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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Zur Altenburger Wahl.

den Parteistimmen alle Intelligenten und Patrioten, und das will ja am Ende
jeder gern sein, namentlich, wenn der Bürgermeister und Amtsschulze es wünscht.
Aber das intolerante Auftreten dieser Partei, die von den Fortschrittlern -- man
denke, von der Partei Eugen Richters! -- sich Mangel an Anstand vorwerfen
lassen mußte und die die Wahl eines "Ausländers" -- Herr Kämpfer ist näm¬
lich aus Erfurt -- für eine Schmach für das Herzogthum erklärte, öffnete den
Leuten die Augen, wie es mit dieser Partei bestellt sei. Von einer conservativen
Partei kann man nicht reden; man sollte denken, daß unter den oben charak-
terisirten Verhältnissen die meisten Leute conservativ sein müßten, und gewiß
giebt es auch sehr viele von dieser Richtung. Aber eine conservative Partei,
die organisirt wäre, giebt es nicht; es fehlt den conservativen Elementen an
Zusammenhang, an Führern, an einem Preßorgan. So kam es, daß ihr Kan¬
didat von Schwarzenfels zwar eine ansehnliche Stimmenzahl erhielt, aber nicht
zurj Stichwahl kam. Freilich war auch sein Programm nicht klarer als das
nationalliberale Grvssische, und die Verdächtigung, er sei ein Agrarier, machte
manchen Conservativen bedenklich. So sahen sich die meisten vergebens nach
einem festen Halt um. Unter diese Unzufriedenen und Unentschlossenen traten
nun plötzlich so gewandte Agitatoren wie Eugen Richter und Albert Träger,
und ihre blendenden Schlagworte, die hier noch nie so gehört wurden, rissen
jeden mit sort, der nicht entschieden für Grosse war. Gegen Grosse aber waren
insbesondere die Landleute nicht bloß darum, weil er von der nationalliberalen
Partei aufgestellt, sondern auch deshalb, weil er Advocat war, so daß Dörfer
mit reichen Bauern ebenso zahlreich für Kämpfer wie für Grosse stimmten.

Die Wahl hat ihr Gutes, wenn die unterlegenen Parteien etwas daraus
lernen. Erstens, daß jede einzelne bei nicht stärkerer Betheiligung nicht siegen
kann, die verwandten Parteien sich also eng zusammenschließen müssen; nur ein
redlicher Kompromiß kann vorläufig zum Siege führen. Sodann genügt es
nicht mehr, einfach die Parole auszugeben: den und den wählen wir; viel¬
mehr muß die Wahl von langer Hand vorbereitet werden, wie es die Fort¬
schrittler machen, die schon jetzt sür die nächste Wahl zusammentreten. Endlich
aber muß jeder Wähler gegenüber der Ueberzeugung des Gegners mehr Achtung
und Anstand zeigen, als es leider bis jetzt bei uns der Fall gewesen ist. Dem
letztern Umstände verdankt vor allem Kämpfer seine Wahl; unter seinen Stim¬
men sind wohl ein paar tausend "aus Bosheit" abgegeben. Lernen aber die
Liberalen und Conservativen nichts aus dieser Wahl, dann wird der Fort¬
schrittler in der nächsten noch glänzender siegen und den Sieg nur verlieren
an die noch rührigeren und noch consequenteren Socialdemokraten -- dann
aber dürfte es mit einem Kompromiß zu spät sein.




Zur Altenburger Wahl.

den Parteistimmen alle Intelligenten und Patrioten, und das will ja am Ende
jeder gern sein, namentlich, wenn der Bürgermeister und Amtsschulze es wünscht.
Aber das intolerante Auftreten dieser Partei, die von den Fortschrittlern — man
denke, von der Partei Eugen Richters! — sich Mangel an Anstand vorwerfen
lassen mußte und die die Wahl eines „Ausländers" — Herr Kämpfer ist näm¬
lich aus Erfurt — für eine Schmach für das Herzogthum erklärte, öffnete den
Leuten die Augen, wie es mit dieser Partei bestellt sei. Von einer conservativen
Partei kann man nicht reden; man sollte denken, daß unter den oben charak-
terisirten Verhältnissen die meisten Leute conservativ sein müßten, und gewiß
giebt es auch sehr viele von dieser Richtung. Aber eine conservative Partei,
die organisirt wäre, giebt es nicht; es fehlt den conservativen Elementen an
Zusammenhang, an Führern, an einem Preßorgan. So kam es, daß ihr Kan¬
didat von Schwarzenfels zwar eine ansehnliche Stimmenzahl erhielt, aber nicht
zurj Stichwahl kam. Freilich war auch sein Programm nicht klarer als das
nationalliberale Grvssische, und die Verdächtigung, er sei ein Agrarier, machte
manchen Conservativen bedenklich. So sahen sich die meisten vergebens nach
einem festen Halt um. Unter diese Unzufriedenen und Unentschlossenen traten
nun plötzlich so gewandte Agitatoren wie Eugen Richter und Albert Träger,
und ihre blendenden Schlagworte, die hier noch nie so gehört wurden, rissen
jeden mit sort, der nicht entschieden für Grosse war. Gegen Grosse aber waren
insbesondere die Landleute nicht bloß darum, weil er von der nationalliberalen
Partei aufgestellt, sondern auch deshalb, weil er Advocat war, so daß Dörfer
mit reichen Bauern ebenso zahlreich für Kämpfer wie für Grosse stimmten.

Die Wahl hat ihr Gutes, wenn die unterlegenen Parteien etwas daraus
lernen. Erstens, daß jede einzelne bei nicht stärkerer Betheiligung nicht siegen
kann, die verwandten Parteien sich also eng zusammenschließen müssen; nur ein
redlicher Kompromiß kann vorläufig zum Siege führen. Sodann genügt es
nicht mehr, einfach die Parole auszugeben: den und den wählen wir; viel¬
mehr muß die Wahl von langer Hand vorbereitet werden, wie es die Fort¬
schrittler machen, die schon jetzt sür die nächste Wahl zusammentreten. Endlich
aber muß jeder Wähler gegenüber der Ueberzeugung des Gegners mehr Achtung
und Anstand zeigen, als es leider bis jetzt bei uns der Fall gewesen ist. Dem
letztern Umstände verdankt vor allem Kämpfer seine Wahl; unter seinen Stim¬
men sind wohl ein paar tausend „aus Bosheit" abgegeben. Lernen aber die
Liberalen und Conservativen nichts aus dieser Wahl, dann wird der Fort¬
schrittler in der nächsten noch glänzender siegen und den Sieg nur verlieren
an die noch rührigeren und noch consequenteren Socialdemokraten — dann
aber dürfte es mit einem Kompromiß zu spät sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/58>, abgerufen am 15.05.2024.