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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Das System der altsynagogalen Theologie.

Nach dem Princip des Nomisnms bemißt sich nun auch die Stellung des
Judenthums zur Heidenwelt. Da erhebt sich denn die gewichtige Frage, ob auch
nach der Scheidung der Quellen und nach der Kritik und Sichtung des Allge¬
meinen und Individuellen, wie Weber sie vollzogen hat, jene vielbesprochne An¬
schauungsweise noch bestehen bleibt, wonach das Heidenthum in der Moral des
Judenthums als eine vollständig rechtlose Gemeinschaft angesehen wird, mit der
das Judenthum in kein näheres Verhältniß treten darf und der gegenüber es
nicht die gleichen Pflichten des gegenseitigen Verkehrs auszuüben hat. Hier er¬
giebt sich um folgendes. Die gesummte Heidenwelt ist eine große mW", xsrcliticmis.
Da sie durch Verwerfung des Gesetzes und seiner einzelnen göttlichen Bestimmungen
in bewußten Gegensatz zu Gott getreten ist, so ist sie auch von Gott verlassen
worden und so in einen thierischen Zustand gerathen, in welchem sie, ganz dem
Dienste des Fleisches verfallen, nach jüdischer Anschauung für ethisch und Physisch
unrein anzusehen ist. So hat die Heidenwelt weder für Gott uoch für die Ge¬
meinde Gottes Werth und Bedeutung, und die Gemeinde Gottes hat der Heiden¬
welt gegenüber lediglich die Pflicht der Selbstbcwahrung zu erfüllen. Demnach
ist ein socialer Verkehr mit den Heiden, durch die Ehe oder sonstige Gemein¬
schaft, den Juden nach strenger Anschauung untersagt: bei Todesstrafe soll
kein Jude den Töchtern der Heiden nahen; tritt eine Verbindung zwischen einem
Heiden und einer Jüdin ein, so heißt das aus derselben hervorgehende Kind
ein Bastard. So giebt es für den Juden keinen andern Gesichtspunkt des Ver¬
haltens gegenüber dem Heiden, als wie er gegen denselben seine Existenz und
seine religiöse Selbständigkeit wahre.

Wir sehen also, daß nicht etwa erst zur Zeit des Mittelalters unter dem
Drucke der Verfvlgungszeiten, auch nicht als die private Meinung einzelner durch
blinden Fanatismus getriebener Gesetzeslchrer derartige Vorschriften über den
Verkehr zwischen Juden und Heiden gegeben werden, sondern es ist die Conse-
quenz des beherrschenden Princips des jüdischen Traditionsglaubcns, daß der
Heide, der das Gesetz nicht anerkennt und seine Vorschriften nicht befolgt, als
völlig werthlos und darum auch rechtlos der Judenwald gegenüber anzusehen ist.

Wenn nnn auch die Thatsache anzuerkennen ist, daß das Judenthum eine
solche feindselige Stellung gegen Heidenwelt und Christenthum nicht nur billigt,
sondern direct fordert, so fragt es sich schließlich doch, ob diese Anschauungen einer
frühen Zeit auch für die heutige Jndenwelt als giltig und bestimmend betrachtet
werden. Für den Standpunkt des Reformjudenthums hat bekanntlich das Gesetz
und die Tradition der Gesetzesauslegung keinerlei normative Bedeutung mehr
-- ganz abgesehen von der frivolen Freigeisterei der ungläubigen Refvrmjuden,
für die es überhaupt keine ernstere sittlich religiöse Verpflichtung giebt --; und


Grenzboten I. 1881. "7
Das System der altsynagogalen Theologie.

Nach dem Princip des Nomisnms bemißt sich nun auch die Stellung des
Judenthums zur Heidenwelt. Da erhebt sich denn die gewichtige Frage, ob auch
nach der Scheidung der Quellen und nach der Kritik und Sichtung des Allge¬
meinen und Individuellen, wie Weber sie vollzogen hat, jene vielbesprochne An¬
schauungsweise noch bestehen bleibt, wonach das Heidenthum in der Moral des
Judenthums als eine vollständig rechtlose Gemeinschaft angesehen wird, mit der
das Judenthum in kein näheres Verhältniß treten darf und der gegenüber es
nicht die gleichen Pflichten des gegenseitigen Verkehrs auszuüben hat. Hier er¬
giebt sich um folgendes. Die gesummte Heidenwelt ist eine große mW», xsrcliticmis.
Da sie durch Verwerfung des Gesetzes und seiner einzelnen göttlichen Bestimmungen
in bewußten Gegensatz zu Gott getreten ist, so ist sie auch von Gott verlassen
worden und so in einen thierischen Zustand gerathen, in welchem sie, ganz dem
Dienste des Fleisches verfallen, nach jüdischer Anschauung für ethisch und Physisch
unrein anzusehen ist. So hat die Heidenwelt weder für Gott uoch für die Ge¬
meinde Gottes Werth und Bedeutung, und die Gemeinde Gottes hat der Heiden¬
welt gegenüber lediglich die Pflicht der Selbstbcwahrung zu erfüllen. Demnach
ist ein socialer Verkehr mit den Heiden, durch die Ehe oder sonstige Gemein¬
schaft, den Juden nach strenger Anschauung untersagt: bei Todesstrafe soll
kein Jude den Töchtern der Heiden nahen; tritt eine Verbindung zwischen einem
Heiden und einer Jüdin ein, so heißt das aus derselben hervorgehende Kind
ein Bastard. So giebt es für den Juden keinen andern Gesichtspunkt des Ver¬
haltens gegenüber dem Heiden, als wie er gegen denselben seine Existenz und
seine religiöse Selbständigkeit wahre.

Wir sehen also, daß nicht etwa erst zur Zeit des Mittelalters unter dem
Drucke der Verfvlgungszeiten, auch nicht als die private Meinung einzelner durch
blinden Fanatismus getriebener Gesetzeslchrer derartige Vorschriften über den
Verkehr zwischen Juden und Heiden gegeben werden, sondern es ist die Conse-
quenz des beherrschenden Princips des jüdischen Traditionsglaubcns, daß der
Heide, der das Gesetz nicht anerkennt und seine Vorschriften nicht befolgt, als
völlig werthlos und darum auch rechtlos der Judenwald gegenüber anzusehen ist.

Wenn nnn auch die Thatsache anzuerkennen ist, daß das Judenthum eine
solche feindselige Stellung gegen Heidenwelt und Christenthum nicht nur billigt,
sondern direct fordert, so fragt es sich schließlich doch, ob diese Anschauungen einer
frühen Zeit auch für die heutige Jndenwelt als giltig und bestimmend betrachtet
werden. Für den Standpunkt des Reformjudenthums hat bekanntlich das Gesetz
und die Tradition der Gesetzesauslegung keinerlei normative Bedeutung mehr
— ganz abgesehen von der frivolen Freigeisterei der ungläubigen Refvrmjuden,
für die es überhaupt keine ernstere sittlich religiöse Verpflichtung giebt —; und


Grenzboten I. 1881. »7
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[0513] Das System der altsynagogalen Theologie. Nach dem Princip des Nomisnms bemißt sich nun auch die Stellung des Judenthums zur Heidenwelt. Da erhebt sich denn die gewichtige Frage, ob auch nach der Scheidung der Quellen und nach der Kritik und Sichtung des Allge¬ meinen und Individuellen, wie Weber sie vollzogen hat, jene vielbesprochne An¬ schauungsweise noch bestehen bleibt, wonach das Heidenthum in der Moral des Judenthums als eine vollständig rechtlose Gemeinschaft angesehen wird, mit der das Judenthum in kein näheres Verhältniß treten darf und der gegenüber es nicht die gleichen Pflichten des gegenseitigen Verkehrs auszuüben hat. Hier er¬ giebt sich um folgendes. Die gesummte Heidenwelt ist eine große mW», xsrcliticmis. Da sie durch Verwerfung des Gesetzes und seiner einzelnen göttlichen Bestimmungen in bewußten Gegensatz zu Gott getreten ist, so ist sie auch von Gott verlassen worden und so in einen thierischen Zustand gerathen, in welchem sie, ganz dem Dienste des Fleisches verfallen, nach jüdischer Anschauung für ethisch und Physisch unrein anzusehen ist. So hat die Heidenwelt weder für Gott uoch für die Ge¬ meinde Gottes Werth und Bedeutung, und die Gemeinde Gottes hat der Heiden¬ welt gegenüber lediglich die Pflicht der Selbstbcwahrung zu erfüllen. Demnach ist ein socialer Verkehr mit den Heiden, durch die Ehe oder sonstige Gemein¬ schaft, den Juden nach strenger Anschauung untersagt: bei Todesstrafe soll kein Jude den Töchtern der Heiden nahen; tritt eine Verbindung zwischen einem Heiden und einer Jüdin ein, so heißt das aus derselben hervorgehende Kind ein Bastard. So giebt es für den Juden keinen andern Gesichtspunkt des Ver¬ haltens gegenüber dem Heiden, als wie er gegen denselben seine Existenz und seine religiöse Selbständigkeit wahre. Wir sehen also, daß nicht etwa erst zur Zeit des Mittelalters unter dem Drucke der Verfvlgungszeiten, auch nicht als die private Meinung einzelner durch blinden Fanatismus getriebener Gesetzeslchrer derartige Vorschriften über den Verkehr zwischen Juden und Heiden gegeben werden, sondern es ist die Conse- quenz des beherrschenden Princips des jüdischen Traditionsglaubcns, daß der Heide, der das Gesetz nicht anerkennt und seine Vorschriften nicht befolgt, als völlig werthlos und darum auch rechtlos der Judenwald gegenüber anzusehen ist. Wenn nnn auch die Thatsache anzuerkennen ist, daß das Judenthum eine solche feindselige Stellung gegen Heidenwelt und Christenthum nicht nur billigt, sondern direct fordert, so fragt es sich schließlich doch, ob diese Anschauungen einer frühen Zeit auch für die heutige Jndenwelt als giltig und bestimmend betrachtet werden. Für den Standpunkt des Reformjudenthums hat bekanntlich das Gesetz und die Tradition der Gesetzesauslegung keinerlei normative Bedeutung mehr — ganz abgesehen von der frivolen Freigeisterei der ungläubigen Refvrmjuden, für die es überhaupt keine ernstere sittlich religiöse Verpflichtung giebt —; und Grenzboten I. 1881. »7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/513>, abgerufen am 15.05.2024.