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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die destructiven Llemonte im Staate,

es nicht allein bei dem schöne", ans echtem Verstündnisse der Staatsidee hervor-
gegnngenen Worte bleibe: ^Vs >pill protgot tluznr in tnvir vos^nkss.

Was sollen wir von Spanien sagen, diesem Dornröschen unter den
Völkern? Und doch gab es eine Zeit, wo der Herrscher dieses Landes von sich
rühmen konnte, daß in seinem Reiche die Sonne nicht untergehe. Es gab eine
Zeit, wo das Geld der neuen und alten Welt sast mühelos ins Land kam,
wo in Sevilla .16000 Webstuhle arbeiteten, in Toledo die Scidenfabrieativn
blühte, und Castilien die reichste Provinz war. Heute ist Volk und Staat
verarmt und unwissend. Nur in den großen Kathedralen wird man durch die
ungeheuren Schätze von Gold und Gestein daran erinnert, wie unermeßlich reich
dies Land einst gewesen sein muß. War ein solcher Sturz von der Höhe der
materiellen Machtstellung ohne tiefes Verschulden der Regierung möglich? Die
Geschichte des spanischen Staates in den letzten vier Jahrhunderten ist eine
Reihe unaufhörliche" Unrechts, eine Kette von finstern Gewaltacten, eine un-
unterbrochene Abfolge tiefer Demüthigungen. Alle Arten destrnetiver Tendenzen
von der Camorra bis zu den Zehnmännerverschwörnngen, Dolch, Gift, Massen¬
mord, alle Laster wurden entfesselt, und die Ausbrüche der Gesetzlosigkeit ver¬
ewigt. Zu einer großen Revolution kam es nicht. Hatte doch der Staat seine
Freiheit der Kirche verkauft, was konnte die Freiheit dem einzelnen noch nützen?
Mit der Kraft des Staats brach auch die des Volks. Und die Idee der Kirche
war eine Idee des Niedergangs, nicht deS Aufgangs. So zersplitterte sich selbst
bei Vertreibung der Moriseos jede revolutionäre Bewegung in unaufhörlichen
Unruhen und localen Aufständen, die dnrch unmittelbare Ungerechtigkeit hervor¬
gerufen wurden. In den bestcivilisirtcn Ländern ist die Richtung immer die,
selbst ungerechten Gesetzen zu gehorchen, aber während man ihnen gehorcht, uns
ihre Abschaffung zu dringen. Während nur uns einer besondern Beschwerde
unterwerfen, greifen wir das Shstem an, aus dem diese Beschwerde entspringt.
Damit eine Nation allerdings diesen Gesichtspunkt erfasse, bedarf sie einer ge¬
wissen Stufe des sittlichen Erkennens, wie sie den finstern Perioden der mittel¬
alterlichen Kirche unerreichbar war. Wenn die Staatsidee zur allmächtigen
Willkür wird, wie wir an der Regierung des Zaren Nicolaus in Rußland ge¬
sehen haben, so provocirt sie die Gewaltacte des Nihilismus, wenn aber das
unveräußerliche Recht der Menschheit, Widerstand gegen das Unrecht zu leisten,
wenn dieses letzte Mittel, dieser letzte Ausdruck des sittlichen Willens in der
Menschenbrust nicht mehr freies Eigenthum des Menschen bleibt, weil es ver¬
kauft ist an einen Areopag des Gewissens, der für den einzelnen und für die
Masse entscheidet, was Recht und was Unrecht sei, wie die mittelalterliche Kirche,
dann ist "icht mir die Idee der Gesetzlichkeit, sonder" a"es die Idee der Sitt-


Grmzlwtni I. 1881. 47
Die destructiven Llemonte im Staate,

es nicht allein bei dem schöne», ans echtem Verstündnisse der Staatsidee hervor-
gegnngenen Worte bleibe: ^Vs >pill protgot tluznr in tnvir vos^nkss.

Was sollen wir von Spanien sagen, diesem Dornröschen unter den
Völkern? Und doch gab es eine Zeit, wo der Herrscher dieses Landes von sich
rühmen konnte, daß in seinem Reiche die Sonne nicht untergehe. Es gab eine
Zeit, wo das Geld der neuen und alten Welt sast mühelos ins Land kam,
wo in Sevilla .16000 Webstuhle arbeiteten, in Toledo die Scidenfabrieativn
blühte, und Castilien die reichste Provinz war. Heute ist Volk und Staat
verarmt und unwissend. Nur in den großen Kathedralen wird man durch die
ungeheuren Schätze von Gold und Gestein daran erinnert, wie unermeßlich reich
dies Land einst gewesen sein muß. War ein solcher Sturz von der Höhe der
materiellen Machtstellung ohne tiefes Verschulden der Regierung möglich? Die
Geschichte des spanischen Staates in den letzten vier Jahrhunderten ist eine
Reihe unaufhörliche» Unrechts, eine Kette von finstern Gewaltacten, eine un-
unterbrochene Abfolge tiefer Demüthigungen. Alle Arten destrnetiver Tendenzen
von der Camorra bis zu den Zehnmännerverschwörnngen, Dolch, Gift, Massen¬
mord, alle Laster wurden entfesselt, und die Ausbrüche der Gesetzlosigkeit ver¬
ewigt. Zu einer großen Revolution kam es nicht. Hatte doch der Staat seine
Freiheit der Kirche verkauft, was konnte die Freiheit dem einzelnen noch nützen?
Mit der Kraft des Staats brach auch die des Volks. Und die Idee der Kirche
war eine Idee des Niedergangs, nicht deS Aufgangs. So zersplitterte sich selbst
bei Vertreibung der Moriseos jede revolutionäre Bewegung in unaufhörlichen
Unruhen und localen Aufständen, die dnrch unmittelbare Ungerechtigkeit hervor¬
gerufen wurden. In den bestcivilisirtcn Ländern ist die Richtung immer die,
selbst ungerechten Gesetzen zu gehorchen, aber während man ihnen gehorcht, uns
ihre Abschaffung zu dringen. Während nur uns einer besondern Beschwerde
unterwerfen, greifen wir das Shstem an, aus dem diese Beschwerde entspringt.
Damit eine Nation allerdings diesen Gesichtspunkt erfasse, bedarf sie einer ge¬
wissen Stufe des sittlichen Erkennens, wie sie den finstern Perioden der mittel¬
alterlichen Kirche unerreichbar war. Wenn die Staatsidee zur allmächtigen
Willkür wird, wie wir an der Regierung des Zaren Nicolaus in Rußland ge¬
sehen haben, so provocirt sie die Gewaltacte des Nihilismus, wenn aber das
unveräußerliche Recht der Menschheit, Widerstand gegen das Unrecht zu leisten,
wenn dieses letzte Mittel, dieser letzte Ausdruck des sittlichen Willens in der
Menschenbrust nicht mehr freies Eigenthum des Menschen bleibt, weil es ver¬
kauft ist an einen Areopag des Gewissens, der für den einzelnen und für die
Masse entscheidet, was Recht und was Unrecht sei, wie die mittelalterliche Kirche,
dann ist »icht mir die Idee der Gesetzlichkeit, sonder» a»es die Idee der Sitt-


Grmzlwtni I. 1881. 47
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[0357] Die destructiven Llemonte im Staate, es nicht allein bei dem schöne», ans echtem Verstündnisse der Staatsidee hervor- gegnngenen Worte bleibe: ^Vs >pill protgot tluznr in tnvir vos^nkss. Was sollen wir von Spanien sagen, diesem Dornröschen unter den Völkern? Und doch gab es eine Zeit, wo der Herrscher dieses Landes von sich rühmen konnte, daß in seinem Reiche die Sonne nicht untergehe. Es gab eine Zeit, wo das Geld der neuen und alten Welt sast mühelos ins Land kam, wo in Sevilla .16000 Webstuhle arbeiteten, in Toledo die Scidenfabrieativn blühte, und Castilien die reichste Provinz war. Heute ist Volk und Staat verarmt und unwissend. Nur in den großen Kathedralen wird man durch die ungeheuren Schätze von Gold und Gestein daran erinnert, wie unermeßlich reich dies Land einst gewesen sein muß. War ein solcher Sturz von der Höhe der materiellen Machtstellung ohne tiefes Verschulden der Regierung möglich? Die Geschichte des spanischen Staates in den letzten vier Jahrhunderten ist eine Reihe unaufhörliche» Unrechts, eine Kette von finstern Gewaltacten, eine un- unterbrochene Abfolge tiefer Demüthigungen. Alle Arten destrnetiver Tendenzen von der Camorra bis zu den Zehnmännerverschwörnngen, Dolch, Gift, Massen¬ mord, alle Laster wurden entfesselt, und die Ausbrüche der Gesetzlosigkeit ver¬ ewigt. Zu einer großen Revolution kam es nicht. Hatte doch der Staat seine Freiheit der Kirche verkauft, was konnte die Freiheit dem einzelnen noch nützen? Mit der Kraft des Staats brach auch die des Volks. Und die Idee der Kirche war eine Idee des Niedergangs, nicht deS Aufgangs. So zersplitterte sich selbst bei Vertreibung der Moriseos jede revolutionäre Bewegung in unaufhörlichen Unruhen und localen Aufständen, die dnrch unmittelbare Ungerechtigkeit hervor¬ gerufen wurden. In den bestcivilisirtcn Ländern ist die Richtung immer die, selbst ungerechten Gesetzen zu gehorchen, aber während man ihnen gehorcht, uns ihre Abschaffung zu dringen. Während nur uns einer besondern Beschwerde unterwerfen, greifen wir das Shstem an, aus dem diese Beschwerde entspringt. Damit eine Nation allerdings diesen Gesichtspunkt erfasse, bedarf sie einer ge¬ wissen Stufe des sittlichen Erkennens, wie sie den finstern Perioden der mittel¬ alterlichen Kirche unerreichbar war. Wenn die Staatsidee zur allmächtigen Willkür wird, wie wir an der Regierung des Zaren Nicolaus in Rußland ge¬ sehen haben, so provocirt sie die Gewaltacte des Nihilismus, wenn aber das unveräußerliche Recht der Menschheit, Widerstand gegen das Unrecht zu leisten, wenn dieses letzte Mittel, dieser letzte Ausdruck des sittlichen Willens in der Menschenbrust nicht mehr freies Eigenthum des Menschen bleibt, weil es ver¬ kauft ist an einen Areopag des Gewissens, der für den einzelnen und für die Masse entscheidet, was Recht und was Unrecht sei, wie die mittelalterliche Kirche, dann ist »icht mir die Idee der Gesetzlichkeit, sonder» a»es die Idee der Sitt- Grmzlwtni I. 1881. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/357>, abgerufen am 29.05.2024.