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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Altenglische Dramatiker,

modernen Theater mehr nähere als irgend ein andres historisches Drama der alt¬
englischen Bühne. In der Gestalt der Katharina Gordon erscheint weibliche Treue
und Hingebung mit seelischer Tiefe in einer Weise verherrlicht, daß das Drama der
Zeit kau", ein zweites Beispiel dafiir bietet. Dem Stoffe des "Warbek" hat
bekanntlich auch Schiller (der Forts Drama nicht kannte) die dramatische Er¬
giebigkeit abgemerkt; den Plan zur englischen Prätendententragödie vertauschte
er späterhin mit dem Demetriusplan. Beim Herannahen der englischen Revo¬
lution verschwindet Fort im Dunkel; wenn die Ueberlieferung Thatsache ist, daß
er sich nach seinem Geburtsorte zurückgezogen und dort später verheiratet hat,
so gehört Fort zu den wenigen Dichtern der altenglischen Bühne, welche der
siegreiche Pnritanismus aus ihrer Thätigkeit und Entwicklung herausschreckte.

Sowohl Forts "Warbek" als die besten Werke Philipp Massingcrs legen
an den Tag, daß kurz vor der Zeit des gewaltsamen Untergangs des Theaters
die Schaffenskraft der Dichter nicht erschöpft und manche Richtung uoch unaus-
gelebt war, Massinger hat für die letzte Periode des altenglischen Dramas eine
ähnliche Bedeutung wie Marlowe für die erste. Beide können nicht mit Shake¬
speare verglichen werden, aber sie kommen ihm so nahe, wie das große und
Phantasiereiche Talent dem Genie überhaupt nahe kommen kann, Massinger lebte
bis 16M, er war der Lieblingsdichter König Karls I, und der erfolgreichste
Dramatiker im Jahrzehnt vor der Revolution, Man sollte darnach annehmen,
daß seine Erlebnisse uns genauer bekannt, seine Persönlichkeit uns vertrauter sein
müßte. Auch haben die Zeitgenossen gerade so viel Zeugnisse hinterlassen, daß
wir mit Sicherheit annehmen dürfen, der Dichter sei eine liebenswürdige, warm¬
herzige, durchaus wohlwollende Natur gewesen, der in den literarischen Kämpfen
der Zeit das seltne Glück hatte, ohne Neider und Feinde zu bleiben. Aber
Genaueres und das, was wir wünschen müßte", erfahren wir auch über ihn nicht.
Kein Dichterdaseiu jener Tage ist soweit aufgehellt, daß uns Leid und Freud
desselben, die Beziehungen zu Gönnern und Freunde, zu Hof und Publieum,
die Persönlichen Erlebnisse, welche in den Dichtungen nachklingen, ganz klar wären.
Gifford und Colonel Cuningham, die Nenherausgeber der Massingerschen Werke
(1805 und 1870) haben einige Daten festgestellt, einige ininderbedeutende bringt
auch die (Leipziger) Doctordissertation 0u?In1ix NWMMr von James Phelcm
(Halle, 1878), Darnach bleibt selbst das noch ungewiß, ob der Dramatiker
1584 in Salisbury oder in Wilton, dem Landsitz des Carl von Pembroke, ge¬
boren ist, in dessen Diensten Massingers Vater stand, "Die erste authentische
Nachricht, welche wir von dem Dichter nach seiner Geburt haben, ist seine Im-
matriculation im Se, Albans College in Oxford." Darnach taucht er unter den
Gelehrten und Schöngeistern von London empor, und seine Werke sind die


Altenglische Dramatiker,

modernen Theater mehr nähere als irgend ein andres historisches Drama der alt¬
englischen Bühne. In der Gestalt der Katharina Gordon erscheint weibliche Treue
und Hingebung mit seelischer Tiefe in einer Weise verherrlicht, daß das Drama der
Zeit kau», ein zweites Beispiel dafiir bietet. Dem Stoffe des „Warbek" hat
bekanntlich auch Schiller (der Forts Drama nicht kannte) die dramatische Er¬
giebigkeit abgemerkt; den Plan zur englischen Prätendententragödie vertauschte
er späterhin mit dem Demetriusplan. Beim Herannahen der englischen Revo¬
lution verschwindet Fort im Dunkel; wenn die Ueberlieferung Thatsache ist, daß
er sich nach seinem Geburtsorte zurückgezogen und dort später verheiratet hat,
so gehört Fort zu den wenigen Dichtern der altenglischen Bühne, welche der
siegreiche Pnritanismus aus ihrer Thätigkeit und Entwicklung herausschreckte.

Sowohl Forts „Warbek" als die besten Werke Philipp Massingcrs legen
an den Tag, daß kurz vor der Zeit des gewaltsamen Untergangs des Theaters
die Schaffenskraft der Dichter nicht erschöpft und manche Richtung uoch unaus-
gelebt war, Massinger hat für die letzte Periode des altenglischen Dramas eine
ähnliche Bedeutung wie Marlowe für die erste. Beide können nicht mit Shake¬
speare verglichen werden, aber sie kommen ihm so nahe, wie das große und
Phantasiereiche Talent dem Genie überhaupt nahe kommen kann, Massinger lebte
bis 16M, er war der Lieblingsdichter König Karls I, und der erfolgreichste
Dramatiker im Jahrzehnt vor der Revolution, Man sollte darnach annehmen,
daß seine Erlebnisse uns genauer bekannt, seine Persönlichkeit uns vertrauter sein
müßte. Auch haben die Zeitgenossen gerade so viel Zeugnisse hinterlassen, daß
wir mit Sicherheit annehmen dürfen, der Dichter sei eine liebenswürdige, warm¬
herzige, durchaus wohlwollende Natur gewesen, der in den literarischen Kämpfen
der Zeit das seltne Glück hatte, ohne Neider und Feinde zu bleiben. Aber
Genaueres und das, was wir wünschen müßte», erfahren wir auch über ihn nicht.
Kein Dichterdaseiu jener Tage ist soweit aufgehellt, daß uns Leid und Freud
desselben, die Beziehungen zu Gönnern und Freunde, zu Hof und Publieum,
die Persönlichen Erlebnisse, welche in den Dichtungen nachklingen, ganz klar wären.
Gifford und Colonel Cuningham, die Nenherausgeber der Massingerschen Werke
(1805 und 1870) haben einige Daten festgestellt, einige ininderbedeutende bringt
auch die (Leipziger) Doctordissertation 0u?In1ix NWMMr von James Phelcm
(Halle, 1878), Darnach bleibt selbst das noch ungewiß, ob der Dramatiker
1584 in Salisbury oder in Wilton, dem Landsitz des Carl von Pembroke, ge¬
boren ist, in dessen Diensten Massingers Vater stand, „Die erste authentische
Nachricht, welche wir von dem Dichter nach seiner Geburt haben, ist seine Im-
matriculation im Se, Albans College in Oxford." Darnach taucht er unter den
Gelehrten und Schöngeistern von London empor, und seine Werke sind die


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[0523] Altenglische Dramatiker, modernen Theater mehr nähere als irgend ein andres historisches Drama der alt¬ englischen Bühne. In der Gestalt der Katharina Gordon erscheint weibliche Treue und Hingebung mit seelischer Tiefe in einer Weise verherrlicht, daß das Drama der Zeit kau», ein zweites Beispiel dafiir bietet. Dem Stoffe des „Warbek" hat bekanntlich auch Schiller (der Forts Drama nicht kannte) die dramatische Er¬ giebigkeit abgemerkt; den Plan zur englischen Prätendententragödie vertauschte er späterhin mit dem Demetriusplan. Beim Herannahen der englischen Revo¬ lution verschwindet Fort im Dunkel; wenn die Ueberlieferung Thatsache ist, daß er sich nach seinem Geburtsorte zurückgezogen und dort später verheiratet hat, so gehört Fort zu den wenigen Dichtern der altenglischen Bühne, welche der siegreiche Pnritanismus aus ihrer Thätigkeit und Entwicklung herausschreckte. Sowohl Forts „Warbek" als die besten Werke Philipp Massingcrs legen an den Tag, daß kurz vor der Zeit des gewaltsamen Untergangs des Theaters die Schaffenskraft der Dichter nicht erschöpft und manche Richtung uoch unaus- gelebt war, Massinger hat für die letzte Periode des altenglischen Dramas eine ähnliche Bedeutung wie Marlowe für die erste. Beide können nicht mit Shake¬ speare verglichen werden, aber sie kommen ihm so nahe, wie das große und Phantasiereiche Talent dem Genie überhaupt nahe kommen kann, Massinger lebte bis 16M, er war der Lieblingsdichter König Karls I, und der erfolgreichste Dramatiker im Jahrzehnt vor der Revolution, Man sollte darnach annehmen, daß seine Erlebnisse uns genauer bekannt, seine Persönlichkeit uns vertrauter sein müßte. Auch haben die Zeitgenossen gerade so viel Zeugnisse hinterlassen, daß wir mit Sicherheit annehmen dürfen, der Dichter sei eine liebenswürdige, warm¬ herzige, durchaus wohlwollende Natur gewesen, der in den literarischen Kämpfen der Zeit das seltne Glück hatte, ohne Neider und Feinde zu bleiben. Aber Genaueres und das, was wir wünschen müßte», erfahren wir auch über ihn nicht. Kein Dichterdaseiu jener Tage ist soweit aufgehellt, daß uns Leid und Freud desselben, die Beziehungen zu Gönnern und Freunde, zu Hof und Publieum, die Persönlichen Erlebnisse, welche in den Dichtungen nachklingen, ganz klar wären. Gifford und Colonel Cuningham, die Nenherausgeber der Massingerschen Werke (1805 und 1870) haben einige Daten festgestellt, einige ininderbedeutende bringt auch die (Leipziger) Doctordissertation 0u?In1ix NWMMr von James Phelcm (Halle, 1878), Darnach bleibt selbst das noch ungewiß, ob der Dramatiker 1584 in Salisbury oder in Wilton, dem Landsitz des Carl von Pembroke, ge¬ boren ist, in dessen Diensten Massingers Vater stand, „Die erste authentische Nachricht, welche wir von dem Dichter nach seiner Geburt haben, ist seine Im- matriculation im Se, Albans College in Oxford." Darnach taucht er unter den Gelehrten und Schöngeistern von London empor, und seine Werke sind die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/523>, abgerufen am 14.05.2024.