Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kmsermord in Petersburg.

lassen. Auch hier wird das wahre Bedürfniß Rußlands, wenn es erkannt wird,
den Ausschlag geben; denn der Kaiser wird dann stark genug sein, panslavistischen
Agitationen Widerstand zu leiste" und über sie hinwegzugehen.

Aehnliches laßt sich endlich auch auf die Stellung anwenden, die der neue
Zar zu Deutschland einnehmen dürfte. Auch hier wird er vermuthlich ein andrer
sein als er als Zarewitsch war oder zu sein schien. Seine Gemahlin ist eine
Darin, die sich mit der Eroberung Schleswigs durch Deutschland vor einiger
Zeit noch nicht versöhnt hatte. Man erzählte in den ersten siebziger Jahren, daß
der Hof des Großfürsten-Thronfolgers den Kaiser dränge, in Berlin eine Rückgabe
Nordschleswigs anzuregen. Man bezeichnete den Zarewitsch als mit der deutsch¬
feindlichen Panslavistenpartei im Bunde oder ihr doch nicht abgeneigt. Das kann
wahr gewesen sein, aber auch nnr so ausgesehen haben. Die Regel, daß Thron¬
folger, um der Dynastie nicht zu schaden, eine Stellung einnehmen, in der sie mit
einer Partei einverstanden zu sein scheinen, welche andre Zwecke im Ange und andere
freunde und Feinde hat als die Regierung, könnte auch hier Geltung gehabt haben.

Wie der Zarewitsch wirklich gedacht hat, wissen wir nicht. Als Fingerzeig für
seine damalige Stimmung könnte vielleicht -- wir sagen vielleicht -- folgendes
dienen, was im Jahre 1871 gerüchtweise erzählt wurde. Als der Kaiser Alexander
beim Galadiner des Georgsfestes (8. Decbr.) nach starker Betonung seiner Freund¬
schaft für Preußen gesagt hatte, er wünsche und hoffe, daß spätere Generationen
diese Gefühle auch haben möchten, sollte der Großfürst-Thronfolger zu seinen
preußischen Nachbarn an der Tafel bemerkt haben: vivu vsuills aus eslg. 8s tÄsss!

Hoffen wir, daß dieser Wunsch sich inzwischen, wenn es überhaupt noth
gethan haben sollte, an dem Wünschenden selbst erfüllt hat. Die Umstände, die
Thatsachen sollten dasür sprechen. Sympathien und Antipathien sollten vor
den Interessen zurücktreten, und die wahren Interessen Rußlands weisen auf ein
freundnachbnrlicheS Verhältniß desselben zu Deutschland und zu dem mit diesem
innig und fest verbundnen Oesterreich-Ungarn, Staaten, in denen die Monarchie
noch feste Wurzeln hat, und nicht auf das republicanische Frankreich hin, in
welchem der Nihilismus aus der Verschmelzung des staatlichen und gesellschaft¬
lichen Radicalismus entstanden ist. in welchem ein verwandter Wahnsinn 1871
zehn Wochen in der Hauptstadt gebot und Greuel auf Greuel häufte, welches
im Laufe von achtzig Jahren einen seiner Monarchen aufs Schaffot und zwei
ins Exil schickte, und welches, wenn nicht alle Anzeichen trügen, über kurz oder
lang in Paris wieder die rothe Fahne aufhissen wird und dann vielleicht zum
Kriege gegen die europäischen Monarchien. Wenn das in dem nnn maßgeben¬
den Kreisen Petersburgs noch nicht erkannt sein sollte, so bleibt uns nur übrig,
das fürstliche Wort von 1871 hierauf anzuwenden: visu veuille aus ella lÄssy!


Grenzboten I. 1881. 71
Der Kmsermord in Petersburg.

lassen. Auch hier wird das wahre Bedürfniß Rußlands, wenn es erkannt wird,
den Ausschlag geben; denn der Kaiser wird dann stark genug sein, panslavistischen
Agitationen Widerstand zu leiste» und über sie hinwegzugehen.

Aehnliches laßt sich endlich auch auf die Stellung anwenden, die der neue
Zar zu Deutschland einnehmen dürfte. Auch hier wird er vermuthlich ein andrer
sein als er als Zarewitsch war oder zu sein schien. Seine Gemahlin ist eine
Darin, die sich mit der Eroberung Schleswigs durch Deutschland vor einiger
Zeit noch nicht versöhnt hatte. Man erzählte in den ersten siebziger Jahren, daß
der Hof des Großfürsten-Thronfolgers den Kaiser dränge, in Berlin eine Rückgabe
Nordschleswigs anzuregen. Man bezeichnete den Zarewitsch als mit der deutsch¬
feindlichen Panslavistenpartei im Bunde oder ihr doch nicht abgeneigt. Das kann
wahr gewesen sein, aber auch nnr so ausgesehen haben. Die Regel, daß Thron¬
folger, um der Dynastie nicht zu schaden, eine Stellung einnehmen, in der sie mit
einer Partei einverstanden zu sein scheinen, welche andre Zwecke im Ange und andere
freunde und Feinde hat als die Regierung, könnte auch hier Geltung gehabt haben.

Wie der Zarewitsch wirklich gedacht hat, wissen wir nicht. Als Fingerzeig für
seine damalige Stimmung könnte vielleicht — wir sagen vielleicht — folgendes
dienen, was im Jahre 1871 gerüchtweise erzählt wurde. Als der Kaiser Alexander
beim Galadiner des Georgsfestes (8. Decbr.) nach starker Betonung seiner Freund¬
schaft für Preußen gesagt hatte, er wünsche und hoffe, daß spätere Generationen
diese Gefühle auch haben möchten, sollte der Großfürst-Thronfolger zu seinen
preußischen Nachbarn an der Tafel bemerkt haben: vivu vsuills aus eslg. 8s tÄsss!

Hoffen wir, daß dieser Wunsch sich inzwischen, wenn es überhaupt noth
gethan haben sollte, an dem Wünschenden selbst erfüllt hat. Die Umstände, die
Thatsachen sollten dasür sprechen. Sympathien und Antipathien sollten vor
den Interessen zurücktreten, und die wahren Interessen Rußlands weisen auf ein
freundnachbnrlicheS Verhältniß desselben zu Deutschland und zu dem mit diesem
innig und fest verbundnen Oesterreich-Ungarn, Staaten, in denen die Monarchie
noch feste Wurzeln hat, und nicht auf das republicanische Frankreich hin, in
welchem der Nihilismus aus der Verschmelzung des staatlichen und gesellschaft¬
lichen Radicalismus entstanden ist. in welchem ein verwandter Wahnsinn 1871
zehn Wochen in der Hauptstadt gebot und Greuel auf Greuel häufte, welches
im Laufe von achtzig Jahren einen seiner Monarchen aufs Schaffot und zwei
ins Exil schickte, und welches, wenn nicht alle Anzeichen trügen, über kurz oder
lang in Paris wieder die rothe Fahne aufhissen wird und dann vielleicht zum
Kriege gegen die europäischen Monarchien. Wenn das in dem nnn maßgeben¬
den Kreisen Petersburgs noch nicht erkannt sein sollte, so bleibt uns nur übrig,
das fürstliche Wort von 1871 hierauf anzuwenden: visu veuille aus ella lÄssy!


Grenzboten I. 1881. 71
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0545" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/149529"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kmsermord in Petersburg.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1524" prev="#ID_1523"> lassen. Auch hier wird das wahre Bedürfniß Rußlands, wenn es erkannt wird,<lb/>
den Ausschlag geben; denn der Kaiser wird dann stark genug sein, panslavistischen<lb/>
Agitationen Widerstand zu leiste» und über sie hinwegzugehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1525"> Aehnliches laßt sich endlich auch auf die Stellung anwenden, die der neue<lb/>
Zar zu Deutschland einnehmen dürfte. Auch hier wird er vermuthlich ein andrer<lb/>
sein als er als Zarewitsch war oder zu sein schien. Seine Gemahlin ist eine<lb/>
Darin, die sich mit der Eroberung Schleswigs durch Deutschland vor einiger<lb/>
Zeit noch nicht versöhnt hatte. Man erzählte in den ersten siebziger Jahren, daß<lb/>
der Hof des Großfürsten-Thronfolgers den Kaiser dränge, in Berlin eine Rückgabe<lb/>
Nordschleswigs anzuregen. Man bezeichnete den Zarewitsch als mit der deutsch¬<lb/>
feindlichen Panslavistenpartei im Bunde oder ihr doch nicht abgeneigt. Das kann<lb/>
wahr gewesen sein, aber auch nnr so ausgesehen haben. Die Regel, daß Thron¬<lb/>
folger, um der Dynastie nicht zu schaden, eine Stellung einnehmen, in der sie mit<lb/>
einer Partei einverstanden zu sein scheinen, welche andre Zwecke im Ange und andere<lb/>
freunde und Feinde hat als die Regierung, könnte auch hier Geltung gehabt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1526"> Wie der Zarewitsch wirklich gedacht hat, wissen wir nicht. Als Fingerzeig für<lb/>
seine damalige Stimmung könnte vielleicht &#x2014; wir sagen vielleicht &#x2014; folgendes<lb/>
dienen, was im Jahre 1871 gerüchtweise erzählt wurde. Als der Kaiser Alexander<lb/>
beim Galadiner des Georgsfestes (8. Decbr.) nach starker Betonung seiner Freund¬<lb/>
schaft für Preußen gesagt hatte, er wünsche und hoffe, daß spätere Generationen<lb/>
diese Gefühle auch haben möchten, sollte der Großfürst-Thronfolger zu seinen<lb/>
preußischen Nachbarn an der Tafel bemerkt haben: vivu vsuills aus eslg. 8s tÄsss!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1527"> Hoffen wir, daß dieser Wunsch sich inzwischen, wenn es überhaupt noth<lb/>
gethan haben sollte, an dem Wünschenden selbst erfüllt hat. Die Umstände, die<lb/>
Thatsachen sollten dasür sprechen. Sympathien und Antipathien sollten vor<lb/>
den Interessen zurücktreten, und die wahren Interessen Rußlands weisen auf ein<lb/>
freundnachbnrlicheS Verhältniß desselben zu Deutschland und zu dem mit diesem<lb/>
innig und fest verbundnen Oesterreich-Ungarn, Staaten, in denen die Monarchie<lb/>
noch feste Wurzeln hat, und nicht auf das republicanische Frankreich hin, in<lb/>
welchem der Nihilismus aus der Verschmelzung des staatlichen und gesellschaft¬<lb/>
lichen Radicalismus entstanden ist. in welchem ein verwandter Wahnsinn 1871<lb/>
zehn Wochen in der Hauptstadt gebot und Greuel auf Greuel häufte, welches<lb/>
im Laufe von achtzig Jahren einen seiner Monarchen aufs Schaffot und zwei<lb/>
ins Exil schickte, und welches, wenn nicht alle Anzeichen trügen, über kurz oder<lb/>
lang in Paris wieder die rothe Fahne aufhissen wird und dann vielleicht zum<lb/>
Kriege gegen die europäischen Monarchien. Wenn das in dem nnn maßgeben¬<lb/>
den Kreisen Petersburgs noch nicht erkannt sein sollte, so bleibt uns nur übrig,<lb/>
das fürstliche Wort von 1871 hierauf anzuwenden: visu veuille aus ella lÄssy!</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1881. 71</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0545] Der Kmsermord in Petersburg. lassen. Auch hier wird das wahre Bedürfniß Rußlands, wenn es erkannt wird, den Ausschlag geben; denn der Kaiser wird dann stark genug sein, panslavistischen Agitationen Widerstand zu leiste» und über sie hinwegzugehen. Aehnliches laßt sich endlich auch auf die Stellung anwenden, die der neue Zar zu Deutschland einnehmen dürfte. Auch hier wird er vermuthlich ein andrer sein als er als Zarewitsch war oder zu sein schien. Seine Gemahlin ist eine Darin, die sich mit der Eroberung Schleswigs durch Deutschland vor einiger Zeit noch nicht versöhnt hatte. Man erzählte in den ersten siebziger Jahren, daß der Hof des Großfürsten-Thronfolgers den Kaiser dränge, in Berlin eine Rückgabe Nordschleswigs anzuregen. Man bezeichnete den Zarewitsch als mit der deutsch¬ feindlichen Panslavistenpartei im Bunde oder ihr doch nicht abgeneigt. Das kann wahr gewesen sein, aber auch nnr so ausgesehen haben. Die Regel, daß Thron¬ folger, um der Dynastie nicht zu schaden, eine Stellung einnehmen, in der sie mit einer Partei einverstanden zu sein scheinen, welche andre Zwecke im Ange und andere freunde und Feinde hat als die Regierung, könnte auch hier Geltung gehabt haben. Wie der Zarewitsch wirklich gedacht hat, wissen wir nicht. Als Fingerzeig für seine damalige Stimmung könnte vielleicht — wir sagen vielleicht — folgendes dienen, was im Jahre 1871 gerüchtweise erzählt wurde. Als der Kaiser Alexander beim Galadiner des Georgsfestes (8. Decbr.) nach starker Betonung seiner Freund¬ schaft für Preußen gesagt hatte, er wünsche und hoffe, daß spätere Generationen diese Gefühle auch haben möchten, sollte der Großfürst-Thronfolger zu seinen preußischen Nachbarn an der Tafel bemerkt haben: vivu vsuills aus eslg. 8s tÄsss! Hoffen wir, daß dieser Wunsch sich inzwischen, wenn es überhaupt noth gethan haben sollte, an dem Wünschenden selbst erfüllt hat. Die Umstände, die Thatsachen sollten dasür sprechen. Sympathien und Antipathien sollten vor den Interessen zurücktreten, und die wahren Interessen Rußlands weisen auf ein freundnachbnrlicheS Verhältniß desselben zu Deutschland und zu dem mit diesem innig und fest verbundnen Oesterreich-Ungarn, Staaten, in denen die Monarchie noch feste Wurzeln hat, und nicht auf das republicanische Frankreich hin, in welchem der Nihilismus aus der Verschmelzung des staatlichen und gesellschaft¬ lichen Radicalismus entstanden ist. in welchem ein verwandter Wahnsinn 1871 zehn Wochen in der Hauptstadt gebot und Greuel auf Greuel häufte, welches im Laufe von achtzig Jahren einen seiner Monarchen aufs Schaffot und zwei ins Exil schickte, und welches, wenn nicht alle Anzeichen trügen, über kurz oder lang in Paris wieder die rothe Fahne aufhissen wird und dann vielleicht zum Kriege gegen die europäischen Monarchien. Wenn das in dem nnn maßgeben¬ den Kreisen Petersburgs noch nicht erkannt sein sollte, so bleibt uns nur übrig, das fürstliche Wort von 1871 hierauf anzuwenden: visu veuille aus ella lÄssy! Grenzboten I. 1881. 71

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/545
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/545>, abgerufen am 13.05.2024.