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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Leopold von Rankes Weltgeschichte.

und Blut geworden sind. Endlich zeigt aber auch die Darstellung eine Kühle,
die gelegentlich bis zur Kälte sich steigert. Thaten, die bisher mit Vorliebe
erzählt und als vorleuchtend gefeiert worden sind, werden mit dürren Worten
abgethan. "Bei den Thermopylen, erzählt Ranke (II, 229), bewiesen die Spar¬
taner eine innerhalb der Schranken der Gesetze beharrende Tapferkeit, welche
das Muster für alle folgenden Jahrhunderte geworden ist, aber der Menge
der Feinde und dem Verrathe, der auch an dieser Stelle nicht fehlte, fielen sie
zum Opfer." -- I, 90 werden die Folgen der Schlacht von Kunaxa auseinander¬
gesetzt. "Unter der Leitung des Atheniensers Xenophon führten nun die Grie¬
chen jenen Rückzug der lOOOO aus, der in der Kriegsgefchichte unsterblich ist."
Noch ein paar kurze Sätze, und damit ist solch ein Ereigniß abgethan!

Diese Beispiele werden genügen, um zu beweisen, daß, wenn Goethes Wort
richtig ist, daß das Beste, was wir von der Geschichte haben, der Enthusias¬
mus ist, den sie erregt, der Verfasser der vorliegenden Weltgeschichte weit ent¬
fernt davon ist, auf eine solche Empfindung hinarbeiten zu wollen. Durch deu
Hinblick auf das Allgemeine schädigt er entschieden das Interesse!für das Be¬
sondere. Die einzelnen Völker als Individuen leiden darunter. An einer Stelle
(I, 375) sucht sich Ranke selbst deshalb zu rechtfertigen. "In einer universal¬
historischen Betrachtung, sagt er, darf manche für das Ganze nicht entscheidende
Bewegung übergangen werden, und es muß sogar, aber die Cultur, welche Ge¬
meingut andrer Nationen und der folgenden Jahrhunderte geworden ist, wird
man um so größrer Aufmerksamkeit würdigen." In der That verweilt Ranke
längere Zeit bei den Philosophen und den Tragikern. Aber wir vermissen die
Elegiker, die Lyriker, die Dichter der Komödie. Und doch sind diese für die
Erkenntniß der Cultur wie des politischen Lebens der Griechen wichtig genug.
Uuverhältnißmäßig wenig Raum ist auch der Kunst eingeräumt; nur hie und
da eine gelegentliche Bemerkung. Legt Ranke so hohen Werth auf die Ent¬
wicklung des geistigen Lebens, warum schließt er das künstlerische fast ganz aus?
Und wo bleibt endlich die Darstellung der Entwicklung der technischen Geschick-
lichkeit, der nationalen Wirthschaft, des Fortschrittes der Entdeckungen und Er¬
findungen? Nichts oder doch nur sehr wenig von alledem lesen wir in dieser
neuesten Weltgeschichte. Der Hauptfehler des Buches liegt nach unserm Dafür¬
halten darin, daß es die Geschichte nicht vielseitig genug behandelt, daß es die
Ereignisse selbst weniger erzählt als kritisirt, daß es endlich die Bedürfnisse
seiner Leser nicht genügend berücksichtigt.

Wir sind weit erntfernt davon, Rankes Verdienste schmälern zu wollen.
Er gilt uns so hoch als irgend einer. Wenn wie trotzdem sein neuestes Werk
nicht mit der gleichen Bewunderung begrüßen wir seine allseitig anerkannten
frühern, so geschieht dies, weil wir an jedes Werk Rankes die höchsten An-


Leopold von Rankes Weltgeschichte.

und Blut geworden sind. Endlich zeigt aber auch die Darstellung eine Kühle,
die gelegentlich bis zur Kälte sich steigert. Thaten, die bisher mit Vorliebe
erzählt und als vorleuchtend gefeiert worden sind, werden mit dürren Worten
abgethan. „Bei den Thermopylen, erzählt Ranke (II, 229), bewiesen die Spar¬
taner eine innerhalb der Schranken der Gesetze beharrende Tapferkeit, welche
das Muster für alle folgenden Jahrhunderte geworden ist, aber der Menge
der Feinde und dem Verrathe, der auch an dieser Stelle nicht fehlte, fielen sie
zum Opfer." — I, 90 werden die Folgen der Schlacht von Kunaxa auseinander¬
gesetzt. „Unter der Leitung des Atheniensers Xenophon führten nun die Grie¬
chen jenen Rückzug der lOOOO aus, der in der Kriegsgefchichte unsterblich ist."
Noch ein paar kurze Sätze, und damit ist solch ein Ereigniß abgethan!

Diese Beispiele werden genügen, um zu beweisen, daß, wenn Goethes Wort
richtig ist, daß das Beste, was wir von der Geschichte haben, der Enthusias¬
mus ist, den sie erregt, der Verfasser der vorliegenden Weltgeschichte weit ent¬
fernt davon ist, auf eine solche Empfindung hinarbeiten zu wollen. Durch deu
Hinblick auf das Allgemeine schädigt er entschieden das Interesse!für das Be¬
sondere. Die einzelnen Völker als Individuen leiden darunter. An einer Stelle
(I, 375) sucht sich Ranke selbst deshalb zu rechtfertigen. „In einer universal¬
historischen Betrachtung, sagt er, darf manche für das Ganze nicht entscheidende
Bewegung übergangen werden, und es muß sogar, aber die Cultur, welche Ge¬
meingut andrer Nationen und der folgenden Jahrhunderte geworden ist, wird
man um so größrer Aufmerksamkeit würdigen." In der That verweilt Ranke
längere Zeit bei den Philosophen und den Tragikern. Aber wir vermissen die
Elegiker, die Lyriker, die Dichter der Komödie. Und doch sind diese für die
Erkenntniß der Cultur wie des politischen Lebens der Griechen wichtig genug.
Uuverhältnißmäßig wenig Raum ist auch der Kunst eingeräumt; nur hie und
da eine gelegentliche Bemerkung. Legt Ranke so hohen Werth auf die Ent¬
wicklung des geistigen Lebens, warum schließt er das künstlerische fast ganz aus?
Und wo bleibt endlich die Darstellung der Entwicklung der technischen Geschick-
lichkeit, der nationalen Wirthschaft, des Fortschrittes der Entdeckungen und Er¬
findungen? Nichts oder doch nur sehr wenig von alledem lesen wir in dieser
neuesten Weltgeschichte. Der Hauptfehler des Buches liegt nach unserm Dafür¬
halten darin, daß es die Geschichte nicht vielseitig genug behandelt, daß es die
Ereignisse selbst weniger erzählt als kritisirt, daß es endlich die Bedürfnisse
seiner Leser nicht genügend berücksichtigt.

Wir sind weit erntfernt davon, Rankes Verdienste schmälern zu wollen.
Er gilt uns so hoch als irgend einer. Wenn wie trotzdem sein neuestes Werk
nicht mit der gleichen Bewunderung begrüßen wir seine allseitig anerkannten
frühern, so geschieht dies, weil wir an jedes Werk Rankes die höchsten An-


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[0056] Leopold von Rankes Weltgeschichte. und Blut geworden sind. Endlich zeigt aber auch die Darstellung eine Kühle, die gelegentlich bis zur Kälte sich steigert. Thaten, die bisher mit Vorliebe erzählt und als vorleuchtend gefeiert worden sind, werden mit dürren Worten abgethan. „Bei den Thermopylen, erzählt Ranke (II, 229), bewiesen die Spar¬ taner eine innerhalb der Schranken der Gesetze beharrende Tapferkeit, welche das Muster für alle folgenden Jahrhunderte geworden ist, aber der Menge der Feinde und dem Verrathe, der auch an dieser Stelle nicht fehlte, fielen sie zum Opfer." — I, 90 werden die Folgen der Schlacht von Kunaxa auseinander¬ gesetzt. „Unter der Leitung des Atheniensers Xenophon führten nun die Grie¬ chen jenen Rückzug der lOOOO aus, der in der Kriegsgefchichte unsterblich ist." Noch ein paar kurze Sätze, und damit ist solch ein Ereigniß abgethan! Diese Beispiele werden genügen, um zu beweisen, daß, wenn Goethes Wort richtig ist, daß das Beste, was wir von der Geschichte haben, der Enthusias¬ mus ist, den sie erregt, der Verfasser der vorliegenden Weltgeschichte weit ent¬ fernt davon ist, auf eine solche Empfindung hinarbeiten zu wollen. Durch deu Hinblick auf das Allgemeine schädigt er entschieden das Interesse!für das Be¬ sondere. Die einzelnen Völker als Individuen leiden darunter. An einer Stelle (I, 375) sucht sich Ranke selbst deshalb zu rechtfertigen. „In einer universal¬ historischen Betrachtung, sagt er, darf manche für das Ganze nicht entscheidende Bewegung übergangen werden, und es muß sogar, aber die Cultur, welche Ge¬ meingut andrer Nationen und der folgenden Jahrhunderte geworden ist, wird man um so größrer Aufmerksamkeit würdigen." In der That verweilt Ranke längere Zeit bei den Philosophen und den Tragikern. Aber wir vermissen die Elegiker, die Lyriker, die Dichter der Komödie. Und doch sind diese für die Erkenntniß der Cultur wie des politischen Lebens der Griechen wichtig genug. Uuverhältnißmäßig wenig Raum ist auch der Kunst eingeräumt; nur hie und da eine gelegentliche Bemerkung. Legt Ranke so hohen Werth auf die Ent¬ wicklung des geistigen Lebens, warum schließt er das künstlerische fast ganz aus? Und wo bleibt endlich die Darstellung der Entwicklung der technischen Geschick- lichkeit, der nationalen Wirthschaft, des Fortschrittes der Entdeckungen und Er¬ findungen? Nichts oder doch nur sehr wenig von alledem lesen wir in dieser neuesten Weltgeschichte. Der Hauptfehler des Buches liegt nach unserm Dafür¬ halten darin, daß es die Geschichte nicht vielseitig genug behandelt, daß es die Ereignisse selbst weniger erzählt als kritisirt, daß es endlich die Bedürfnisse seiner Leser nicht genügend berücksichtigt. Wir sind weit erntfernt davon, Rankes Verdienste schmälern zu wollen. Er gilt uns so hoch als irgend einer. Wenn wie trotzdem sein neuestes Werk nicht mit der gleichen Bewunderung begrüßen wir seine allseitig anerkannten frühern, so geschieht dies, weil wir an jedes Werk Rankes die höchsten An-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/56>, abgerufen am 16.05.2024.