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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Julius Mosen.

trivialen Erzählungen, Schwanken, Späßen und kleinen Stücken in die Welt
gesandt. Die "Abend-Zeitung" repräsentierte noch immer die Presse in Dresden
und vermittelte die Theilnahme großer Kreise der sächsischen Residenz an den
geistigen Interessen, aber selbst ihr kluger Herausgeber Hofrath Winkler fühlte
damals, daß ihre gute Zeit vorüber sei, und schickte sich an, seine langjährige
Redaction aufzugeben. Auf poetische Naturen von der Gemüthstiefe, der reichen
Phantasie und der hohen Kunstanschauung Mosers war man in den ältern
Dresdner Poetenkreisen nicht eingerichtet, wenn man ihnen auch nicht unfreundlich
gegenttbertrat. Karl Förster vertraut im Herbste 1836 seinein Tagebuche an:
"Auf den Dichter des Meter Wahn^ war ich durch das kleine Werk schon auf¬
merksam geworden, heute trat der Verfasser selbst ein, ein junger, offner, leb¬
hafter Mann, der mit Hellem Auge in die Welt sieht und der den Kampf nicht
scheuen wird, den sie ihm vielleicht bieten könnte. Er wünscht, daß ich sein
Drama "Heinrich der Vogler" kennen lerne, und lud mich zu Dr. Crusius, wo
er es vorlesen wollte, für einen der nächsten Abende ein. Dort fand ich dann
Tieck, Baudissin, Sillig, die wie es schien Gericht halten wollten. Das Stück
zeigt unbezweifelt ein reiches aber noch nicht geläutertes Talent; es bietet
dies Drama viele wirklich poetische Stellen, bewegt sich in einer durchaus guten
Sprache und ist reich an schönen Bildern. Dagegen möchte ich tadeln die aus¬
gedehnten Acte, manche Uebertreibung und die Machtlosigkeit in den Gedanken
und Bildern." (Biographische und literarische Skizzen aus der Zeit und dem
Leben Karl Försters. Dresden, 1846. S. 441). Das angeführte Urtheil eines
der besten und tüchtigsten Männer aus dem ältern Literaturkreise Dresdens ist
im höchsten Maße charakteristisch: eine Dichtung, deren echt dramatischer Kern
sich nicht zur Blüthe einer mächtig einheitlichen Handlung entfaltet und deren
Charakteristik zum Theil größere Vertiefung fordert, deren unbestreitbarer Vor¬
zug es aber bleibt, daß sie nicht mit den landläufigen poetisierenden Phrasen
und den Klingklangsentenzen wirthschaftet, deren beste Scenen natürlich aus der
Seele des Dichters quellen, wird der Uebertreibung und der Maßlosigkeit be¬
schuldigt!

Uebrigens ist es nur gerecht zu sagen, daß der Kampf, dessen Förster ge¬
denkt, für unsern Dichter nicht zu hart war. Von vornherein gelang es ihm,
einen größern und einen engern Freundeskreis zu gewinnen. Die biographische
Skizze Reinhard Mosers nennt den Historienmaler Bähr, Ernst von Brünnow,
den Lyriker Adolf Peters (damals Lehrer am Blochmannschen Institut), den
Mathematiker Karl Snell und den Musiker von Weyrauch als nächste Freunde
des Hauses, letztrer ein späterhin in der grauenhaftesten Vereinsamung und
trostlosesten Verbitterung aus dem Leben geschiedner origineller Sonderling.
Das Leben in diesem Kreise scheint eben so gesellig heiter als materiell anspruchs-


Julius Mosen.

trivialen Erzählungen, Schwanken, Späßen und kleinen Stücken in die Welt
gesandt. Die „Abend-Zeitung" repräsentierte noch immer die Presse in Dresden
und vermittelte die Theilnahme großer Kreise der sächsischen Residenz an den
geistigen Interessen, aber selbst ihr kluger Herausgeber Hofrath Winkler fühlte
damals, daß ihre gute Zeit vorüber sei, und schickte sich an, seine langjährige
Redaction aufzugeben. Auf poetische Naturen von der Gemüthstiefe, der reichen
Phantasie und der hohen Kunstanschauung Mosers war man in den ältern
Dresdner Poetenkreisen nicht eingerichtet, wenn man ihnen auch nicht unfreundlich
gegenttbertrat. Karl Förster vertraut im Herbste 1836 seinein Tagebuche an:
„Auf den Dichter des Meter Wahn^ war ich durch das kleine Werk schon auf¬
merksam geworden, heute trat der Verfasser selbst ein, ein junger, offner, leb¬
hafter Mann, der mit Hellem Auge in die Welt sieht und der den Kampf nicht
scheuen wird, den sie ihm vielleicht bieten könnte. Er wünscht, daß ich sein
Drama „Heinrich der Vogler" kennen lerne, und lud mich zu Dr. Crusius, wo
er es vorlesen wollte, für einen der nächsten Abende ein. Dort fand ich dann
Tieck, Baudissin, Sillig, die wie es schien Gericht halten wollten. Das Stück
zeigt unbezweifelt ein reiches aber noch nicht geläutertes Talent; es bietet
dies Drama viele wirklich poetische Stellen, bewegt sich in einer durchaus guten
Sprache und ist reich an schönen Bildern. Dagegen möchte ich tadeln die aus¬
gedehnten Acte, manche Uebertreibung und die Machtlosigkeit in den Gedanken
und Bildern." (Biographische und literarische Skizzen aus der Zeit und dem
Leben Karl Försters. Dresden, 1846. S. 441). Das angeführte Urtheil eines
der besten und tüchtigsten Männer aus dem ältern Literaturkreise Dresdens ist
im höchsten Maße charakteristisch: eine Dichtung, deren echt dramatischer Kern
sich nicht zur Blüthe einer mächtig einheitlichen Handlung entfaltet und deren
Charakteristik zum Theil größere Vertiefung fordert, deren unbestreitbarer Vor¬
zug es aber bleibt, daß sie nicht mit den landläufigen poetisierenden Phrasen
und den Klingklangsentenzen wirthschaftet, deren beste Scenen natürlich aus der
Seele des Dichters quellen, wird der Uebertreibung und der Maßlosigkeit be¬
schuldigt!

Uebrigens ist es nur gerecht zu sagen, daß der Kampf, dessen Förster ge¬
denkt, für unsern Dichter nicht zu hart war. Von vornherein gelang es ihm,
einen größern und einen engern Freundeskreis zu gewinnen. Die biographische
Skizze Reinhard Mosers nennt den Historienmaler Bähr, Ernst von Brünnow,
den Lyriker Adolf Peters (damals Lehrer am Blochmannschen Institut), den
Mathematiker Karl Snell und den Musiker von Weyrauch als nächste Freunde
des Hauses, letztrer ein späterhin in der grauenhaftesten Vereinsamung und
trostlosesten Verbitterung aus dem Leben geschiedner origineller Sonderling.
Das Leben in diesem Kreise scheint eben so gesellig heiter als materiell anspruchs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/30>, abgerufen am 15.05.2024.