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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Leopold von Railkes Weltgeschichte.

Wir lassen dahingestellt, ob eine solche Auffassung der Weltgeschichte richtig
und praktisch durchführbar ist. Es werden Bedenken mancherlei Art dagegen
laut, auf welche wir später zurückkommen werden. Sehen wir zunächst, wie
der Verfasser seiner Aufgabe für die Geschichte des Orients und Altgriechen¬
lands gerecht geworden ist.

Ranke beginnt mit den Vorstellungen über die göttlichen Dinge, "welche in
der ältesten Zeit mit den Antrieben des Lebens und dem Geiste der Landes¬
verfassung zusammenfallen, aber die Summe derselben erkennbarer, begreiflicher
ausdrücken, als es durch die Beschreibung der Zustände und Einrichtungen im
einzelnen geschehen könnte. Das Göttliche ist immer das Ideale, das den
Menschen vorleuchtet. Dem menschlichen Thun und Lassen wohnt zwar noch
eine ganz andere, auf die Bedingungen des realen Daseins gerichtete Tendenz
inne, aber es strebt doch unaufhörlich nach dem Göttlichen hin."

Im Vordergrunde stehen die drei verschiedenen Formen des menschlichen
Bewußtseins von den göttlichen Dingen. Sie knüpfen an die Namen Amon-
Ra, Baal und Jehova an. Alle drei Arten der Gottesverehrung finden wir,
sich nahe berührend, in dem wunderbaren Lande der Pyramiden, der Wiege
uralter Cultur. In großen Zügen entwirft uns Ranke ein Bild der ägyptischen
Geschichte bis auf Ramses II. Miamun, der die Völker Baals besiegte und
einen Bund zwischen den Göttern beider Länder bewirkte. Den Gegensatz zu
Amon-Ra und Baal, zu Apis und Moloch, bildet die Idee und das Wort
Jehovas, wie es Mose verkündigte.

Bei Ramses wird die fortlaufende Geschichte Aegyptens abgebrochen. Mit
Mose läßt uns Ranke ans dem Nillande hinüberwandern nach dem gelobten
Lande Kanaan, und hier führt er uns eine Reihe politischer und religiöser
Typen vor, die mit größerer Wärme und Breite, als es sonst geschieht, aus¬
gearbeitet sind. Da ist "die große, unnahbare, in ihrer Art einzige, aber histo¬
risch doch sehr verständliche Gestalt" Sauls. "In seinem Kampfe mit Samuel
könnte man bereits den deutschen Kaiser im Gegensatze gegen das Papstthum
erkennen." Von den beiden nächsten Nachfolgern sind ihm der "kriegerische,
schwungvolle" David und "der friedliche, weise" Salomo Vorbilder für alle
Jahrhunderte. In Rehabeam und Jervbeam erscheint dann der Zwiespalt
zwischen neutraler Macht und provinzieller Unabhängigkeit, wie er sich unzäh¬
lige Male wiederholt hat.

Mit der Auflösung des Zwölfstämmereiches wendet sich Ranke zu den
Phöniziern und Assyriern. Bei Assur verweilt er länger. "Die wichtigste Ein¬
wirkung dieses Reiches auf die Welt möchte darin zu suchen sein, daß es die
localen Selbständigkeiten und die localen Dienste in Vorderasien einengte und
brach." Es war die erste erobernde Macht, der wir in der Weltgeschichte be-


Leopold von Railkes Weltgeschichte.

Wir lassen dahingestellt, ob eine solche Auffassung der Weltgeschichte richtig
und praktisch durchführbar ist. Es werden Bedenken mancherlei Art dagegen
laut, auf welche wir später zurückkommen werden. Sehen wir zunächst, wie
der Verfasser seiner Aufgabe für die Geschichte des Orients und Altgriechen¬
lands gerecht geworden ist.

Ranke beginnt mit den Vorstellungen über die göttlichen Dinge, „welche in
der ältesten Zeit mit den Antrieben des Lebens und dem Geiste der Landes¬
verfassung zusammenfallen, aber die Summe derselben erkennbarer, begreiflicher
ausdrücken, als es durch die Beschreibung der Zustände und Einrichtungen im
einzelnen geschehen könnte. Das Göttliche ist immer das Ideale, das den
Menschen vorleuchtet. Dem menschlichen Thun und Lassen wohnt zwar noch
eine ganz andere, auf die Bedingungen des realen Daseins gerichtete Tendenz
inne, aber es strebt doch unaufhörlich nach dem Göttlichen hin."

Im Vordergrunde stehen die drei verschiedenen Formen des menschlichen
Bewußtseins von den göttlichen Dingen. Sie knüpfen an die Namen Amon-
Ra, Baal und Jehova an. Alle drei Arten der Gottesverehrung finden wir,
sich nahe berührend, in dem wunderbaren Lande der Pyramiden, der Wiege
uralter Cultur. In großen Zügen entwirft uns Ranke ein Bild der ägyptischen
Geschichte bis auf Ramses II. Miamun, der die Völker Baals besiegte und
einen Bund zwischen den Göttern beider Länder bewirkte. Den Gegensatz zu
Amon-Ra und Baal, zu Apis und Moloch, bildet die Idee und das Wort
Jehovas, wie es Mose verkündigte.

Bei Ramses wird die fortlaufende Geschichte Aegyptens abgebrochen. Mit
Mose läßt uns Ranke ans dem Nillande hinüberwandern nach dem gelobten
Lande Kanaan, und hier führt er uns eine Reihe politischer und religiöser
Typen vor, die mit größerer Wärme und Breite, als es sonst geschieht, aus¬
gearbeitet sind. Da ist „die große, unnahbare, in ihrer Art einzige, aber histo¬
risch doch sehr verständliche Gestalt" Sauls. „In seinem Kampfe mit Samuel
könnte man bereits den deutschen Kaiser im Gegensatze gegen das Papstthum
erkennen." Von den beiden nächsten Nachfolgern sind ihm der „kriegerische,
schwungvolle" David und „der friedliche, weise" Salomo Vorbilder für alle
Jahrhunderte. In Rehabeam und Jervbeam erscheint dann der Zwiespalt
zwischen neutraler Macht und provinzieller Unabhängigkeit, wie er sich unzäh¬
lige Male wiederholt hat.

Mit der Auflösung des Zwölfstämmereiches wendet sich Ranke zu den
Phöniziern und Assyriern. Bei Assur verweilt er länger. „Die wichtigste Ein¬
wirkung dieses Reiches auf die Welt möchte darin zu suchen sein, daß es die
localen Selbständigkeiten und die localen Dienste in Vorderasien einengte und
brach." Es war die erste erobernde Macht, der wir in der Weltgeschichte be-


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[0052] Leopold von Railkes Weltgeschichte. Wir lassen dahingestellt, ob eine solche Auffassung der Weltgeschichte richtig und praktisch durchführbar ist. Es werden Bedenken mancherlei Art dagegen laut, auf welche wir später zurückkommen werden. Sehen wir zunächst, wie der Verfasser seiner Aufgabe für die Geschichte des Orients und Altgriechen¬ lands gerecht geworden ist. Ranke beginnt mit den Vorstellungen über die göttlichen Dinge, „welche in der ältesten Zeit mit den Antrieben des Lebens und dem Geiste der Landes¬ verfassung zusammenfallen, aber die Summe derselben erkennbarer, begreiflicher ausdrücken, als es durch die Beschreibung der Zustände und Einrichtungen im einzelnen geschehen könnte. Das Göttliche ist immer das Ideale, das den Menschen vorleuchtet. Dem menschlichen Thun und Lassen wohnt zwar noch eine ganz andere, auf die Bedingungen des realen Daseins gerichtete Tendenz inne, aber es strebt doch unaufhörlich nach dem Göttlichen hin." Im Vordergrunde stehen die drei verschiedenen Formen des menschlichen Bewußtseins von den göttlichen Dingen. Sie knüpfen an die Namen Amon- Ra, Baal und Jehova an. Alle drei Arten der Gottesverehrung finden wir, sich nahe berührend, in dem wunderbaren Lande der Pyramiden, der Wiege uralter Cultur. In großen Zügen entwirft uns Ranke ein Bild der ägyptischen Geschichte bis auf Ramses II. Miamun, der die Völker Baals besiegte und einen Bund zwischen den Göttern beider Länder bewirkte. Den Gegensatz zu Amon-Ra und Baal, zu Apis und Moloch, bildet die Idee und das Wort Jehovas, wie es Mose verkündigte. Bei Ramses wird die fortlaufende Geschichte Aegyptens abgebrochen. Mit Mose läßt uns Ranke ans dem Nillande hinüberwandern nach dem gelobten Lande Kanaan, und hier führt er uns eine Reihe politischer und religiöser Typen vor, die mit größerer Wärme und Breite, als es sonst geschieht, aus¬ gearbeitet sind. Da ist „die große, unnahbare, in ihrer Art einzige, aber histo¬ risch doch sehr verständliche Gestalt" Sauls. „In seinem Kampfe mit Samuel könnte man bereits den deutschen Kaiser im Gegensatze gegen das Papstthum erkennen." Von den beiden nächsten Nachfolgern sind ihm der „kriegerische, schwungvolle" David und „der friedliche, weise" Salomo Vorbilder für alle Jahrhunderte. In Rehabeam und Jervbeam erscheint dann der Zwiespalt zwischen neutraler Macht und provinzieller Unabhängigkeit, wie er sich unzäh¬ lige Male wiederholt hat. Mit der Auflösung des Zwölfstämmereiches wendet sich Ranke zu den Phöniziern und Assyriern. Bei Assur verweilt er länger. „Die wichtigste Ein¬ wirkung dieses Reiches auf die Welt möchte darin zu suchen sein, daß es die localen Selbständigkeiten und die localen Dienste in Vorderasien einengte und brach." Es war die erste erobernde Macht, der wir in der Weltgeschichte be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/52>, abgerufen am 29.05.2024.