild aus dem keimkräftigen, echt poetischen Gedanken
entwickelte. Wer diesen "Heinrich", durch den deutsche Luft, Bergbaues und Tan¬
nenduft vom Harz hindurchweht, mit rechtem Antheil liest, der spürt wohl, daß
der Poet noch lange kein Meister ist, er lächelt selbst, wenn er die gewaltigen, tief-


Grenzboteii I. 1831. ^
Julius Mosen.

„Andreas Hofer", „Der Trompeter an der Katzbach" und (im Herbst 1831)
„Die letzten Zehn vom vierten Regiment" waren. Von populären und, wenn
man will, bünkelsängerischen Melodien getragen, drangen sie in jene Schichten
hinein, in denen man nach dem Namen eines Dichters kaum fragt, lenkten
aber zugleich die Aufmerksamkeit auch solcher auf Mosen, welche für die indivi¬
duelle Begabung und Kraft eines poetischen Talents Verständniß und Antheil
besitzen. Als Mosen, nach Approbation seiner juristischen Probeschriften und
bestandenen zweiten Examen, im Herbst 1831 eine mäßige, aber bescheidenen An¬
sprüchen zunächst genügende Stellung als Actuar beim Patrimonialgerichte Kohren
erhielt, galt er über die literarischen Kreise Leipzigs hinaus als ein vielverheißen¬
des Talent. Die einen, welche sich an „Ritter Wahn", an die traumhaft-phantasti¬
sche Novelle „Georg Venlot" und an die tiefe, süße, bestrickende Naturseligkeit
in den innigsten Jugendliedern Mosers hielten, sahen in ihm einen berufenen
Träger der reinen, echt poetischen und naiven Fortbildung unsrer Literatur.
Die andern, welche für die gefährliche Verquickung der Zeitphrase und völlig
außerpoetischer Tendenzen mit den Aufgaben und bald nur noch mit den äußer¬
lichsten Formen der poetischen Kunst begeistert waren, setzten ihre Hoffnungen
auf die heiße patriotische Leidenschaft des Dichters, die gleichsam gluthroth aus
einzelnen Gedichten herausleuchtete, auf ein ganz natürliches und in den lite¬
rarischen Zeitverhältnissen begründetes Schwanken, welches sich schon in den ersten
größern Schöpfungen bemerkbar machte, die Mosen in seiner neuen Lebenslage
vollendete.

Die Novelle» allerdings, welche der junge Dichter in Kohren schrieb und die
später der größern Sammlung „Bilder im Moose" einverleibt wurden, waren gleich¬
falls noch meist völlig unbefangen, rein poetischer Stimmung entquollen; eine
uicht immer glückliche, aber, wo sie glücklich war, höchst wirksame Mischung von
genrebildlicher Realität und traumhafter Phantast», gehörte noch ganz der frühern
Entwicklung seines Talents an. In den beiden Erstlingsdramen aber „Heinrich
der Finkler" und „Coka Rienzi" (von denen das letztere in den von E. Will¬
komm und Alex. Fischer begründeten „Dramatischen Jahrbüchern" publiciert
wurde), macht sich der Einfluß der Tagestendenzen und ästhetischen Tagestheo¬
rien schon in einzelnen Zügen geltend — im großen und ganzen freilich be¬
hauptete sich auch hier Mosen noch in seiner Ursprttnglichkeit, gerade „Heinrich
der Finkler" giebt den entscheidenden Beweis, wie fern ihm alles geistreiche
Coquettiereu mit dem Stoffe lag, wie organisch sich, trotz mancher Unsertigkeiten,
bei ihm das poetische Bild aus dem keimkräftigen, echt poetischen Gedanken
entwickelte. Wer diesen „Heinrich", durch den deutsche Luft, Bergbaues und Tan¬
nenduft vom Harz hindurchweht, mit rechtem Antheil liest, der spürt wohl, daß
der Poet noch lange kein Meister ist, er lächelt selbst, wenn er die gewaltigen, tief-


Grenzboteii I. 1831. ^
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[0025] Julius Mosen. „Andreas Hofer", „Der Trompeter an der Katzbach" und (im Herbst 1831) „Die letzten Zehn vom vierten Regiment" waren. Von populären und, wenn man will, bünkelsängerischen Melodien getragen, drangen sie in jene Schichten hinein, in denen man nach dem Namen eines Dichters kaum fragt, lenkten aber zugleich die Aufmerksamkeit auch solcher auf Mosen, welche für die indivi¬ duelle Begabung und Kraft eines poetischen Talents Verständniß und Antheil besitzen. Als Mosen, nach Approbation seiner juristischen Probeschriften und bestandenen zweiten Examen, im Herbst 1831 eine mäßige, aber bescheidenen An¬ sprüchen zunächst genügende Stellung als Actuar beim Patrimonialgerichte Kohren erhielt, galt er über die literarischen Kreise Leipzigs hinaus als ein vielverheißen¬ des Talent. Die einen, welche sich an „Ritter Wahn", an die traumhaft-phantasti¬ sche Novelle „Georg Venlot" und an die tiefe, süße, bestrickende Naturseligkeit in den innigsten Jugendliedern Mosers hielten, sahen in ihm einen berufenen Träger der reinen, echt poetischen und naiven Fortbildung unsrer Literatur. Die andern, welche für die gefährliche Verquickung der Zeitphrase und völlig außerpoetischer Tendenzen mit den Aufgaben und bald nur noch mit den äußer¬ lichsten Formen der poetischen Kunst begeistert waren, setzten ihre Hoffnungen auf die heiße patriotische Leidenschaft des Dichters, die gleichsam gluthroth aus einzelnen Gedichten herausleuchtete, auf ein ganz natürliches und in den lite¬ rarischen Zeitverhältnissen begründetes Schwanken, welches sich schon in den ersten größern Schöpfungen bemerkbar machte, die Mosen in seiner neuen Lebenslage vollendete. Die Novelle» allerdings, welche der junge Dichter in Kohren schrieb und die später der größern Sammlung „Bilder im Moose" einverleibt wurden, waren gleich¬ falls noch meist völlig unbefangen, rein poetischer Stimmung entquollen; eine uicht immer glückliche, aber, wo sie glücklich war, höchst wirksame Mischung von genrebildlicher Realität und traumhafter Phantast», gehörte noch ganz der frühern Entwicklung seines Talents an. In den beiden Erstlingsdramen aber „Heinrich der Finkler" und „Coka Rienzi" (von denen das letztere in den von E. Will¬ komm und Alex. Fischer begründeten „Dramatischen Jahrbüchern" publiciert wurde), macht sich der Einfluß der Tagestendenzen und ästhetischen Tagestheo¬ rien schon in einzelnen Zügen geltend — im großen und ganzen freilich be¬ hauptete sich auch hier Mosen noch in seiner Ursprttnglichkeit, gerade „Heinrich der Finkler" giebt den entscheidenden Beweis, wie fern ihm alles geistreiche Coquettiereu mit dem Stoffe lag, wie organisch sich, trotz mancher Unsertigkeiten, bei ihm das poetische Bild aus dem keimkräftigen, echt poetischen Gedanken entwickelte. Wer diesen „Heinrich", durch den deutsche Luft, Bergbaues und Tan¬ nenduft vom Harz hindurchweht, mit rechtem Antheil liest, der spürt wohl, daß der Poet noch lange kein Meister ist, er lächelt selbst, wenn er die gewaltigen, tief- Grenzboteii I. 1831. ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/25>, abgerufen am 15.05.2024.