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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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sprachlich? Neubildungen,

seil?, die neue Wörter hervortreiben, auch alte Dinge fordern oft neue Bezeich¬
nungen, Wie das möglich ist? Sehr einfach, Wörter sind wie Münzen im
Verkehr; sie greifen sich im Laufe der Zeit ab und verlieren ihr scharfes Gepräge,
Ist dieser Vorgang so weit fortgeschritten, daß das Gepräge beinahe unkenntlich
geworden ist, so entsteht von selbst das Befürfniß, die abgenutzten Wörter gegen
neue einzutauschen. Und wie bei abgegriffnen Münzen leicht Täuschungen ent¬
stehen, so anch bei vielbenutzteu Wörtern; sehr leicht verschiebt sich nämlich ihre
ursprüngliche Bedeutung, Hat sich aber eine solche Verschiebung vollzogen, dann
ist für den alten Begriff, der dnrch das alte Wort nun nicht mehr völlig gedeckt
wird, gleichfalls ein neues Wort nöthig. In vielen Füllen büßen die Wörter,
ebenso wie die Münzen, durch den fortwährenden Gebrauch geradezu an Werth
ein, sie erhalten einen niedrigen, gemeinen Ncbcnsinn, Ueber diese weit ver¬
breitete Erscheinung, die namentlich im Deutschen stark ausgebildet ist, hat Reinhold
Bechstein einmal einen interessanten und lehrreichen Aufsatz geschrieben (in Pfeiffers
"Germania", 1863), Er bezeichnet diese Neigung, den ursprünglichen Sinn der
Wörter zu verschlechtern, als den "pessimistischen Zug" der Sprache und zeigt,
welch eine Masse von Wörtern widerstandslos in diese Strömung hineinge-
rathen ist. Man denke an Wörter wie Pfaffe, Bauer, Schulmeister, Komödiant,
Literat, Magd, Dirne und Mensch (das Mensch, Küchenmensch, Kammcrmensch),
Elend, Schimpf, Hvffarth, Gift, List, gemein, schlecht, frech, erbärmlich. Ihnen
allen ist von Hause aus der verächtliche Nebcnsinn fremd, der im Laufe der Zeit
in sie hineingelegt wurde. Sobald sie aber einmal damit behaftet waren, mußten
sie, wenn der frühere Sinn ohne Beigeschmack wieder zum Ausdruck kommen
sollte, dnrch andre Wörter ersetzt werden. So wurden sie verdrängt durch Geist¬
licher, Landmann, Lehrer, Schauspieler, Schriftsteller, Mädchen, Fremde, Scherz,
Hochherzigkeit, Gabe, Klugheit, allgemein, schlicht, kühn, barmherzig.

Die andre Forderung, die man doch wohl an ein neu aufkommendes Wort
stellen darf, ist die, daß es regelrecht, gesetzmäßig, nach richtiger Analogie gebildet
sei und daß es mit einleuchtender Deutlichkeit wirklich das ausdrücke, was es aus¬
zudrücken vorgiebt. Diese Forderung ist so wesentlich, daß wir, wo sie erfüllt
ist, selbst davon absehen, die Bedürfnißfrage zu betonen. Verrath sich in einem
neu gebildeten Worte ein besonders geschickter Griff, zeigt es etwas besonders
schlagendes, zwingendes, überzeugendes, eine besonders plastische Anschaulichkeit,
überdies vielleicht verbunden mit gefälligem Klang, so heißen wir es auch dann
willkommen, wenn es überflüssig ist; wir lassen es uns als eine glückliche Be¬
reicherung unsers Wortvorrathes gefallen und haben unsre Freude dran.

Prüfen wir die oben zusmumengestelltcu Beispiele an diesen Forderungen, so
können wir nicht leugnen, daß die meisten von ihnen sie erfüllen. Bleibt auch schließ-


sprachlich? Neubildungen,

seil?, die neue Wörter hervortreiben, auch alte Dinge fordern oft neue Bezeich¬
nungen, Wie das möglich ist? Sehr einfach, Wörter sind wie Münzen im
Verkehr; sie greifen sich im Laufe der Zeit ab und verlieren ihr scharfes Gepräge,
Ist dieser Vorgang so weit fortgeschritten, daß das Gepräge beinahe unkenntlich
geworden ist, so entsteht von selbst das Befürfniß, die abgenutzten Wörter gegen
neue einzutauschen. Und wie bei abgegriffnen Münzen leicht Täuschungen ent¬
stehen, so anch bei vielbenutzteu Wörtern; sehr leicht verschiebt sich nämlich ihre
ursprüngliche Bedeutung, Hat sich aber eine solche Verschiebung vollzogen, dann
ist für den alten Begriff, der dnrch das alte Wort nun nicht mehr völlig gedeckt
wird, gleichfalls ein neues Wort nöthig. In vielen Füllen büßen die Wörter,
ebenso wie die Münzen, durch den fortwährenden Gebrauch geradezu an Werth
ein, sie erhalten einen niedrigen, gemeinen Ncbcnsinn, Ueber diese weit ver¬
breitete Erscheinung, die namentlich im Deutschen stark ausgebildet ist, hat Reinhold
Bechstein einmal einen interessanten und lehrreichen Aufsatz geschrieben (in Pfeiffers
„Germania", 1863), Er bezeichnet diese Neigung, den ursprünglichen Sinn der
Wörter zu verschlechtern, als den „pessimistischen Zug" der Sprache und zeigt,
welch eine Masse von Wörtern widerstandslos in diese Strömung hineinge-
rathen ist. Man denke an Wörter wie Pfaffe, Bauer, Schulmeister, Komödiant,
Literat, Magd, Dirne und Mensch (das Mensch, Küchenmensch, Kammcrmensch),
Elend, Schimpf, Hvffarth, Gift, List, gemein, schlecht, frech, erbärmlich. Ihnen
allen ist von Hause aus der verächtliche Nebcnsinn fremd, der im Laufe der Zeit
in sie hineingelegt wurde. Sobald sie aber einmal damit behaftet waren, mußten
sie, wenn der frühere Sinn ohne Beigeschmack wieder zum Ausdruck kommen
sollte, dnrch andre Wörter ersetzt werden. So wurden sie verdrängt durch Geist¬
licher, Landmann, Lehrer, Schauspieler, Schriftsteller, Mädchen, Fremde, Scherz,
Hochherzigkeit, Gabe, Klugheit, allgemein, schlicht, kühn, barmherzig.

Die andre Forderung, die man doch wohl an ein neu aufkommendes Wort
stellen darf, ist die, daß es regelrecht, gesetzmäßig, nach richtiger Analogie gebildet
sei und daß es mit einleuchtender Deutlichkeit wirklich das ausdrücke, was es aus¬
zudrücken vorgiebt. Diese Forderung ist so wesentlich, daß wir, wo sie erfüllt
ist, selbst davon absehen, die Bedürfnißfrage zu betonen. Verrath sich in einem
neu gebildeten Worte ein besonders geschickter Griff, zeigt es etwas besonders
schlagendes, zwingendes, überzeugendes, eine besonders plastische Anschaulichkeit,
überdies vielleicht verbunden mit gefälligem Klang, so heißen wir es auch dann
willkommen, wenn es überflüssig ist; wir lassen es uns als eine glückliche Be¬
reicherung unsers Wortvorrathes gefallen und haben unsre Freude dran.

Prüfen wir die oben zusmumengestelltcu Beispiele an diesen Forderungen, so
können wir nicht leugnen, daß die meisten von ihnen sie erfüllen. Bleibt auch schließ-


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[0577] sprachlich? Neubildungen, seil?, die neue Wörter hervortreiben, auch alte Dinge fordern oft neue Bezeich¬ nungen, Wie das möglich ist? Sehr einfach, Wörter sind wie Münzen im Verkehr; sie greifen sich im Laufe der Zeit ab und verlieren ihr scharfes Gepräge, Ist dieser Vorgang so weit fortgeschritten, daß das Gepräge beinahe unkenntlich geworden ist, so entsteht von selbst das Befürfniß, die abgenutzten Wörter gegen neue einzutauschen. Und wie bei abgegriffnen Münzen leicht Täuschungen ent¬ stehen, so anch bei vielbenutzteu Wörtern; sehr leicht verschiebt sich nämlich ihre ursprüngliche Bedeutung, Hat sich aber eine solche Verschiebung vollzogen, dann ist für den alten Begriff, der dnrch das alte Wort nun nicht mehr völlig gedeckt wird, gleichfalls ein neues Wort nöthig. In vielen Füllen büßen die Wörter, ebenso wie die Münzen, durch den fortwährenden Gebrauch geradezu an Werth ein, sie erhalten einen niedrigen, gemeinen Ncbcnsinn, Ueber diese weit ver¬ breitete Erscheinung, die namentlich im Deutschen stark ausgebildet ist, hat Reinhold Bechstein einmal einen interessanten und lehrreichen Aufsatz geschrieben (in Pfeiffers „Germania", 1863), Er bezeichnet diese Neigung, den ursprünglichen Sinn der Wörter zu verschlechtern, als den „pessimistischen Zug" der Sprache und zeigt, welch eine Masse von Wörtern widerstandslos in diese Strömung hineinge- rathen ist. Man denke an Wörter wie Pfaffe, Bauer, Schulmeister, Komödiant, Literat, Magd, Dirne und Mensch (das Mensch, Küchenmensch, Kammcrmensch), Elend, Schimpf, Hvffarth, Gift, List, gemein, schlecht, frech, erbärmlich. Ihnen allen ist von Hause aus der verächtliche Nebcnsinn fremd, der im Laufe der Zeit in sie hineingelegt wurde. Sobald sie aber einmal damit behaftet waren, mußten sie, wenn der frühere Sinn ohne Beigeschmack wieder zum Ausdruck kommen sollte, dnrch andre Wörter ersetzt werden. So wurden sie verdrängt durch Geist¬ licher, Landmann, Lehrer, Schauspieler, Schriftsteller, Mädchen, Fremde, Scherz, Hochherzigkeit, Gabe, Klugheit, allgemein, schlicht, kühn, barmherzig. Die andre Forderung, die man doch wohl an ein neu aufkommendes Wort stellen darf, ist die, daß es regelrecht, gesetzmäßig, nach richtiger Analogie gebildet sei und daß es mit einleuchtender Deutlichkeit wirklich das ausdrücke, was es aus¬ zudrücken vorgiebt. Diese Forderung ist so wesentlich, daß wir, wo sie erfüllt ist, selbst davon absehen, die Bedürfnißfrage zu betonen. Verrath sich in einem neu gebildeten Worte ein besonders geschickter Griff, zeigt es etwas besonders schlagendes, zwingendes, überzeugendes, eine besonders plastische Anschaulichkeit, überdies vielleicht verbunden mit gefälligem Klang, so heißen wir es auch dann willkommen, wenn es überflüssig ist; wir lassen es uns als eine glückliche Be¬ reicherung unsers Wortvorrathes gefallen und haben unsre Freude dran. Prüfen wir die oben zusmumengestelltcu Beispiele an diesen Forderungen, so können wir nicht leugnen, daß die meisten von ihnen sie erfüllen. Bleibt auch schließ-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/577>, abgerufen am 09.06.2024.