Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Gladstone und die Boers.

daß er seine Verfassung zeitgemäß verändert. Diese reine Demokratie, die
Herrschaft der Landgemeinde, die alle Beamten wählt und nur solchen gehorcht,
die sich wie der Gründer des Staates, Andreas Pretorins, allen verehrt oder
gefürchtet zu machen verstehen, und die den Staatssäckel so leer läßt, daß
von Staats wegen nichts ausgeführt werden kann, ist für ein so großes
Territorium, wie das Transvaal ist, eine Ungeheuerlichkeit. Wenn sie für einen
Canton oder Gau gut genug ist, so ist sie das auch nur dann, wenn über der
Gauverwaltung als Correctivbehörde die Staatsregierung mit oder ohne Par¬
lament steht. Der Volksrath, die Executive der boerschen Republik, wird in
dem künftigen Bauernstaate unverändert bestehen können, wie er besteht; aber
als legislative Körperschaft kann er nicht länger die ganze Landgemeinde, sondern
er muß Delegirte derselben aus alleu Districten ständig zur Seite haben oder
als Parlament in der Weise, wie es in der Capevlonie existirt. Das Parlament
wird die Bürgschaft übernehmen, daß sowol den Farbigen als den im Lande
ansässigen Briten und andern ihr Recht geschehe. Was die 800900 Farbigen
betrifft, so werden die Boers sich schwerlich zu der britischen Utopie versteigen,
ihnen so viel staatsbürgerliche Rechte einzuräumen, daß sie neben den freien
Briten oder Afrieaudcrs im Parlament sitzen können. Es ist das vorläufig
nicht nöthig, damit sie in christlicher Freiheit und Civilisation erzogen werden.
Die, welche sich auszeichnen, werden ja von der Regierung mit dem vollen
Bürgerrechte belohnt werden können. Was aber die im Lande angesessenen
Briten und andre Fremde anlangt, so liegt es im Interesse des boerschen Staates,
daß diese dort nicht bloß als Gäste wohnen, als welche sie immer Neigung
haben würden, sich gelegentlich, wie sie eben erst gethan, an die Stelle des
Hausherrn zu setzen; sondern der Boersstaat wird ihnen dadurch, daß er ihnen
vergönnt, vollberechtigte Bürger zu werdeu, boerschen Patriotismus und warmes
Interesse für das Gedeihen der transvaalschen Republik einflößen und den
gefährlichen Intriguen einer britischen Colonie im Staate ein Ende machen.
Das Bedürfniß einer kräftigern Executive haben übrigens die Boers am Schlüsse
ihrer Volkserklärung am 10. December 1879 selbst eingestanden, und da sie
mit ihren Forderungen jetzt noch auf jeuer Erklärung fußen, so muß auch dies
Eingeständniß als eine der britischen Regierung gemachte Concession angesehen
werden, über deren Ausführung im Detail sie sich mit derselben vereinbaren
müssen, wenn anders überhaupt ein friedlicher Vergleich zu Stande kommt und
dem weitern Blutvergießen vorgebeugt wird.




Gladstone und die Boers.

daß er seine Verfassung zeitgemäß verändert. Diese reine Demokratie, die
Herrschaft der Landgemeinde, die alle Beamten wählt und nur solchen gehorcht,
die sich wie der Gründer des Staates, Andreas Pretorins, allen verehrt oder
gefürchtet zu machen verstehen, und die den Staatssäckel so leer läßt, daß
von Staats wegen nichts ausgeführt werden kann, ist für ein so großes
Territorium, wie das Transvaal ist, eine Ungeheuerlichkeit. Wenn sie für einen
Canton oder Gau gut genug ist, so ist sie das auch nur dann, wenn über der
Gauverwaltung als Correctivbehörde die Staatsregierung mit oder ohne Par¬
lament steht. Der Volksrath, die Executive der boerschen Republik, wird in
dem künftigen Bauernstaate unverändert bestehen können, wie er besteht; aber
als legislative Körperschaft kann er nicht länger die ganze Landgemeinde, sondern
er muß Delegirte derselben aus alleu Districten ständig zur Seite haben oder
als Parlament in der Weise, wie es in der Capevlonie existirt. Das Parlament
wird die Bürgschaft übernehmen, daß sowol den Farbigen als den im Lande
ansässigen Briten und andern ihr Recht geschehe. Was die 800900 Farbigen
betrifft, so werden die Boers sich schwerlich zu der britischen Utopie versteigen,
ihnen so viel staatsbürgerliche Rechte einzuräumen, daß sie neben den freien
Briten oder Afrieaudcrs im Parlament sitzen können. Es ist das vorläufig
nicht nöthig, damit sie in christlicher Freiheit und Civilisation erzogen werden.
Die, welche sich auszeichnen, werden ja von der Regierung mit dem vollen
Bürgerrechte belohnt werden können. Was aber die im Lande angesessenen
Briten und andre Fremde anlangt, so liegt es im Interesse des boerschen Staates,
daß diese dort nicht bloß als Gäste wohnen, als welche sie immer Neigung
haben würden, sich gelegentlich, wie sie eben erst gethan, an die Stelle des
Hausherrn zu setzen; sondern der Boersstaat wird ihnen dadurch, daß er ihnen
vergönnt, vollberechtigte Bürger zu werdeu, boerschen Patriotismus und warmes
Interesse für das Gedeihen der transvaalschen Republik einflößen und den
gefährlichen Intriguen einer britischen Colonie im Staate ein Ende machen.
Das Bedürfniß einer kräftigern Executive haben übrigens die Boers am Schlüsse
ihrer Volkserklärung am 10. December 1879 selbst eingestanden, und da sie
mit ihren Forderungen jetzt noch auf jeuer Erklärung fußen, so muß auch dies
Eingeständniß als eine der britischen Regierung gemachte Concession angesehen
werden, über deren Ausführung im Detail sie sich mit derselben vereinbaren
müssen, wenn anders überhaupt ein friedlicher Vergleich zu Stande kommt und
dem weitern Blutvergießen vorgebeugt wird.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0300" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149284"/>
          <fw type="header" place="top"> Gladstone und die Boers.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_812" prev="#ID_811"> daß er seine Verfassung zeitgemäß verändert.  Diese reine Demokratie, die<lb/>
Herrschaft der Landgemeinde, die alle Beamten wählt und nur solchen gehorcht,<lb/>
die sich wie der Gründer des Staates, Andreas Pretorins, allen verehrt oder<lb/>
gefürchtet zu machen verstehen, und die den Staatssäckel so leer läßt, daß<lb/>
von Staats wegen nichts ausgeführt werden kann, ist für ein so großes<lb/>
Territorium, wie das Transvaal ist, eine Ungeheuerlichkeit. Wenn sie für einen<lb/>
Canton oder Gau gut genug ist, so ist sie das auch nur dann, wenn über der<lb/>
Gauverwaltung als Correctivbehörde die Staatsregierung mit oder ohne Par¬<lb/>
lament steht. Der Volksrath, die Executive der boerschen Republik, wird in<lb/>
dem künftigen Bauernstaate unverändert bestehen können, wie er besteht; aber<lb/>
als legislative Körperschaft kann er nicht länger die ganze Landgemeinde, sondern<lb/>
er muß Delegirte derselben aus alleu Districten ständig zur Seite haben oder<lb/>
als Parlament in der Weise, wie es in der Capevlonie existirt. Das Parlament<lb/>
wird die Bürgschaft übernehmen, daß sowol den Farbigen als den im Lande<lb/>
ansässigen Briten und andern ihr Recht geschehe. Was die 800900 Farbigen<lb/>
betrifft, so werden die Boers sich schwerlich zu der britischen Utopie versteigen,<lb/>
ihnen so viel staatsbürgerliche Rechte einzuräumen, daß sie neben den freien<lb/>
Briten oder Afrieaudcrs im Parlament sitzen können.  Es ist das vorläufig<lb/>
nicht nöthig, damit sie in christlicher Freiheit und Civilisation erzogen werden.<lb/>
Die, welche sich auszeichnen, werden ja von der Regierung mit dem vollen<lb/>
Bürgerrechte belohnt werden können.  Was aber die im Lande angesessenen<lb/>
Briten und andre Fremde anlangt, so liegt es im Interesse des boerschen Staates,<lb/>
daß diese dort nicht bloß als Gäste wohnen, als welche sie immer Neigung<lb/>
haben würden, sich gelegentlich, wie sie eben erst gethan, an die Stelle des<lb/>
Hausherrn zu setzen; sondern der Boersstaat wird ihnen dadurch, daß er ihnen<lb/>
vergönnt, vollberechtigte Bürger zu werdeu, boerschen Patriotismus und warmes<lb/>
Interesse für das Gedeihen der transvaalschen Republik einflößen und den<lb/>
gefährlichen Intriguen einer britischen Colonie im Staate ein Ende machen.<lb/>
Das Bedürfniß einer kräftigern Executive haben übrigens die Boers am Schlüsse<lb/>
ihrer Volkserklärung am 10. December 1879 selbst eingestanden, und da sie<lb/>
mit ihren Forderungen jetzt noch auf jeuer Erklärung fußen, so muß auch dies<lb/>
Eingeständniß als eine der britischen Regierung gemachte Concession angesehen<lb/>
werden, über deren Ausführung im Detail sie sich mit derselben vereinbaren<lb/>
müssen, wenn anders überhaupt ein friedlicher Vergleich zu Stande kommt und<lb/>
dem weitern Blutvergießen vorgebeugt wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0300] Gladstone und die Boers. daß er seine Verfassung zeitgemäß verändert. Diese reine Demokratie, die Herrschaft der Landgemeinde, die alle Beamten wählt und nur solchen gehorcht, die sich wie der Gründer des Staates, Andreas Pretorins, allen verehrt oder gefürchtet zu machen verstehen, und die den Staatssäckel so leer läßt, daß von Staats wegen nichts ausgeführt werden kann, ist für ein so großes Territorium, wie das Transvaal ist, eine Ungeheuerlichkeit. Wenn sie für einen Canton oder Gau gut genug ist, so ist sie das auch nur dann, wenn über der Gauverwaltung als Correctivbehörde die Staatsregierung mit oder ohne Par¬ lament steht. Der Volksrath, die Executive der boerschen Republik, wird in dem künftigen Bauernstaate unverändert bestehen können, wie er besteht; aber als legislative Körperschaft kann er nicht länger die ganze Landgemeinde, sondern er muß Delegirte derselben aus alleu Districten ständig zur Seite haben oder als Parlament in der Weise, wie es in der Capevlonie existirt. Das Parlament wird die Bürgschaft übernehmen, daß sowol den Farbigen als den im Lande ansässigen Briten und andern ihr Recht geschehe. Was die 800900 Farbigen betrifft, so werden die Boers sich schwerlich zu der britischen Utopie versteigen, ihnen so viel staatsbürgerliche Rechte einzuräumen, daß sie neben den freien Briten oder Afrieaudcrs im Parlament sitzen können. Es ist das vorläufig nicht nöthig, damit sie in christlicher Freiheit und Civilisation erzogen werden. Die, welche sich auszeichnen, werden ja von der Regierung mit dem vollen Bürgerrechte belohnt werden können. Was aber die im Lande angesessenen Briten und andre Fremde anlangt, so liegt es im Interesse des boerschen Staates, daß diese dort nicht bloß als Gäste wohnen, als welche sie immer Neigung haben würden, sich gelegentlich, wie sie eben erst gethan, an die Stelle des Hausherrn zu setzen; sondern der Boersstaat wird ihnen dadurch, daß er ihnen vergönnt, vollberechtigte Bürger zu werdeu, boerschen Patriotismus und warmes Interesse für das Gedeihen der transvaalschen Republik einflößen und den gefährlichen Intriguen einer britischen Colonie im Staate ein Ende machen. Das Bedürfniß einer kräftigern Executive haben übrigens die Boers am Schlüsse ihrer Volkserklärung am 10. December 1879 selbst eingestanden, und da sie mit ihren Forderungen jetzt noch auf jeuer Erklärung fußen, so muß auch dies Eingeständniß als eine der britischen Regierung gemachte Concession angesehen werden, über deren Ausführung im Detail sie sich mit derselben vereinbaren müssen, wenn anders überhaupt ein friedlicher Vergleich zu Stande kommt und dem weitern Blutvergießen vorgebeugt wird.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/300
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/300>, abgerufen am 14.05.2024.