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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Die Enthüllungen über die russische Politik in Asien.

ist damals zur Kenntniß der Minister gelangt, und die Minister können jetzt
darüber Nachforschungen anstellen. Inzwischen wagen wir, da die Ableugnung
in Abrede stellt, daß eine solche Unterredung im Jahre 1876 stattgefunden habe,
zu vermuthen, daß die Idee selbst 1876 nicht mehr den Charakter von etwas
neuem an sich trug. Keineswegs dunkle und undeutliche Zeichen und Spuren
von dem Vorhandensein jener ungeheuerlichen Immoralitäten der russischen Politik
existiren in officiellen Schriftstücken und Drucksachen. Sollten sie etwa unbemerkt
geblieben sein, so erlauben wir uns die Beamten des Indischen und des Aus¬
wärtigen Amtes zum Studium der Blaubücher einzuladen, die sie selbst ver¬
öffentlicht haben."

In diesen Blaubüchern finden wir nun folgendes. Am 23. Juni 1875
schrieb der englische Geschäftsträger am Petersburger Hofe, Herr Doria, daß er
eine Besprechung mit Baron Jomini (Gortschakoffs rechter Hand) gehabt, in
welcher "Se. Excellenz sich über die Beziehungen zwischen England und Rußland
hinsichtlich der Stellung des letztern in Centralasien verbreitet habe, wobei er
geäußert, wenn die beiden Regierungen mehr im Einvernehmen handelten, so
könnte das ein Mittel werden, sie beide in ihren respectiven Besitzungen im Osten
zu stärken, wo in der muselmännischen Bevölkerung ein mächtiges feindliches Ele¬
ment, eine Bedrohung beider Regierungen lebe.... Auch betrachtet Se. Excellenz
die Möglichkeit, daß die beiden Gebiete einmal mit ihren Grenzen an einander
stoßen könnten, nicht als Grund, sich unbestimmten Befürchtungen von Feind¬
seligkeiten zu überlassen. Wenn Rußland mit Deutschland und Oesterreich zu¬
sammengrenzte und mit diesen Ländern im Frieden lebte, warum sollte einmal
die Thatsache, daß seine Besitzungen die Grenzen des britischen Reichs in Indien
berührten, einen Grund abgeben zu einer Kriegführung, von der kein verständiges
Gemüth für möglich halten könnte, sie werde zu Sieg und Eroberung führen?"

Diese Unterhaltung scheint in Petersburg ungefähr zwölf Monate vor der¬
jenigen in London stattgefunden zu haben, in welcher Schuwaloff die oben an¬
geführten Vorschläge machte. Aber zwanzig Tage nach dem 23. Juni, nämlich
am 13. Juli 1875 -- man beachte die Daten und merke sie sich als Beweise
für die Kontinuität der Anschauungen, Pläne und Anerbietungen des Peters¬
burger Unterstaatssecretärs -- berichtete Herr Doria dem Lord Derby: "Baron
Jomini sagte zu mir, daß man sich zuerst über die neutrale Zone (in Central¬
asien) besprochen und sie als Grenze für das Vorrücken beider Reiche vorge¬
schlagen habe, dann aber fügte er hinzu, eine neutrale Zone ist auf einem Ge¬
biete, wo Barbaren Hausen, eine Unmöglichkeit..." "Indessen," so fährt der
Bericht des englischen Geschäftsträgers fort, "bestand der Hauptpunkt in dem
Vortrage Sr. Excellenz darin, daß er die in seinem Gemüthe haftende Idee zeigte,


Die Enthüllungen über die russische Politik in Asien.

ist damals zur Kenntniß der Minister gelangt, und die Minister können jetzt
darüber Nachforschungen anstellen. Inzwischen wagen wir, da die Ableugnung
in Abrede stellt, daß eine solche Unterredung im Jahre 1876 stattgefunden habe,
zu vermuthen, daß die Idee selbst 1876 nicht mehr den Charakter von etwas
neuem an sich trug. Keineswegs dunkle und undeutliche Zeichen und Spuren
von dem Vorhandensein jener ungeheuerlichen Immoralitäten der russischen Politik
existiren in officiellen Schriftstücken und Drucksachen. Sollten sie etwa unbemerkt
geblieben sein, so erlauben wir uns die Beamten des Indischen und des Aus¬
wärtigen Amtes zum Studium der Blaubücher einzuladen, die sie selbst ver¬
öffentlicht haben."

In diesen Blaubüchern finden wir nun folgendes. Am 23. Juni 1875
schrieb der englische Geschäftsträger am Petersburger Hofe, Herr Doria, daß er
eine Besprechung mit Baron Jomini (Gortschakoffs rechter Hand) gehabt, in
welcher „Se. Excellenz sich über die Beziehungen zwischen England und Rußland
hinsichtlich der Stellung des letztern in Centralasien verbreitet habe, wobei er
geäußert, wenn die beiden Regierungen mehr im Einvernehmen handelten, so
könnte das ein Mittel werden, sie beide in ihren respectiven Besitzungen im Osten
zu stärken, wo in der muselmännischen Bevölkerung ein mächtiges feindliches Ele¬
ment, eine Bedrohung beider Regierungen lebe.... Auch betrachtet Se. Excellenz
die Möglichkeit, daß die beiden Gebiete einmal mit ihren Grenzen an einander
stoßen könnten, nicht als Grund, sich unbestimmten Befürchtungen von Feind¬
seligkeiten zu überlassen. Wenn Rußland mit Deutschland und Oesterreich zu¬
sammengrenzte und mit diesen Ländern im Frieden lebte, warum sollte einmal
die Thatsache, daß seine Besitzungen die Grenzen des britischen Reichs in Indien
berührten, einen Grund abgeben zu einer Kriegführung, von der kein verständiges
Gemüth für möglich halten könnte, sie werde zu Sieg und Eroberung führen?"

Diese Unterhaltung scheint in Petersburg ungefähr zwölf Monate vor der¬
jenigen in London stattgefunden zu haben, in welcher Schuwaloff die oben an¬
geführten Vorschläge machte. Aber zwanzig Tage nach dem 23. Juni, nämlich
am 13. Juli 1875 — man beachte die Daten und merke sie sich als Beweise
für die Kontinuität der Anschauungen, Pläne und Anerbietungen des Peters¬
burger Unterstaatssecretärs — berichtete Herr Doria dem Lord Derby: „Baron
Jomini sagte zu mir, daß man sich zuerst über die neutrale Zone (in Central¬
asien) besprochen und sie als Grenze für das Vorrücken beider Reiche vorge¬
schlagen habe, dann aber fügte er hinzu, eine neutrale Zone ist auf einem Ge¬
biete, wo Barbaren Hausen, eine Unmöglichkeit..." „Indessen," so fährt der
Bericht des englischen Geschäftsträgers fort, „bestand der Hauptpunkt in dem
Vortrage Sr. Excellenz darin, daß er die in seinem Gemüthe haftende Idee zeigte,


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[0463] Die Enthüllungen über die russische Politik in Asien. ist damals zur Kenntniß der Minister gelangt, und die Minister können jetzt darüber Nachforschungen anstellen. Inzwischen wagen wir, da die Ableugnung in Abrede stellt, daß eine solche Unterredung im Jahre 1876 stattgefunden habe, zu vermuthen, daß die Idee selbst 1876 nicht mehr den Charakter von etwas neuem an sich trug. Keineswegs dunkle und undeutliche Zeichen und Spuren von dem Vorhandensein jener ungeheuerlichen Immoralitäten der russischen Politik existiren in officiellen Schriftstücken und Drucksachen. Sollten sie etwa unbemerkt geblieben sein, so erlauben wir uns die Beamten des Indischen und des Aus¬ wärtigen Amtes zum Studium der Blaubücher einzuladen, die sie selbst ver¬ öffentlicht haben." In diesen Blaubüchern finden wir nun folgendes. Am 23. Juni 1875 schrieb der englische Geschäftsträger am Petersburger Hofe, Herr Doria, daß er eine Besprechung mit Baron Jomini (Gortschakoffs rechter Hand) gehabt, in welcher „Se. Excellenz sich über die Beziehungen zwischen England und Rußland hinsichtlich der Stellung des letztern in Centralasien verbreitet habe, wobei er geäußert, wenn die beiden Regierungen mehr im Einvernehmen handelten, so könnte das ein Mittel werden, sie beide in ihren respectiven Besitzungen im Osten zu stärken, wo in der muselmännischen Bevölkerung ein mächtiges feindliches Ele¬ ment, eine Bedrohung beider Regierungen lebe.... Auch betrachtet Se. Excellenz die Möglichkeit, daß die beiden Gebiete einmal mit ihren Grenzen an einander stoßen könnten, nicht als Grund, sich unbestimmten Befürchtungen von Feind¬ seligkeiten zu überlassen. Wenn Rußland mit Deutschland und Oesterreich zu¬ sammengrenzte und mit diesen Ländern im Frieden lebte, warum sollte einmal die Thatsache, daß seine Besitzungen die Grenzen des britischen Reichs in Indien berührten, einen Grund abgeben zu einer Kriegführung, von der kein verständiges Gemüth für möglich halten könnte, sie werde zu Sieg und Eroberung führen?" Diese Unterhaltung scheint in Petersburg ungefähr zwölf Monate vor der¬ jenigen in London stattgefunden zu haben, in welcher Schuwaloff die oben an¬ geführten Vorschläge machte. Aber zwanzig Tage nach dem 23. Juni, nämlich am 13. Juli 1875 — man beachte die Daten und merke sie sich als Beweise für die Kontinuität der Anschauungen, Pläne und Anerbietungen des Peters¬ burger Unterstaatssecretärs — berichtete Herr Doria dem Lord Derby: „Baron Jomini sagte zu mir, daß man sich zuerst über die neutrale Zone (in Central¬ asien) besprochen und sie als Grenze für das Vorrücken beider Reiche vorge¬ schlagen habe, dann aber fügte er hinzu, eine neutrale Zone ist auf einem Ge¬ biete, wo Barbaren Hausen, eine Unmöglichkeit..." „Indessen," so fährt der Bericht des englischen Geschäftsträgers fort, „bestand der Hauptpunkt in dem Vortrage Sr. Excellenz darin, daß er die in seinem Gemüthe haftende Idee zeigte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/463>, abgerufen am 28.05.2024.