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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Ans den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes,

revolutionären Gesinnungen eingeweiht war, so schützte ihre Uebertreibung mich
doch vor der Ansteckung."

Als der Gymnasiast Student wurde, vertauschte er Hamburg mit Jena. Das
Studium der Jurisprudenz, das er erwählt hatte, vermochte ihn aber wiederum
nicht zu fesseln. "Noch war die geistreiche historische Methode, das Recht zu
lehren, wie Savigny und Eichhorn sie seitdem angewandt, nicht gesunden; einzeln,
ohne Verknüpfung, schienen die strengen, willkürlichen Definitionen und Regeln
dazustehen; wie Goethe sie im Faust charakterisirt, eine Pflege der Vorzeit, welche
die Mitwelt nach sich schleppt, dem Heut und Gestern, dem Volksgefühle fremd."
Desto mehr wurde Rist von philosophischen und poetischen Interessen angezogen,
und in einem Kreise ideal gerichteter Jünglinge, die sich "Gesellschaft der freien
Männer" nannte, fand er reiche Befriedigung. Der spätere berühmte Bürger¬
meister Smidt war Mitglied dieser Gesellschaft gewesen, jetzt gehörten ihr zwei
Männer an, von denen der eine auf philosophischen: Gebiet eine hervorragende,
der andre auf poetischem eine geachtete Stellung sich erwerben sollten, Herbart
und Gries. Besonders Herbart, damals als erster Schüler Fichtes und als
abstruser Metaphysiker unter den Commilitonen gekannt, trat Rist näher. Er
wurde diesem der Interpret der Philosophie Fichtes. Rist, anfänglich der Specu-
lation abgeneigt, hatte sich einer Gesammtanschauung zugewandt, welche die Er¬
kenntniß des Unendlichen dem menschlichen Geiste versagt und ihn in die Schranken
des Endlichen bannt. Die Gesetze des Weltalls zu erforschen, sich ihnen demüthig
zu fügen, war ihm als die einzige Aufgabe des Menschen erschienen. Der Ge¬
danke an ein Fortschreiten der Menschen galt ihm als Thorheit, alles Sein als
ewiger Wechsel und Kreislauf. Es war Fichtes Philosophie, welche, nachdem
Herbart ihm ihr Verständniß erschlossen, dies Gebäude zerstörte. Unter schweren
Kämpfen gewann Rist den neuen Standpunkt, den Lauf der Welt zu betrachten.
Was er diesem verdankte, war das tiefeingeprägte Gefühl von der geistigen Würde
des Menschen, die Gewohnheit eines höhern Maßstabes fiir die irdischen Dinge
und die feste Ueberzeugung von einer über alle weltlichen Verhältnisse erhabnen
Bestimmung. Die energische Persönlichkeit Fichtes stärkte den Eindruck der Lehren,
die er vortrug. "Nicht ruhig wie ein Weltweiser, sondern gleichsam zornig und
kampflustig stand der kleine, breitschultrige Mann auf seinem Katheder, und ordent¬
lich sträubten sich seine schlichten braunen Haare um das gefurchte Gesicht, das
Züge von einer alten Frau und von einem Adler trug. Wenn er stand auf
seinen stämmigen Beinen oder hinschritt, so war er festgewurzelt in der Erde,
wo er ruhte, und im Gefühl seiner Kraft sicher und unbeweglich. Kein sanftes
Wort ging über seine Lippen und kein Lächeln; er schien der Welt, die seinem
Ich gegenüberstand, den Krieg erklärt zu haben und durch Herbigkeit den Maugel


Grenzboten 1. 1881. 61
Ans den Erinnerungen eines dänischen Staatsmannes,

revolutionären Gesinnungen eingeweiht war, so schützte ihre Uebertreibung mich
doch vor der Ansteckung."

Als der Gymnasiast Student wurde, vertauschte er Hamburg mit Jena. Das
Studium der Jurisprudenz, das er erwählt hatte, vermochte ihn aber wiederum
nicht zu fesseln. „Noch war die geistreiche historische Methode, das Recht zu
lehren, wie Savigny und Eichhorn sie seitdem angewandt, nicht gesunden; einzeln,
ohne Verknüpfung, schienen die strengen, willkürlichen Definitionen und Regeln
dazustehen; wie Goethe sie im Faust charakterisirt, eine Pflege der Vorzeit, welche
die Mitwelt nach sich schleppt, dem Heut und Gestern, dem Volksgefühle fremd."
Desto mehr wurde Rist von philosophischen und poetischen Interessen angezogen,
und in einem Kreise ideal gerichteter Jünglinge, die sich „Gesellschaft der freien
Männer" nannte, fand er reiche Befriedigung. Der spätere berühmte Bürger¬
meister Smidt war Mitglied dieser Gesellschaft gewesen, jetzt gehörten ihr zwei
Männer an, von denen der eine auf philosophischen: Gebiet eine hervorragende,
der andre auf poetischem eine geachtete Stellung sich erwerben sollten, Herbart
und Gries. Besonders Herbart, damals als erster Schüler Fichtes und als
abstruser Metaphysiker unter den Commilitonen gekannt, trat Rist näher. Er
wurde diesem der Interpret der Philosophie Fichtes. Rist, anfänglich der Specu-
lation abgeneigt, hatte sich einer Gesammtanschauung zugewandt, welche die Er¬
kenntniß des Unendlichen dem menschlichen Geiste versagt und ihn in die Schranken
des Endlichen bannt. Die Gesetze des Weltalls zu erforschen, sich ihnen demüthig
zu fügen, war ihm als die einzige Aufgabe des Menschen erschienen. Der Ge¬
danke an ein Fortschreiten der Menschen galt ihm als Thorheit, alles Sein als
ewiger Wechsel und Kreislauf. Es war Fichtes Philosophie, welche, nachdem
Herbart ihm ihr Verständniß erschlossen, dies Gebäude zerstörte. Unter schweren
Kämpfen gewann Rist den neuen Standpunkt, den Lauf der Welt zu betrachten.
Was er diesem verdankte, war das tiefeingeprägte Gefühl von der geistigen Würde
des Menschen, die Gewohnheit eines höhern Maßstabes fiir die irdischen Dinge
und die feste Ueberzeugung von einer über alle weltlichen Verhältnisse erhabnen
Bestimmung. Die energische Persönlichkeit Fichtes stärkte den Eindruck der Lehren,
die er vortrug. „Nicht ruhig wie ein Weltweiser, sondern gleichsam zornig und
kampflustig stand der kleine, breitschultrige Mann auf seinem Katheder, und ordent¬
lich sträubten sich seine schlichten braunen Haare um das gefurchte Gesicht, das
Züge von einer alten Frau und von einem Adler trug. Wenn er stand auf
seinen stämmigen Beinen oder hinschritt, so war er festgewurzelt in der Erde,
wo er ruhte, und im Gefühl seiner Kraft sicher und unbeweglich. Kein sanftes
Wort ging über seine Lippen und kein Lächeln; er schien der Welt, die seinem
Ich gegenüberstand, den Krieg erklärt zu haben und durch Herbigkeit den Maugel


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/469>, abgerufen am 29.05.2024.