Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lie Enthüllungen über die russische Politik in Asien.

im Oberhause erklärt, "England habe von Rußland im Osten nichts zu fürchten,"
er "sollte meinen, es wäre erwiesen, daß weder die eine noch die andere Macht
sich von der andern irgendwelcher Feindseligkeiten zu versehen habe." Lord Lytton
verblieb trotzdem bei seinem Verlangen, und die englischen Zeitungen wurden in
den Stand gesetzt, die gedachten Papiere der Welt mitzutheilen. Die Regierungs¬
blätter bemühten sich, den Eindruck, den sie auf alle Unbefangnen machen mußten,
abzuschwächen. Die russische Politik England gegenüber sei nicht so schlimm, als
man sie sich nach jener Korrespondenz vorstelle, sie habe nur an einen Act der
Nothwehr gedacht u. tgi. Die oppositionellen Zeitungen dagegen erblickten in
den Schriftstücken Beweise für einen internationalen Treubruch, der alle Welt,
mit Ausnahme derer, die immer bereit wären, sich von Rußland dupiren zu lassen,
überzeugen müsse, daß die russische Ehre nur eine Redefigur, und daß die Ge¬
fährdung Indiens nicht nur durch russische Intriguen, sondern auch durch russische
Waffen eine sehr naheliegende Thatsache sei. Der Herzog von Arghll habe ge¬
äußert, "diese Papiere könnten Mißstimmung gegen Rußland erregen," er habe
aber bei seiner Kenntniß derselben voraussehen tonnen, daß sie dieser Herrn
Gladstone so sehr ans Herz gewachsenen Macht jeden gut patriotisch denkenden
Engländer entfremden würden.

Nun zur Geschichte dieses merkwürdigen Briefwechsels. Im April 1878
waren die Beziehungen zwischen England und Rußland sehr gespannter Natur,
und das letztere zog in Samarkand eine Armee von 20 000 Mann zusammen,
um Afghanistan "als Basis von Operationen gegen Indien" zu besetzen. Aber
am 6. Mai wurde im Parlament verkündigt, daß zwischen Rußland und Eng¬
land Friedensverhandlungen im Gange seien, am 27. Mai wurde erklärt, daß
die Aussichten auf eine Verständigung sich wesentlich gebessert hätten, und drei
Tage später schlossen Lord Salisbury und Graf Schuwaloff eine Uebereinkunft
ab, welche Rußland einwilligen ließ, sich an dem internationalen Congreß in
Berlin zu betheiligen, zu welchem am 3. Juni eingeladen wurde, und welcher
am 13. zusammentrat.

Zu dieser Zeit bestand eine telegraphische Verbindung zwischen Petersburg,
Samarkand und Taschkend, und doch ist es Thatsache, daß an demselben Tage,
an welchem der Berliner Congreß seine erste Sitzung abhielt, der russische General
Stoljeteff von Samarkand nach Kabul abreiste, um dem Emir schir Ali ein
Schreiben zu überbringen, in welchem der General v. Kaufmann demselben "die
Vortheile eines engen Bündnisses mit Rußland" auseinandersetzte und einen
Allianzvertrag vorschlug, dessen Artikel, von Mirza Muhammed Rabbi aus dem
Gedächtniß niedergeschrieben, von den Engländern später in Kabul aufgefunden
wurden. Dieser Vorschlag lautete:


Lie Enthüllungen über die russische Politik in Asien.

im Oberhause erklärt, „England habe von Rußland im Osten nichts zu fürchten,"
er „sollte meinen, es wäre erwiesen, daß weder die eine noch die andere Macht
sich von der andern irgendwelcher Feindseligkeiten zu versehen habe." Lord Lytton
verblieb trotzdem bei seinem Verlangen, und die englischen Zeitungen wurden in
den Stand gesetzt, die gedachten Papiere der Welt mitzutheilen. Die Regierungs¬
blätter bemühten sich, den Eindruck, den sie auf alle Unbefangnen machen mußten,
abzuschwächen. Die russische Politik England gegenüber sei nicht so schlimm, als
man sie sich nach jener Korrespondenz vorstelle, sie habe nur an einen Act der
Nothwehr gedacht u. tgi. Die oppositionellen Zeitungen dagegen erblickten in
den Schriftstücken Beweise für einen internationalen Treubruch, der alle Welt,
mit Ausnahme derer, die immer bereit wären, sich von Rußland dupiren zu lassen,
überzeugen müsse, daß die russische Ehre nur eine Redefigur, und daß die Ge¬
fährdung Indiens nicht nur durch russische Intriguen, sondern auch durch russische
Waffen eine sehr naheliegende Thatsache sei. Der Herzog von Arghll habe ge¬
äußert, „diese Papiere könnten Mißstimmung gegen Rußland erregen," er habe
aber bei seiner Kenntniß derselben voraussehen tonnen, daß sie dieser Herrn
Gladstone so sehr ans Herz gewachsenen Macht jeden gut patriotisch denkenden
Engländer entfremden würden.

Nun zur Geschichte dieses merkwürdigen Briefwechsels. Im April 1878
waren die Beziehungen zwischen England und Rußland sehr gespannter Natur,
und das letztere zog in Samarkand eine Armee von 20 000 Mann zusammen,
um Afghanistan „als Basis von Operationen gegen Indien" zu besetzen. Aber
am 6. Mai wurde im Parlament verkündigt, daß zwischen Rußland und Eng¬
land Friedensverhandlungen im Gange seien, am 27. Mai wurde erklärt, daß
die Aussichten auf eine Verständigung sich wesentlich gebessert hätten, und drei
Tage später schlossen Lord Salisbury und Graf Schuwaloff eine Uebereinkunft
ab, welche Rußland einwilligen ließ, sich an dem internationalen Congreß in
Berlin zu betheiligen, zu welchem am 3. Juni eingeladen wurde, und welcher
am 13. zusammentrat.

Zu dieser Zeit bestand eine telegraphische Verbindung zwischen Petersburg,
Samarkand und Taschkend, und doch ist es Thatsache, daß an demselben Tage,
an welchem der Berliner Congreß seine erste Sitzung abhielt, der russische General
Stoljeteff von Samarkand nach Kabul abreiste, um dem Emir schir Ali ein
Schreiben zu überbringen, in welchem der General v. Kaufmann demselben „die
Vortheile eines engen Bündnisses mit Rußland" auseinandersetzte und einen
Allianzvertrag vorschlug, dessen Artikel, von Mirza Muhammed Rabbi aus dem
Gedächtniß niedergeschrieben, von den Engländern später in Kabul aufgefunden
wurden. Dieser Vorschlag lautete:


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0414" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149398"/>
          <fw type="header" place="top"> Lie Enthüllungen über die russische Politik in Asien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1125" prev="#ID_1124"> im Oberhause erklärt, &#x201E;England habe von Rußland im Osten nichts zu fürchten,"<lb/>
er &#x201E;sollte meinen, es wäre erwiesen, daß weder die eine noch die andere Macht<lb/>
sich von der andern irgendwelcher Feindseligkeiten zu versehen habe." Lord Lytton<lb/>
verblieb trotzdem bei seinem Verlangen, und die englischen Zeitungen wurden in<lb/>
den Stand gesetzt, die gedachten Papiere der Welt mitzutheilen. Die Regierungs¬<lb/>
blätter bemühten sich, den Eindruck, den sie auf alle Unbefangnen machen mußten,<lb/>
abzuschwächen. Die russische Politik England gegenüber sei nicht so schlimm, als<lb/>
man sie sich nach jener Korrespondenz vorstelle, sie habe nur an einen Act der<lb/>
Nothwehr gedacht u. tgi. Die oppositionellen Zeitungen dagegen erblickten in<lb/>
den Schriftstücken Beweise für einen internationalen Treubruch, der alle Welt,<lb/>
mit Ausnahme derer, die immer bereit wären, sich von Rußland dupiren zu lassen,<lb/>
überzeugen müsse, daß die russische Ehre nur eine Redefigur, und daß die Ge¬<lb/>
fährdung Indiens nicht nur durch russische Intriguen, sondern auch durch russische<lb/>
Waffen eine sehr naheliegende Thatsache sei. Der Herzog von Arghll habe ge¬<lb/>
äußert, &#x201E;diese Papiere könnten Mißstimmung gegen Rußland erregen," er habe<lb/>
aber bei seiner Kenntniß derselben voraussehen tonnen, daß sie dieser Herrn<lb/>
Gladstone so sehr ans Herz gewachsenen Macht jeden gut patriotisch denkenden<lb/>
Engländer entfremden würden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1126"> Nun zur Geschichte dieses merkwürdigen Briefwechsels. Im April 1878<lb/>
waren die Beziehungen zwischen England und Rußland sehr gespannter Natur,<lb/>
und das letztere zog in Samarkand eine Armee von 20 000 Mann zusammen,<lb/>
um Afghanistan &#x201E;als Basis von Operationen gegen Indien" zu besetzen. Aber<lb/>
am 6. Mai wurde im Parlament verkündigt, daß zwischen Rußland und Eng¬<lb/>
land Friedensverhandlungen im Gange seien, am 27. Mai wurde erklärt, daß<lb/>
die Aussichten auf eine Verständigung sich wesentlich gebessert hätten, und drei<lb/>
Tage später schlossen Lord Salisbury und Graf Schuwaloff eine Uebereinkunft<lb/>
ab, welche Rußland einwilligen ließ, sich an dem internationalen Congreß in<lb/>
Berlin zu betheiligen, zu welchem am 3. Juni eingeladen wurde, und welcher<lb/>
am 13. zusammentrat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1127"> Zu dieser Zeit bestand eine telegraphische Verbindung zwischen Petersburg,<lb/>
Samarkand und Taschkend, und doch ist es Thatsache, daß an demselben Tage,<lb/>
an welchem der Berliner Congreß seine erste Sitzung abhielt, der russische General<lb/>
Stoljeteff von Samarkand nach Kabul abreiste, um dem Emir schir Ali ein<lb/>
Schreiben zu überbringen, in welchem der General v. Kaufmann demselben &#x201E;die<lb/>
Vortheile eines engen Bündnisses mit Rußland" auseinandersetzte und einen<lb/>
Allianzvertrag vorschlug, dessen Artikel, von Mirza Muhammed Rabbi aus dem<lb/>
Gedächtniß niedergeschrieben, von den Engländern später in Kabul aufgefunden<lb/>
wurden. Dieser Vorschlag lautete:</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0414] Lie Enthüllungen über die russische Politik in Asien. im Oberhause erklärt, „England habe von Rußland im Osten nichts zu fürchten," er „sollte meinen, es wäre erwiesen, daß weder die eine noch die andere Macht sich von der andern irgendwelcher Feindseligkeiten zu versehen habe." Lord Lytton verblieb trotzdem bei seinem Verlangen, und die englischen Zeitungen wurden in den Stand gesetzt, die gedachten Papiere der Welt mitzutheilen. Die Regierungs¬ blätter bemühten sich, den Eindruck, den sie auf alle Unbefangnen machen mußten, abzuschwächen. Die russische Politik England gegenüber sei nicht so schlimm, als man sie sich nach jener Korrespondenz vorstelle, sie habe nur an einen Act der Nothwehr gedacht u. tgi. Die oppositionellen Zeitungen dagegen erblickten in den Schriftstücken Beweise für einen internationalen Treubruch, der alle Welt, mit Ausnahme derer, die immer bereit wären, sich von Rußland dupiren zu lassen, überzeugen müsse, daß die russische Ehre nur eine Redefigur, und daß die Ge¬ fährdung Indiens nicht nur durch russische Intriguen, sondern auch durch russische Waffen eine sehr naheliegende Thatsache sei. Der Herzog von Arghll habe ge¬ äußert, „diese Papiere könnten Mißstimmung gegen Rußland erregen," er habe aber bei seiner Kenntniß derselben voraussehen tonnen, daß sie dieser Herrn Gladstone so sehr ans Herz gewachsenen Macht jeden gut patriotisch denkenden Engländer entfremden würden. Nun zur Geschichte dieses merkwürdigen Briefwechsels. Im April 1878 waren die Beziehungen zwischen England und Rußland sehr gespannter Natur, und das letztere zog in Samarkand eine Armee von 20 000 Mann zusammen, um Afghanistan „als Basis von Operationen gegen Indien" zu besetzen. Aber am 6. Mai wurde im Parlament verkündigt, daß zwischen Rußland und Eng¬ land Friedensverhandlungen im Gange seien, am 27. Mai wurde erklärt, daß die Aussichten auf eine Verständigung sich wesentlich gebessert hätten, und drei Tage später schlossen Lord Salisbury und Graf Schuwaloff eine Uebereinkunft ab, welche Rußland einwilligen ließ, sich an dem internationalen Congreß in Berlin zu betheiligen, zu welchem am 3. Juni eingeladen wurde, und welcher am 13. zusammentrat. Zu dieser Zeit bestand eine telegraphische Verbindung zwischen Petersburg, Samarkand und Taschkend, und doch ist es Thatsache, daß an demselben Tage, an welchem der Berliner Congreß seine erste Sitzung abhielt, der russische General Stoljeteff von Samarkand nach Kabul abreiste, um dem Emir schir Ali ein Schreiben zu überbringen, in welchem der General v. Kaufmann demselben „die Vortheile eines engen Bündnisses mit Rußland" auseinandersetzte und einen Allianzvertrag vorschlug, dessen Artikel, von Mirza Muhammed Rabbi aus dem Gedächtniß niedergeschrieben, von den Engländern später in Kabul aufgefunden wurden. Dieser Vorschlag lautete:

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/414
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/414>, abgerufen am 14.05.2024.